Ich habe Licht gebracht!. Anja Zimmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anja Zimmer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783867295666
Скачать книгу
Matrone eingenommen, die sich im Leben auskannte. Julius schaute etwas unsicher zur Seite.

      »Julius, was sagst du dazu?«, flehte Louise.

      »Ich kenne Herrn Müller nicht, aber ich habe bei meinen Kollegen in Leipzig Erkundigungen eingezogen über ihn.«

      Louise schnappte nach Luft. »Ohne mir oder ihm etwas davon zu sagen?«

      »Sie bestätigen alle, was in dem Brief steht.«

      »Louise!«, sagte Antonie nun in einem Ton, als spreche sie zu einem Kind, »Du wirst darüber hinwegkommen. Es gibt andere Männer; Männer, die Karriere machen. Ein Mann, der ganz oben auf der Leiter steht, kann dir ein viel schöneres und vor allem sichereres Leben bieten. Du wärst versorgt – sogar als Witwe.« Antonie sah nicht das Zucken im Augenwinkel ihres Gatten.

      Louise erhob sich. »Ich weiß gerade nicht, wen ich mehr bedauern soll, dich oder deinen Mann. Geht es denn in einer Ehe nur darum, dass man ein schönes Leben hat und versorgt ist? Alles, was dieser Schmierfink da schreibt, hat Gustav mir selbst schon gesagt. Alles. Auch von seinem Vater, der nach einem Unfall auf seine Hilfe angewiesen ist und ja, auch von Liebesverhältnissen, die er vor mir hatte. Er ist dreißig Jahre alt. Glaubt ihr denn wirklich, ich sei so naiv, zu erwarten, dass er sich unter einer Käseglocke für mich aufgespart hat? Gerade weil ich nicht seine erste Liebe bin, kann ich sicher sein, dass seine Gefühle kein unreifes Empfinden sind, sondern tatsächlich Liebe. Seine Vorgängerinnen mögen ihn enttäuscht haben, aber ich werde es nicht.« Sie ging hinaus und schloss die Tür still hinter sich.

      Wenn ihre Schwester und die Tante auch nur geahnt hätten, dass es nicht nur liberale Politiker waren, sondern die noch viel schlimmeren, radikaleren Demokraten, mit denen sich Gustav traf!

      Ja, es waren Künstler, Literaten, Demokraten und dergleichen lichtscheues Gesindel, das sich zwischen den biedermeierlichen Blümchentapeten zusammenrottete, um das friedhofsruhige Idyll, das allenthalben in den Ländern des Deutschen Bundes herrschte, zu erschüttern. Gustav und seine Mitstreiter waren nicht die Einzigen, die sich heimlich trafen und bald mehr wollten, als von einer Demokratie nur zu träumen. Es gärte noch immer; man wartete nur auf den rechten Zeitpunkt.

      Antonie und Julius mussten bald einsehen, dass Louise sich nicht beirren ließ, und reisten unverrichteter Dinge wieder ab. Zur Hälfte konnte Louise ein wenig aufatmen, allerdings dauerte es bei Tante Malchen noch eine ganze Weile, bis auch sie in ihren Nörgeleien und spitzen Bemerkungen nachließ.

      Es war schon Dezember. Louise und Tante Malchen hatten sich gut auf den Winter vorbereitet, Vorräte angelegt, besondere Genüsse für Weihnachten beiseitegeschafft und freuten sich auf das Fest. Louise wollte die Weihnachtsfeiertage bei ihrer Schwester in Mühlberg verbringen, Tante Malchen war bei Freundinnen eingeladen. Aber auch wenn sie beide nicht da waren, mussten die geschnitzten Engel im Fenster stehen, damit ihre friedlichen Gesichter in die Stube blickten. Lange konnte Louise einfach nur dasitzen und die beiden Holzfiguren anschauen, aus deren Gesichtern ein tiefer Friede sprach. So viele Weihnachten hatten die beiden schon gesehen, hatten schon auf Louises junge Eltern geblickt, auf Heinrich, auf Clementine, auf alle, die hier in dieser Wohnung gelebt hatten. Heute würden sie Gustav sehen und noch viele Weihnachten mit ihm. Auf wie viele Kinder würden sie wohl schauen?

      Da läutete die Türglocke. »Ich mach auf!«, rief Louise und war schon aufgesprungen. Durch die Milchglasscheibe konnte sie schon erkennen, dass Gustav vor der Tür stand, und riss sie entsprechend schwungvoll auf. »Gustav! Wie schön, dass du da bist. Ich hab schon so sehr auf dich gewar …« – Louise verstummte.

      »Guten Tag, Louise. Du bist ja auf einmal ganz blass. Ich dachte, du freust dich, mich zu sehen.« Er hüstelte.

