Besondere Bedeutung haben dabei einerseits technologische Entwicklungen, die in die Modding- und Editor-Game-Kultur von Seiten der Computerspiel-Entwickler und -Publisher einfließen (top-down), andererseits Modifikationen, Weiterentwicklungen und Anpassungen als Folge der Community-Aktivitäten (bottom-up). Innerhalb dieses Netzwerks generieren all diese Aktanten Assoziationsketten zu den Leveleditoren, die als technologische Artefakte gewissermaßen das ›mediale Dazwischen‹ bilden.
Als Richtschnur der Dokumentation artefaktseitiger Handlungsinitiativen kann dabei das Konzept der Affordanzen82 dienen, welches die funktionell-relevanten Eigenschaften eines Artefakts und ihre Kombination bezeichnet, aus denen sich Handlungsangebote ableiten lassen. Zwar ist der Angebotscharakter dem Artefakt qua Design eingeschrieben, wobei von einem impliziten Nutzer ausgegangen wird, jedoch können insbesondere computerbasierte Medien eine höhere Ebene der Kontingenz aufweisen,83 was a priori Aussagen über den tatsächlichen Umgang erschwert. Dies wird in proaktiven Systemen mit verschachtelten und verknüpften Algorithmen und »höheren Freiheitsgraden«84 noch einmal verstärkt. Im Fall von Veränderungen bis hin zu Zweckentfremdungen der Technologie durch die Nutzer ist der Angebotscharakter nicht mehr ohne eine situative Bewertung zu leisten. Tatsächlich scheint in Bezug auf die Analyse der Mensch-Computer-Interaktion eine Rahmung des Affordanz-Konzepts vonnöten zu sein, wie sie die Techniksoziologie anbietet.85 Denn erst die Situierung der Analyse schafft eine operationalisierbare Basis für die Analyse historischer wie gegenwärtiger Modding-Technologien und -Praktiken.
Eine praxeologische und netzwerkanalytische Ausrichtung der Forschung zum Computerspiel-Modding erfordert eine Erweiterung des Methodenrepertoirs, um die technologischen Angebotsstrukturen als Teil des Medienhandelns adäquat zu kontextualisieren. Für die Game Studies haben Autoren wie Alexander Knorr86, T.L. Taylor87 und Thomas Malaby88 mittels qualitativer Forschungsdesigns gezeigt, dass eine räumliche und zeitliche Trennung von Spiel und Alltagswelt nicht länger aufrechterhalten werden kann, wie dies Johan Huizinga in seiner historischen Betrachtung des Homo ludens89 in Rekurs auf die Ritualforschung forderte. Zudem sind in Bezug auf die nutzerseitige Veränderung von Computerspielen neben der genannten Historiographie von Editoren-Werkzeugen gerade solche kommunikativen Ereignisse von Interesse, die nicht getrennt von ihrer Einbettung in Alltagspraktiken und deren mediatisierte Handlungsökologien betrachtet werden können und folglich nicht auf ihre reine Rezeptionspraktik zu reduzieren sind. So kann das Editieren von virtuellen Spielwelten nicht von den materiellen Umgebungen getrennt werden; ebenso können akteurseitige Vergemeinschaftungsprozesse nicht außer Acht gelassen werden, die weit über die häufig anonymen, meist losen und zeitlich begrenzten Zusammenschlüsse in Fankulturen hinausgehen. Dabei zeigt sich, dass Praktiken des Moddings und Editieren den Erfahrungsbereich der Spielewelt überschreiten und dass Spielhandlungen und Alltagshandeln nicht streng konzeptionell voneinander getrennt werden können, weswegen eine Verknüpfung zwischen On- und Offlineforschung sinnvoll ist. Für eine praxeologische Analyse der Gegenwart des Game-Moddings ist daher ein ethnographisch informiertes Forschungsdesign im Sinne der virtuellen Ethnographie90 als Ergänzung und Erweiterung der kulturhistorischen Perspektive sinnvoll.
