Ich habe Licht gebracht!. Anja Zimmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anja Zimmer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783867295666
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war das erste, was sie in seinen Zeilen las. Noch immer. Unverändert. Und nun bekannte er in diesem Brief mehr als er ihr jemals zuvor gesagt oder geschrieben hatte.

      Sie fieberte einem Treffen mit ihm entgegen, denn plötzlich wurde ihr bewusst, wie sehr sich ihre Gefühle für ihn verändert hatten …

       Dresden, Juli 1840

      Der Juli war so wunderbar warm, dass man am liebsten nur noch draußen war. Liddy und Louise gingen Arm in Arm an der Elbe entlang, die ihren ganz eigenen Duft verströmte. Friedlich zogen Lastkähne dahin, am anderen Ufer näherten sich zwei Reiter dem Fluss, um ihre Pferde zu tränken.

      »Ich gönne euch beide einander. Keiner anderen Frau hätte ich meinen Gustav gegönnt und keinem anderen Mann dich«, sagte Liddy, indem sie stehenblieb und Louise in die Augen schaute. Louise errötete zutiefst. »Noch ist nichts passiert. Er hat mich noch nichts gefragt.« Sie atmete schwer auf. »Ich hoffe so sehr, dass ich ihm das alles erklären kann. – Du hättest Tante Malchen sehen sollen, wie sie mit verschränkten Armen in der Wohnungstür stand, wie eine Wächterin am Eingang zum Hades. Ich war so erschrocken. Erschrocken, ihn zu sehen. Darüber hätte ich mich unbändig gefreut, aber nicht in der Gegenwart meiner Tante. Ich will dir ihre Vorwürfe nicht wiederholen. Meinst du wirklich, dass er kommen wird?«

      »Weshalb sollte er denn nicht kommen? Er ist ein so edler Mensch und wird zu seinem Wort stehen. Wir treffen uns später in der kleinen Restauration dort drüben mit meinen Eltern. Er wird uns am Nachmittag im Ostra-Vorwerk treffen.«

      Louise brachte kaum einen Bissen hinunter. Wie geduldig war Papier? Hatte Gustav vielleicht nur freundliche Worte geschrieben, die er nicht wirklich fühlte? Wenn er ihr gegenüber nur noch von einer kalten Höflichkeit war, anstatt wie früher von warmherziger Zuneigung, würde sie keine halbe Stunde in seiner Gegenwart überstehen.

      Endlich war das Essen beendet und man ging hinüber in den Park, wo auf den weitläufigen Wiesen Kinder spielten, deren Eltern es sich auf den Bänken im Schatten gemütlich gemacht hatten.

      Louise schaute sich verstohlen um. Kam er schon? Dort drüben, der schlanke junge Mann mit dem Zylinder? Aber nein, das war nicht sein Gang. Oder dort? Da kam jemand … Nein, auch das war er nicht. Noch während sie spähte, hörte sie plötzlich seine Stimme ganz dicht bei sich: »Guten Tag! Würden Sie mir erlauben, für einen Augenblick Fräulein Otto zu entführen? Ich würde gerne mit ihr reden – allein.«

      Louise schluckte. Er hatte sie wieder »Fräulein Otto« genannt. Hatte er ihr doch nicht verziehen, Sie nicht verstanden? Aber da stand er vor ihr, lächelte sie an und bot ihr seinen Arm, um mit ihr alleine zu sprechen. Derartige Wünsche wurden nur ausgesprochen (und gewährt) wenn es um einen Heiratsantrag ging. Liddys Eltern gaben ihm gerne die Erlaubnis, wobei ihr Vater seinem Neffen zuzwinkerte.

      Louise war schon jetzt selig, als sie an seinem Arm durch den Sonnenschein ging. Eine ganze Weile schwiegen sie, dann begannen sie beide gleichzeitig zu reden, brachen ab und verfielen wieder in Schweigen. Der Weg führte sie in den Schatten alter Bäume, von wo aus sie die sonnendurchfluteten Wiesen wie ein Bild sahen und das Lachen der spielenden Kinder gedämpft zu ihnen herüberdrang. Gustav führte sie zu einer Linde, unter der eine Laube stand. Louise bemerkte etwas bange, dass diese Laube ein lauschiges Plätzchen bot, in dem man ungestört und unbeobachtet sein konnte. Aber sie folgte ihm in die Laube, wo er ihre Hände fasste und neben sich auf die Bank zog.

      »Fräulein Otto, Louise! Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie erleichtert ich bin. An jenem Sonntag in Meißen, da stürzte für mich eine Welt zusammen.«

      »Oh, bitte, erinnern Sie mich nicht an diese quälenden Momente. Meine Tante Amalie kann schon sehr … «

      »Oh, wie gesagt, das Vergnügen war ganz meinerseits!«, rief er aus.

      Louise musste ein wenig lächeln.

