Ich habe Licht gebracht!. Anja Zimmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anja Zimmer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783867295666
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      So gerne hätte sie sich ganz und gar aufs Schreiben konzentriert, aber der Haushalt musste versorgt werden, die Mieter hatten immer wieder Anliegen, um die Louise sich kümmern musste. Da war die Hochzeit ihrer Schwester Francisca, die im Dom stattfand, eine kleine Abwechslung.

      In all der Freude über die Hochzeit schaute Tante Malchen ihre jüngste Nichte skeptisch an.

      »Und? Wirst du wohl am Ende die Nächste sein?«, fragte sie missmutig.

      »Aber nein, Tantchen. Da musst du dir wirklich keine Sorgen machen. Ich hab dir doch gesagt, dass ich immer ledig bleiben will. Du liebe Güte! Ein Mann!«, sagte Louise und hob dabei die Hände, als sei ein Mann das Allerletzte, womit sie etwas anzufangen wüsste.

      Louise konnte nur hoffen, dass Francisca glücklich würde. Gemeinsam mit den Frischvermählten zog sie nach Mühlberg an der Elbe, wo Heinrich Burkhardt eine Apotheke betrieb. Natürlich hatte sie Herrn Müller – besser gesagt: Gustav, denn seit ihrem letzten Treffen in Dresden benutzten sie ihre Vornamen – ihre Adresse in Mühlberg mitgeteilt, denn auf seine Briefe wollte sie nicht verzichten. Sie war zu gespannt, wie Gustav auf ihren letzten Brief reagieren würde. Gerade, als sie mit ihrer Schwester von einem Spaziergang an der Elbe zurückkehrte, fand sie seinen Brief vor. Er begann: »Wie sehr beschämen Sie mich, meine gute Louise, und wie schwach komme ich mir Ihnen gegenüber vor! Als ob der Einsturz einer schönen Hoffnung, das Erwachen aus einem lieblichen Traume, kurz, als ob die nüchterne Wahrheit den Mann kraftund mutlos machen dürfe!«8

      Louise seufzte erleichtert. Offenbar hatte Gustav sie jetzt tatsächlich verstanden.

      Francisca, die am 28. Mai 1840 im Meißener Dom Heinrich Burkhardt geheiratet hatte, schwebte so ganz in ihrem frischen Eheglück. Mit ihr teilte sie ein wenig ihre Freude, auch wenn Francisca selbstverständlich davon ausging, dass ein solches Verhältnis nur in einer Ehe enden könne.

      Louise nutzte die Zeit redlich, um zu schreiben. Sie schrieb nicht nur Briefe an Gustav und Liddy und viele andere Frauen, die sie bei Liddy kennengelernt hatte, sondern auch an Caroline von Bonniot und ihre Freundin Aline in Naumburg, die dort mit dem Gymnasialdirektor Förtsch verheiratet war. Ebenso an Tante Therese in Dresden, die seit einiger Zeit kränklich war.

      Außerdem machte Louise ausführliche Entwürfe zu einem Roman, in dem sie zeigen wollte, dass alle Menschen einen Zugang zu Bildung brauchten.

      Einen Mann stellte sie in den Mittelpunkt und nannte ihn Ludwig. Er war gesegnet mit Geistesgaben, aber leider nicht mit hoher Geburt. Welcher Beruf ließ ihn wohl mit den unterschiedlichsten Menschen zusammentreffen? Vor wem hätten die Menschen so wenig Achtung, dass sie sich in seinem Beisein keine Mühe geben würden, ihre Schwächen und Bosheiten zu verbergen? Ein Kellner musste Ludwig sein!

      Als Louise nach Meißen zurückkehrte, hatte sie schon einen ausführlichen Entwurf im Gepäck, sogar die ersten ausgearbeiteten Kapitel. Und Ludwigs Scheitern war beschlossene Sache.

       Meißen, Ende Juni 1840

      Sie hatte die drei Wochen in Mühlberg so sehr genossen, dass es ihr schwerfiel, sich wieder an Meißen zu gewöhnen. Da kam eine Einladung ihrer Freundin Aline aus Naumburg. Ihr Mann hatte im August in Meißen zu tun und konnte Louise dann mitbringen. Dadurch war das Problem des männlichen Begleitschutzes gelöst. Louise war selig und begann noch am selben Tag mit den Reisevorbereitungen, auch wenn es noch vier Wochen dauerte.

      Es war ein sonniger Sonntagvormittag, als Tante Malchen nach Louise rief.

      »Louise, hier ist Besuch für dich!«

      »Schon gut, Tante, sag ihr, sie soll reinkommen!«, antwortete Louise, ohne aus ihrem Zimmer zu schauen, denn wer sollte sie jetzt besuchen, außer einer ihrer Freundinnen aus der Stadt?

      »Sie?«, rief die Tante schrill.

      Louise, die gerade Wäsche in ihren Koffer legte, schaute alarmiert auf.

