Ich habe Licht gebracht!. Anja Zimmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anja Zimmer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783867295666
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Gesicht, dass ich fürchte, du bist doch nicht so ganz glücklich.«

      Louise schwieg und schaute hinüber zu den Eiben, die den Garten trutzig umgrenzten.

      »Sag es mir, Louise«, flüsterte Aline. »Gibt es etwas, das dein Glück mit Gustav trübt? Hast du Zweifel an ihm und seiner Liebe?«

      »Oh nein! Zweifel an ihm und seiner Liebe könnte ich niemals haben!«, sagte sie voller Überzeugung. Und leiser fuhr sie fort: »Ach, es sind alte Ängste. Du weißt, wie viele Menschen ich schon verloren habe. Als ich noch ganz klein war, mein Brüderchen Heinrich. Er war mein Spielgefährte und ich war untröstlich, als er plötzlich nicht mehr da war. Ich habe lange, lange nach ihm gesucht und wollte mich nicht damit trösten lassen, dass er jetzt im Himmel sei. Clementine hat sich in dieser Zeit besonders lieb um mich gekümmert. Aber dann begann sie, ständig zu hüsteln. Es wollte gar nicht mehr aufhören, sondern wurde immer schlimmer. Sie verlor an Gewicht, an Kraft, war ständig müde. Irgendwann hustete sie Blut. Da war den Eltern und den älteren Schwestern klar, dass es die Schwindsucht war. Wir beerdigten sie kein Jahr später. Ich schloss mich enger an die Mutter an. Nicht wenige Jahre danach begann auch bei ihr dieses Hüsteln. Sie versuchte, es vor uns zu verbergen, doch ich hörte sie, sogar nachts. Sie verschwand vor unseren Augen, so sehr nahm sie ab. Sie starb. Mein Vater versuchte, uns beides zu sein, Vater und Mutter, aber auch er …« Louise konnte ihre Tränen nicht zurückhalten, und Aline nahm sie behutsam in ihre Arme.

      »Und jetzt hast du Angst, dass der Mann, dem du dein Herz geschenkt hast, ebenso sterben könnte?«

      »Wenn immer die Menschen sterben, die man am meisten liebt, verliert man den Boden unter den Füßen. Man kann sich gar nicht mehr vorstellen, dass es Sicherheit gibt. Man verliert das Vertrauen in die Zukunft, in das Leben selbst.«

      Aline nahm ihre Freundin bei den Schultern und drehte sie zu sich herum. »Dein Gustav ist ein gesunder junger Mann. Ihr werdet miteinander ein langes und glückliches Leben haben und viele Kinder, denen ihr unendlich viel mitzugeben habt auf ihren Lebensweg.«

      Louise nickte unter Tränen. »Ja, du hast recht. Ich will nicht kleingläubig sein. Wir sind so jung. Wer soll denn Vertrauen in das Leben haben, wenn nicht wir?«

      Aline zog ihre Freundin von der Bank hoch. »Komm! Jetzt mieten wir für deinen Gustav ein hübsches Zimmer im Gasthof.«

      Gustav kam wenige Tage später in Naumburg an. Arm in Arm schlenderten die beiden durch die Gassen der alten Stadt, ließen es sich schmecken in den gemütlichen Restaurants und Cafés und besuchten natürlich auch Uta im Dom. Beide wunderten sich darüber, dass die kühle, unnahbare Uta so berühmt war, wo doch ihre Schwägerin Reglindis so wunderschön lachte, wie man es sonst niemals bei einer Statue sah.

      Es war ein heißer Sommertag, als sie gemeinsam zur Rudelsburg im benachbarten Kösen aufbrachen. Louise wollte durchaus von Naumburg aus laufen, als wolle sie Gustav beweisen, dass sie jede Strecke bewältigen könne, doch er bestand darauf, dass sie wenigstens ein Stück mit dem Schiff fuhren.

      Louise war selig, als sie in einem Kahn saßen und Gustav ihre Hand hielt. Überreife Felder und Weinberge, aus denen die Trauben golden leuchteten, zogen an ihnen vorüber. Auf der kühlen Saale glitten sie dahin, im Schatten der Erlen, umschwirrt von Libellen. Nur das Kräuseln der Wellen am Bug des Schiffes, Vogelgesang und das Summen von Insekten begleitete sie.

      Ihre Fahrt endete in Saaleck, und nun begann ihr Aufstieg auf die Burg, deren Ruinen schon hier und dort durch die Wipfel der Bäume blickten. Eng, steil und steinig waren die Pfade, die hinaufführten, doch bald hatten sie es geschafft und standen schwer atmend, aber glücklich unterhalb der Burg.