      »Verzeihen Sie. Ich wollte damit nur sagen, wenn Sie mir weniger bedeuten würden, dann hätte mich dieses Erlebnis weniger verletzt. Da mich Ihre vermeintliche Kälte aber so aus meiner Bahn warf, wurde mir selbst erst klar, wie viel Sie mir bedeuten. Sie sind mir unendlich viel mehr als eine Liedergefährtin. Ich weiß, dass Sie sich der Muse verschrieben haben, aber ich kann nicht länger schweigen. Ich liebe Sie von ganzem Herzen. Wollen Sie meine Frau werden?« Er drückte ihre Hände und schaute fest in ihre Augen.

      Louise konnte nur nicken. Tränen der Erleichterung standen in ihren Augen. »Ja, Gustav! Ja!«, stammelte sie und konnte endlich unter ihren Tränen lächeln.

      »Und Sie sind mir nicht böse, dass ich Sie dazu bringe, Ihrem Gelübde untreu zu werden?«

      »Was kann ich dazu sagen?

      Wie sich Verwandtes zu Verwandtem findet,

      Da ist kein Widerstand und keine Wahl,

      Es löst der Mensch nicht, was der Himmel bindet!« Sie schaute ihn schwärmerisch an. Zärtlich wischte er die Tränen von ihrer Wange und neigte sich zu ihr. Ganz dicht sah sie sein Gesicht vor sich, so dicht, wie sie noch niemals das Gesicht eines Menschen vor sich gesehen hatte. Im selben Moment spürte sie seine Lippen auf ihren. Ein Kuss. Ihr erster Kuss. So oft hatte sie schon von Liebe, von Küssen und Leidenschaften gelesen. Gustavs Kuss war wie eine Offenbarung. Das also war es, worum unzählige Dichter ihren Genius rankten. – Recht hatten sie!

      Ihre Verlobung wollten sie weder veröffentlichen noch verheimlichen. Wer davon erfuhr, konnte ihnen gratulieren, aber es musste nicht in der Zeitung stehen. Müllers fühlten sich geradezu geehrt, die Ersten zu sein, die davon erfuhren. Noch am selben Abend schrieb Louise an ihre Schwestern und engsten Freundinnen. An Tante Malchen schrieb sie einen besonders langen Brief …

       Naumburg, im August 1840

      Louise war schon seit zwei Wochen bei Aline in Naumburg, da kam ein Brief von Gustav Müller.

      »Was schreibt er denn?«, flüsterte Aline aufgeregt, als Louise mit strahlendem Lächeln aus ihrem Zimmer kam.

      »Er hält es nicht so lange aus ohne mich. Demnächst hat er beruflich in Jena zu tun und würde dann gerne einen Abstecher nach Naumburg machen.« Sie drückte den Brief mit einem seligen Seufzer an sich. Gemeinsam gingen sie nach draußen und setzten sich im Garten in die Sonne.

      »So gehört sich das für einen Bräutigam. Ich freu mich so sehr für dich. Nach allem, was du uns von ihm erzählt hast, sind mein Mann und ich sicher, dass ihr eine sehr glückliche Ehe haben werdet.« Aline beobachtete zwei Schmetterlinge, die umeinander taumelten.

      »Und ich bin so froh, an deinem Mann und dir schon zu sehen, wie glücklich man als Ehepaar sein kann.«

      »Ich weiß, du wolltest niemals heiraten. Da hat dich wohl ein besonders guter Mann in einem schwachen Moment erwischt, dass du Ja gesagt hast.«

      »Gustav ist so wundervoll, dass ich gar keinen schwachen Moment brauchte. Und ich bin sicher, dass es ihm hier bei euch auch gefallen wird. Bei euch herrscht eine so gute Atmosphäre. Man spürt, dass hier Ruhe und Harmonie wohnen. Er wird die Gespräche in eurem Haus, die Begegnungen mit gebildeten Menschen ebenso genießen, wie ich. – Ich kann dir gar nicht sagen, wie gut es mir tut, bei euch zu sein.« Louise stieß einen Seufzer aus.

      »Tante Malchen ist keine allzu anregende Gesprächspartnerin?«, vermutete Aline leise.

      »Wenn es darum geht, wie man Wäsche am weißesten wäscht, schrumpelige Äpfel noch schnell verarbeitet oder wer in Meißen was über wen gesagt hat, dann ist sie unschlagbar. Es tut mir unendlich leid für sie, dass sie niemals die Möglichkeit hatte, sich zu bilden. Dass niemand ihre Interessen in andere Bahnen gelenkt hat, als immer nur Haushalt, Haushalt. Es ist eine Schande, dass es so vielen Frauen so ergeht. Sie machen sich nicht einmal etwas aus ihrer Unmündigkeit. Es war meiner Tante vollkommen egal, dass sie als unverheiratete Frau seit ein paar Jahren mündig ist.«

      »Dein Gustav ist ein Mann, der eine mündige Frau neben sich haben will. Was sollte er mit einem Frauchen anfangen, das ihm sein Essen kocht und ihm die Pantoffeln hinterherträgt? Ich glaube, vor einer solchen Frau würde er Reißaus