      »Ja, Tante, ich komme!«, rief sie und war auch schon an der Wohnungstür, wo Tante Malchen wie eine Felswand mit verschränkten Armen stand und mit dem Kinn auf einen Herrn deutete. Bei seinem Anblick blieb Louise wie angewurzelt stehen und war keines Wortes mehr fähig. Dort stand Gustav Müller. Seine städtisch-elegante Erscheinung bildete einen gewissen Kontrast zu Tante Malchen, deren Kopftuch schon jetzt auf Zoff saß. Sie warf Louise einen erbosten Blick zu, als Gustav seinen Zylinder abnahm und sich leicht gegen Louise verbeugte.

      »Guten Morgen, Fräulein Louise!«, sagte er freundlich und wollte Louise die Hand reichen, doch Tante Malchen kam ihm zuvor: »Aha!«, knurrte sie bedrohlich. »Du hast ihm schon erlaubt, deinen Vornamen zu benutzen.« Und noch strenger fuhr sie fort: »Wer ist das?« Bei diesen Worten nagelte sie ihn mit ihrem Blick an den Türrahmen.

      In zwei Schritten war Louise bei ihnen, wollte Gustav die Hand reichen, doch er hatte seine schon zurückgezogen.

      »Tante, bitte! Das ist Herr Gustav Müller, der Cousin meiner Freundin Liddy aus Dresden. Herr Müller, das ist meine Tante, Fräulein Matthäi.«

      Gustav räusperte sich: »Die Freude ist ganz meinerseits.«

      Die Tante legte ihre Oberlippe in steife Falten: »Und demnächst fährst du nach Naumburg zu deiner Freundin Aline. – Hat die auch so geschniegelte Cousins?«

      Louise sah, wie Gustav erbleichte und schluckte, wie sein ganzes Wesen sich plötzlich von ihr zurückzog, als sei plötzlich eine Wand zwischen ihnen gewachsen.

      »Herr Müller, bitte verzeihen Sie, ich …«, stammelte Louise.

      »Wie Sie sehen, Herr Müller, kommt Ihr Besuch recht ungelegen. Meine Nichte ist beschäftigt und hat keine Zeit für Sie.«

      »Es tut mir sehr leid, Fräulein Otto; ich wollte Sie nicht stören. Leben Sie wohl, Fräulein Otto.« Und ohne ein weiteres Wort abzuwarten, wandte er sich um und ging eilig die Treppe hinunter. Louise lauschte seinen Schritten, bis die Haustür hinter ihm zugefallen war.

      Mit einem verzweifelten Stöhnen lehnte sie sich an die kalte Wand und konnte ein Schluchzen nicht verbergen.

      »Wer war das? Und wieso heulst du jetzt?«, fauchte die Tante.

      »Lass mich, lass mich doch einmal nur in Ruhe!«, entgegnete Louise heftig und warf die Tür ihres Zimmers hinter sich zu.

      Schon am nächsten Tag erhielt sie einen Brief von Gustav. Er musste ihn gleich hier in Meißen geschrieben und dann selbst bei ihr eingeworfen haben. Louise öffnete ihn mit zitternden Fingern und war wie vernichtet, als sie seine bitteren Vorwürfe las. Noch schlimmer als die Vorwürfe gegen sie war aber die Verzweiflung, die aus seinen Worten sprach. Sie hatte ihn zutiefst verletzt. Dass sie ihn nicht hineingebeten, kaum Worte für ihn gefunden und bei seinem Anblick das blanke Entsetzen in ihrem Gesicht gestanden hatte, ließen ihn glauben, dass sie keinen Wert auf seine Freundschaft lege. Nur wegen ihr war er nach Meißen gekommen, nur um sie zu sehen, mit ihr zu sprechen.

      Wie betäubt setzte sich Louise an ihren Schreibtisch, nahm noch immer zitternd die Feder und begann, ihm zu erklären, was man kaum erklären konnte: Tante Malchen. Nur durch die Gegenwart der Tante war sie so versteinert gewesen. Mit liebevollen Worten versicherte sie ihm, dass ihre Gefühle für ihn unverändert seien, und bat ihn um ein Treffen in Dresden. Letzteres verstieß zwar ein wenig gegen die Schicklichkeit, war aber angesichts der Verletzungen, die sie ihm zugefügt hatte, nötig.

      In den folgenden Tagen wurde sie misstrauisch beäugt von Tante Malchen. Glücklicherweise war das Wetter schön, sodass die Tante oft ausging und Louise ihre Ruhe hatte. Aber auch die Ruhe war quälend. Nichts, rein gar nichts brachte sie am Schreibtisch zustande, dabei hatte sie so viele Ideen für ihren Ludwig, den Kellner. Jeden Tag lauerte sie auf die Post, doch kein Brief kam. Nach fünf Tagen kam ein Brief von Liddy. – Immerhin. Hastig öffnete ihn Louise; es war wieder eine Einladung nach Dresden. Und zwar bald! Das war ein Lichtblick. Vielleicht konnte sie dort Gustav treffen, mit ihm reden, ihm alles noch einmal erklären? War ihr Brief an ihn am Ende verloren gegangen? Wieso schrieb er nicht?

      Nach unsäglich langen zehn Tagen kam