4. STATT EINES FAZITS
Computerspiele – nicht nur Editor-Games – sind keine abgeschlossenen Artefakte. Sie sind flüchtige Medien, deren Wesen sich erst im Akt der Benutzung vollständig erschließt. Methodisch bedeutet dies, dass eine Analyse des Computerspielens weitere Medien der Aufzeichnung erfordert, um ephemere Nutzerhandlungen in analysierbare Protokolle zu überführen. Darüber hinaus ist für das Computerspiel konstitutiv, dass Nutzerhandlungen das Spiel selbst und die Art und Weise, wie ein Spiel gespielt wird, verändern können. Dieser kennzeichnende Feedbackmechanismus zwischen Medium und Nutzer in der Rezeption von analogen zu digitalen Medien ist als Prinzip der Variabilität91 und als Wende von der Interpretation zur Konfiguration der Inhalte beschrieben worden.92 Für die Game Studies folgt daraus, dass ihre Gegenstände weder auf ihr Regelwerk noch auf ihre narrativ vorgegebenen Pfade vollständig reduzierbar sind. Denn das Computerspiel produziert eine wechselseitige Rekursion, die sich naturgemäß erst in der Prozesshaftigkeit des Spielens zeigt. Wie im Umgang mit Technologie im Allgemeinen entsteht hier ein Potential zur Erzeugung von Kontingenz.93
Es bleibt abzuwarten, wie das Phänomen Editor-Games, das deutlich über etablierte Computerspielpraktiken hinausweist, auf lange Sicht die Gaming Culture wie auch die Game Studies prägen wird. In jedem Fall verdeutlichen solche Variationen die stetig wachsende massenkulturelle Entwicklung des Computerspiels und veranschaulichen, welch langen, ereignisreichen Weg das Medium seit SPACEWAR! bereits zurückgelegt hat.
Der zunehmende Variantenreichtum wird eine weitere Ausdifferenzierung der Computerspielforschung nach sich ziehen. Und da es genauso wenig die Game Studies wie das Computerspiel gibt, ist eine solche disziplinäre Ausweitung der Forschung mehr als begrüßenswert. Denn es sind gerade die – auf den ersten Blick nicht selten etwas skurril oder auch befremdlich anmutenden – Kombinationen ganz unterschiedlicher medialer Stilformen und Funktionslogiken, in denen das Computerspiel erst sein volles Potenzial als ein neues Medium entfaltet.
LITERATUR
Aarseth, Espen: »Playing Research: Methodological Approaches to Game Analysis«, in: Digital Arts & Culture 2003, S. 1-7.
Abresch, Sebastian et al. (Hg.): Prosumenten-Kulturen, Siegen: universi 2009.
Akrich, Madeleine: »The De-Scription of Technical Objects«, in: Wiebe E. Bijker/John Law (Hg.), Shaping Technology/Building Society. Studies in Sociotechnical Change, Cambridge: MIT Press 1992, S. 205-224.
Au, Wagner James: »Triumph of the Mod« (16.04.2002), http://dir.salon.com/tech/feature/2002/04/16/modding/index.html
Barton, Matt/Loguidice, Bill: »The History of the Pinball Construction Set: Launching Millions of Creative Possibilities« (06.02.2009), http://www.gamasutra.com/view/feature/3923/the_history_of_the_pinball_.php
Behr, Katharina-Maria: Kreativer Umgang mit Computerspielen. Die Entwicklung von Spielmodifikationen aus aneignungstheoretischer Sicht, Boizenburg: vwh 2010.
Bieber, Christoph/Leggewie, Claus (Hg.): Unter Piraten: Erkundungen in einer neuen politischen Arena, Bielefeld: transcript 2012.
Biermann, Ralf et al.: »Digitale Spiele und Spielkulturen im Wandel. Zur Entstehung und Entwicklung partizipativer und kreativ-produktiver Nutzungsformen«, in: Sonja Ganguin/Bernward