      »Komm, es gibt hier einen guten Wirt. Ich war schon öfter hier mit meinen Kommilitonen«, sagte Gustav. »Samiel hilf! So lautet das Losungswort, sollte das Tor einmal geschlossen sein. Ah, wir haben Glück! Samiel ist da und hat sicher einen frischen Trunk für uns.«

      Im Burghof standen Tische und Bänke unter einer Linde, ein Verschlag aus Brettern mit einem Strohdach bot einem Schanktisch Schutz vor Regen und Sonne. Dahinter stand Samiel. Er war eine imposante Erscheinung mit Bart und störrischen Locken, die nach allen Seiten standen, aber er war Louise viel lieber als der Samiel, der in Webers Freischütz erscheinen sollte. Gemeinsam setzten sie sich unter ein Fensterkreuz, von dem aus sie einen herrlichen Ausblick auf die weite Ebene hatten, in der die Saale mäanderte. Nach einer Stärkung mit Bier und Brezeln machten sich die beiden auf, die Ruine zu erkunden. Immer neue Ausblicke auf die Landschaft ringsum, die Hügel, die Weinberge und die Ortschaften, eröffneten sich. Mauersegler führten ihre waghalsigen Flugmanöver vor, über den Feldern sah man Turmfalken rütteln.

      Gustav war plötzlich müde und wollte für eine Weile im Schatten der Bäume unterhalb der Burg ruhen. Louise dagegen hatte sich von dem Aufstieg wieder erholt. Außerdem erschien es ihr höchst unschicklich, an seiner Seite zu ruhen, selbst wenn sie verlobt waren. So viele Blumen standen auf den Wällen, die die Burg umgaben, dass sie ging, um sie zu pflücken. Sie merkte nicht, wie die Zeit verging und wie weit sie sich von Gustav entfernte. Erst als sie aufschaute, gewahrte sie, dass sie jetzt einen ganz anderen Blick auf die Burg hatte als zuvor. Langsam ging sie zurück zu der Stelle, wo sie Gustav unter den Bäumen zurückgelassen hatte. Sein Gesicht sah im Schatten sonderbar bleich aus. So reglos lag er da, dass sie erschrak, doch im nächsten Moment schlug er die Augen auf und lächelte sie an.

      »Hast du mir Blumen mitgebracht, meine Liebste?«

      Schwungvoll erhob er sich und nahm sie in seine Arme.

      »Ja, Gustav, sie sind alle für dich«, erwiderte sie errötend, denn es war das erste Mal, dass sie einander nicht nur beim Vornamen nannten, sondern auch »Du« zueinander sagten.

       Meißen, im September 1840

      Antonie und Julius waren zu Besuch gekommen. Louise hatte ihnen ein Zimmer hergerichtet, besonders liebevoll gebacken und gekocht, wie sonst nur für Gustav, der sie seit ihrer Verlobung an jedem zweiten Wochenende besuchte.

      Etwas befremdet hatte Louise die nur widerwillig ausgesprochene Gratulation zu ihrer Verlobung gehört und sich vorgenommen, ihre Schwester in einem stillen Moment zu befragen, wieso sie ihr dieses Glück nicht gönne. Aber Antonie hielt nichts von Diskretion: »Wieso runzelst du die Stirn, Louise? Erwartest du tatsächlich, dass ich dir gratuliere, wenn du einen solchen Mann heiraten willst? Noch ist nicht alles verloren. Du kannst ihm immer noch sagen, dass du es dir anders überlegt hast.« Sie schob den halb leergegessenen Teller von sich und schaute Louise mehr ärgerlich als besorgt an.

      »Wovon redest du? Alle Menschen, denen ich in Dresden oder hier in Meißen Gustav vorgestellt habe, sind begeistert von ihm. Menschen, die ihr alle schätzt. Die können sich nicht alle irren. Wieso sagst du so hässliche Dinge?«

      Statt einer Antwort zog Antonie einen Brief aus ihrer Tasche. »Hier! Lies! Und Francisca hat auch einen solchen Brief bekommen.«

      Unsicher faltete Louise den Brief auseinander und las in schlechten Worten, dass Gustav in Leipzig mehr mit Künstlern und liberalen Politikern verkehre als mit Juristen, ja, dass er sich während seines Studiums schon mehr mit diesem Pöbel abgegeben habe als mit seinen Fachgenossen. Er werde niemals Karriere machen, weil seine Verbindungen in diese Kreise äußerst schädlich für eine anständige Anstellung seien. Außerdem werde er niemals eine Familie ernähren können, da er seinen heruntergekommenen Vater unterstütze. Und schließlich sei er kein Kind von Traurigkeit. Vor seiner jetzigen Verlobung sei er schon einige Liebesverhältnisse eingegangen, habe sich mit leichtsinnigen Frauenzimmern abgegeben. Dadurch habe er für sich in Leipzig, wo man ihn kenne, eine Heirat mit einem anständigen Mädchen von vornherein verbaut.

      »Wer hat das geschrieben?«, fragte Louise tonlos, als sie den Brief wieder auf den Tisch legte.

      »Es stand kein Absender drauf«, antwortete Antonie schnippisch.

      »Ich hab’s gleich gewusst und auch gesagt!«, rief Tante Malchen, die von Antonie bereits ins Bild gesetzt worden war.

      »Da schreibt jemand einen anonymen Brief und ihr alle glaubt einem solchen Schmierfinken?« Louise war außer sich.