Nach den Standard–Stunden war freies Tanzen angesagt, damals ja auch recht neu – Let´s go disco.
Ich weiß noch, wie ich zu Anfang überhaupt nicht mehr wusste, was ich denn tun sollte. War ich doch gewohnt, alles gesagt zu bekommen. Jeder Gedanke war fremdbestimmt, vorgegeben, eingepflanzt. Ich war ein mir selbst fremdes Wesen, das seinen wahres Sein vergessen hatte. Nur war mir dies nicht bewusst. Ich war eben so wie ich war: unsicher, unwissend, fremd. Und plötzlich sollte ich mich alleine bewegen, ohne vorgegebene Schritte und so. Allein entscheiden, allein handeln. Aus mir heraus!
Ich tat es. Und löste damit eine erste Revolution in mir aus. Fortan war das Tanzen neben dem Zeichnen mein Ein und Alles. Ich denke, dass ich seit meinem fünfzehnten Lebensjahr so gut wie jede Woche exzessiv abtanzen war. Ich hab alles mitgenommen, alle erdenklichen Standardtänze, Rock ‘n’ Roll, Swing, Stepptanzen und schließlich bis zu meinem Pseudomilitärdienst auch Ballett.
Als ich nach der Bundeswehr beschloss meinen absolut eigenen Weg zu gehen, bewarb ich mich auch an einer Ballettschule, doch war ich damals schon zu alt für ein Tanzstudium. Heute bin ich froh darüber. Denn der Weg, den ich gegangen bin, ist genau richtig so gewesen. Und das Tanzen blieb mir ja dennoch erhalten.
Mein Musikgeschmack hat sich immer wieder sehr gewandelt. Ich lebte ja auch in einer extremen, schnelllebigen und faszinierenden Zeit: Punk, Wave, Ska, Funk, Soul, Rockabilly oder alternative Rock ... Aber leider wurde in den Tanzhallen, in denen ich meine Abende verbrachte, selten die Musik gespielt, die ich am liebsten hörte.
Ich bin nicht fixiert auf eine bestimmte Musikrichtung. Aber ich muss beim Tanzen die Gefühle der Musiker spüren. Dabei ist es nicht wichtig, welcher Art diese Gefühle sind, denn ich will alle ausleben und austanzen. Und da in mir die gesamte Bandbreite aller Emotionen vorhanden ist – so, wie bei allen anderen auch –, kann ich mich völlig auf jede Musik einlassen (außer Techno). Die Gefühle, die ich durch die Musik in mir hochkommen lasse, lebe ich durch das exzessive Tanzen wieder aus. Ich befreie mich also durch das Tanzen von all den Gefühlen, die unterdrückt in mir auf Befreiung warteten. Das macht nicht nur unglaublichen Spaß, sondern hilft mir auch frei zu sein. Denn viele der menschlichen Probleme entstammen den unterdrückten Gefühlen. Wenn ich diese aktivieren und »raus« lasse, können sie nicht in mir klebend mein Denken und Handlen vergiften. In diesem Zusammenhang ist es sehr interessant, wie sehr sich meine Lieblingsmusik gewandelt hatte. Es gab Zeiten, da ging ich voll auf aggressive Musik ab: Ich hab meinen Körper in schnellster Ekstase dem hämmernden Beat und wutschreienden Gitarrenriffs hingegeben. Um eben diese in mir explodieren wollende Wutgefühle zu befreien. In einer anderen Zeit gehörte das verzweifelte Leiden von The Cure zu meiner Lieblingsabtanzmusik. Ein ander mal liebte ich die einfache Freude und Lebenslust von Funk oder schnellen Rockabillysongs. Durch die Musik kann ich nicht nur das Wunder meines Körpers spüren und mich völlig austoben – es hilft mir auch, meine Gefühle zu reinigen. Wundervoll!
Das Prozedere meiner Tanzaktionen ist immer gleich. Ich beschäftige mich irgendwie, bis endlich die Zeit gekommen ist, in den Club oder die Tanzhalle zu gehen. Was ja oft erst gegen 24:00 Uhr angesagt ist. Meist bin ich einer der Ersten, die dann dort auftauchen. Ich stelle mich in eine dunklen Ecke und beobachte die Leute, falls da welche sind, hänge meinen Gedanken nach, und falle so langsam in die Musik. Die Gedanken werden immer blasser, leichter und verschwinden so nach und nach. Es existieren dann nur noch die Bilder, die meine Augen aufnehmen und das Wummern der Musik, die mein Wesen einnimmt. Gleichzeitig beginnt mein Körper zur Musik zu zucken. Einfach so, als ob er ein Eigenleben hätte. Wenn dann das richtige Musikstück kommt, ziehe ich meine Jacke aus, stelle mein Wasser in die Nähe meines Tanzplatzes und begebe mich auf die noch recht leere Tanzfläche. Meistens gehöre ich zu den Ersten oder bin überhaupt der Erste, der sich auf die bunt bestrahlte Tanzfläche wagt. Da zeigt sich eine irritierende Diskrepanz. Denn im Scheinwerferlicht zu stehen, war früher bestimmt nicht mein Fall. Zu unsicher war ich. Zu zurückhaltend. Und beim Tanzen beobachtet zu werden ist mir anfangs eher unangenehm. Auf der anderen Seite genieß ich die Aufmerksamkeit. Sonst hätte ich auch nie auffällige Klamotten getragen, merkwürdige Frisuren gezeigt oder bunte Autos gefahren. Und gerade beim Tanzen spüre ich, wie mehr Energie durch meinen Körper fließt, wenn ich Blicke von beobachtenden Menschen wahrnehme. Am liebsten ist mir natürlich, wenn Frauen schauen. Dann beginne ich meine Vorstellung zu genießen, denn ich weiß, dass meine Bewegungen ziemlich außergewöhnlich sind. Wobei es mir nie um Bestätigung geht, sondern tatsächlich um meine eigene Art und Weise in die Musik abzutauchen. Ich hab dann ja auch immer die Augen geschlossen ...