      »Gustav?«, flüsterte Louise. »Geht es dir gut?«

      »Es geht mir gut, und es wird mir gleich noch viel besser gehen, wenn du mich reinlässt.«

      Sie trat einen Schritt zur Seite und ließ ihn ein. Schon als er seinen Mantel auszog, sah Louise, dass er stark abgenommen hatte, denn die Weste, die er sonst ausgefüllt hatte, saß ganz locker. Er musste ihren Blick bemerkt haben. »Mach dir bitte keine Sorgen. Ich hatte nur sehr viel zu tun und noch mehr Sehnsucht nach dir. Da habe ich keinen Bissen runtergebracht. Aber jetzt plagt mich Hunger.« Lachend rieb er seine kalten Hände aneinander und warf einen Blick ins Wohnzimmer, aus dem es nach Kaffee und Kuchen duftete. Mittlerweile wurde er selbst von Tante Malchen wohlwollend empfangen, denn bei seinen vielen Besuchen hatte er dank seines stillen, freundlichen Wesens irgendwann auch ihr Herz gewonnen. – Nicht zuletzt, weil er damit einverstanden war, dass Tante Malchen nach der Hochzeit bei ihnen wohnen sollte, damit sie versorgt war.

      »Louise hat einen besonders guten Striezel gebacken. Essen Sie den mit Verstand, denn Louise hat drauf bestanden, richtige Rosinen reinzutun«, sagte Tante Malchen, während sie die Kaffeegedecke zurechtrückte. »Nicht nur kleingeschnippelte Dörrpflaumen, sondern richtige Rosinen.« Ihr Tonfall machte klar, dass dieser Striezel nicht mit Gold aufzuwiegen war.

      »Ich hab auch Lebkuchen gebacken, und natürlich kriegst du einen Pflaumentoffel.«

      »Bin ich dafür nicht schon ein wenig zu alt?«, fragte er und dankte seiner Braut mit einem Lächeln, als sie ihm Kaffee einschenkte.

      »Für liebevolle Geschenke ist man nie zu alt.« Louise sah glücklich, wie Gustav genüsslich kaute. Ja, es würde ihr Freude machen, ihn zu verwöhnen. Diese schönen Gedanken beendete Gustav abrupt mit einem Hüsteln, das er vergeblich zu verbergen suchte.

      »Gustav?«, fragte Louise bange. »Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist?«

      »Natürlich, Louise, ich hatte nur einen Krümel im Hals.«

      Doch Gustavs Hüsteln hörte nicht auf, selbst als sie längst keinen Kuchen mehr aßen und der Tisch abgeräumt war.

      »Louise, bitte, schau mich nicht so ängstlich an. Ich hab dir schon jetzt dein Weihnachtsgeschenk mitgebracht. Willst du es öffnen?« Er reichte ihr ein kleines Päckchen, dessen Schleife sie vorsichtig löste.

      »Ein Medaillon mit deinem Porträt! Und wie gut es getroffen ist. Jetzt hab ich dich immer bei mir.« Selig drückte sie das Bild an sich. Dann sprang sie auf. »Aber ich hab auch was für dich. Warte, ich hole es gleich.« Und während sie in ihr Zimmer lief, um Gustavs Geschenk zu holen, hörte sie ihn husten. Es kostete sie unendliche Kraft, mit einem Lächeln ins Wohnzimmer zurückzukehren.

      »Hier ist dein Geschenk. Ich bin so gespannt, was du sagst.«

      Gustav öffnete das flache Päckchen mit sichtlicher Ehrfurcht. Zum Vorschein kam ein Wandkalender, auf den Louise die Rudelsburg und den Plauenschen Grund in Dresden gestickt hatte.

      »Es ist wunderschön. – Die Orte, an denen wir so glücklich waren.« Sein Tonfall ließ Louise aufhorchen. Er ahnte also, dass ihr Glück der Vergangenheit angehörte. Mit unsicherer Stimme flüsterte sie: »Du musst wieder zu Kräften kommen, Gustav. Hörst du? Du musst unbedingt essen, dich ausruhen und wieder kräftiger werden.«

      Gustav nickte schweigend und wagte nicht, sie anzuschauen, aber dann straffte er sich. »Es ist wirklich nur ein Husten. Ein Katarrh. Das wird schon wieder. Und so dünn bin ich nur geworden, aus lauter Sehnsucht nach dir. Wenn wir erst verheiratet sind und du immer bei mir bist, dann will ich schon wieder zunehmen.« Er drückte ihre Hand. So gerne hätte er sie geküsst, wenigstens auf die Stirn, aber Tante Malchen, die am Fenster saß, konzentrierte sich nur scheinbar auf ihre Stickerei. Sie sah genau, was auf dem Sofa vor sich ging.

      »Verzeih mir meine dummen Sorgen, Gustav. Ja, lass uns zuversichtlich in die Zukunft schauen.«

      Das gelang ihr nicht immer. Die Weihnachtstage in Mühlberg konnte sie kaum genießen; immerhin schrieb sie weiter an ihrem Roman und blieb natürlich auch in Kontakt mit ihren Freundinnen und Gustav.

      Im Februar hatte Louise eine Einladung von Caroline von Bonniot bekommen. Überglücklich packte sie ihren Koffer, denn auch Gustav versprach, in Dresden zu sein. Gustavs Leiden war dergestalt fortgeschritten, dass er es nicht mehr verbergen konnte. Sein Husten war so schlimm, dass er seinen abgemagerten Körper schüttelte.