Der erste Schritt ist zwar immer noch merkwürdig, aber in dem Augenblick, in dem ich die Tanzfläche betrete, bin ich in einer anderen Welt. Ich schließe die Augen. Der Raum verändert sich. Die Musik wird zu Wellen, die meinen Körper umschweben. Die Worte formen sich zu Schwingungen, in denen ich fliegen kann. Die Instrumente, die sich aus den Wellen herausschälen, übernehmen Teile meines Körpers und beginnen ihn zu bewegen. Jedes Instrument, jeder Beat, jede Harmonie, jeder Paukenschlag erzeugt eine Bewegung, die ich nicht mehr steuern kann. Und nicht mehr steuern will. Ich schalte mein Bewusstsein aus und falle in die Musik, tiefer und tiefer, bis ich meinen Körper nicht mehr spüre. Es existiert nur noch die Freude meiner Zellen, die sich an der Musik berauschen. Die Schnelligkeit meiner Beine, die durch den Rhythmus bewegt werden. Das Schwingen, Rudern, Ziehen und Strecken meiner Arme, welche die musikalische Freiheit visuell untermalen. Die Bewegung meiner Hände und Finger, passend zu den angestimmten Akkorden.
Die Unterschiedlichkeit der Musikstile bringt unterschiedliche Tanzformen hervor. Es ist, als bewege sich mein Körper nur, um der Musik einen Ausdruck zu geben, ein wahres Dahinfließen und Dahinschweben. Ich erreiche je nach Musikstil für mich selbst unbegreifliche Geschwindigkeiten. Meine Beine scheinen nicht mehr den Kontakt zum Boden zu benötigen, das Gefühl eigentlich eher zu schweben bemächtigt sich meiner. Nach ziemlich genau zwei Stunden spüre ich, dass mein Körper an seine Kraftreserven kommt und langsam steige ich aus. Kaum stehe ich dann in einer dunklen Ecke, um einigermaßen trocken zu werden, ist mein Herz wieder so ruhig, als hätte ich die ganze Zeit meditiert. Und nicht im Grenzbereich des körperlich Möglichen jede Faser meines Körpers tanzen lassen. Tanzen ist mein Leben, mein Glück, meine Trauer, meine Freude, meine Freiheit, das pure Sein.
Ich durfte in den Momenten auf der Tanzfläche Gefühle erleben, die so großartig waren, dass ich sie nicht beschreiben kann. Durch die emotionsgeladene Musik befreie ich alle Gefühle, die in mir gelebt sein wollen. Ich gebe mich der Musik hin, gebe mich den darin verborgenen Emotionen hin und erlebe diese in mir. Drücke sie aus durch meine Bewegung, durch mein Sein. Und reinige und heile mich dadurch.
Natürlich bin ich nicht immer in dieser extremen Losgelöstheit. Es gibt auch Momente, in denen ich nicht abschalten kann. Dann spüre ich genau, dass die Kraft meines Tanzes nicht aus der großartigen Fülle des ewigen Energiestromes kommt, sondern kopflastiger und dreidimensional bewegt ist, was mich schneller ermüden lässt. Aber manchmal schaffen es auch die Frauen um mich herum, mich aus dem Konzept zu bringen. Es ist erstaunlich, wie viele sexuelle Energien beim Tanzen ausgesandt werden und durch die Luft schweben. Energien, die aus den unteren Chakrenbereichen fließen, aber auch andere Gefühle. Öffne ich meine Augen, sehe ich ein ganzes Kaleidoskop von Gefühlen und Zuständen. Unsicherheit vor allem, aber auch hilferufende Wesen voller Verzweiflung oder benebelte Individuen, die nicht mehr Herr ihrer selbst sind. Gesteuert von dunklen, Angst erfüllenden Schatten. Wesen, die sich von anderen nähren. Aber auch Freude, Lebenslust, Spaß und Ungestümheit. Und immer wieder die Angst, sich völlig dem Fluss überwältigenden Loslassens hinzugeben.
Und so zähle ich Tanzen ebenfalls zu meinen ausgesprochen gut entwickelten Talenten.
Aber da sind noch mehr. Es gibt kein Fahrzeug, das ich nicht fahren könnte. Und ich bin ein guter Fahrer: ob Auto, Motorrad, Transporter oder was auch sonst. Zugegeben, in den ersten Jahren meiner Motorradzeit waren meine Schutzengel vollauf beschäftigt. Ich denke, dass ich bestimmt vier oder fünf verschlissen hab.