Ich bin ein Schwamm ohne begrenztes Fassungsvermögen. Es ist, als würde ich mich selbst wiederentdecken, so als ob ich alles, was ich bin, erst noch einmal von unten her betrachten müsste, um den kompletten Überblick zu bekommen.
Dass sich diese Veränderung auch auf mein Studium auswirkt, bleibt nicht aus. Das Erfinden neuer Schnitte und Moden erfüllt mich nicht länger. So nutze ich meine Talente und Begabungen, um mir wichtig gewordene Themen zu bearbeiten und in dreidimensionale Körperlichkeit umzusetzen. Meine erste Arbeit beschreibt meine Auseinandersetzung über das Phänomen der Gegensätzlichkeit, das YIN und YANG. Ich schreibe, male und entwickle die Kostüme dazu. Eines aus hartem, glatten, glänzenden Blech, das mich bei der Bearbeitung im wahrsten Sinne des Wortes viel Blut und Schweiß kostet. Das andere eine unförmige, weiche, rotmatte Körperummantelung, welche sich durch die Bewegung verändert. In der Drehung verliert das »weibliche« Kostüm an Gewicht und tanzt um den Träger herum, während das steife, »männliche« Kostüm starr und schier unbeweglich seines Weges über den Laufsteg zieht.
Es zeigt sich mal wieder, dass ich in kein Schema passe. Meine Modeprofessoren wissen nichts mit meinen Arbeiten anzufangen. Ich bin froh, dass ich durch Herrn Jacobi – er war Professor für Bildhauerei – tatkräftige Unterstützung erfahren darf.
Nach dem siebten Semester beginne ich mit meiner Diplomarbeit. Es hat lange genug gedauert, das Studium soll nun mit einer grandiosen Arbeit so schnell wie möglich zu Ende kommen. Mein Diplomthema sind die sieben Hauptsünden.
Als ich nach Beendigung meines Studiums in die Arbeitswelt gestoßen wurde, trennten sich erst mal meine inneren Entwicklungsbedürfnisse und die äußeren Tätigkeiten zur Sicherung meines finanziellen Überlebens. Die neue Situation und meine erste länger als ein paar Monate andauernde Beziehung erforderte viel Energie. Aber neben meinem Arbeiten als Kostümbildner, Illustrator und Erforscher meines Beziehungslebens arbeitete die große Suche nach der einen Wahrheit still in mir weiter. Wir zogen nach Berlin und nach einer Weile begann ich mich mit Astrologie und Tarot zu beschäftigen. Da sich meine Jobsituation als nicht tagfüllend herausstellte, hatte ich genug Zeit für dieses Studium. Ich lernte mittels Berechnung der Transite und dem Ziehen und Interpretieren der Tarot–Karten immer mehr meinem eigenen Gefühl zu vertrauen.
Dem Drängen, diese Künste für andere auszuführen, widerstand ich. Es war für mich viel wichtiger, anhand dieser Möglichkeiten mein eigenes, inneres Wesen kennenzulernen. Durch den Vergleich der in Büchern beschriebenen Interpretation und meiner inneren Wahrnehmung erfuhr ich endlich das nötige Vertrauen in mich selbst. Ich nutzte die Astrologie und das Kartenlesen als eine äußere Bestätigung, dass meine eigenen Gefühle immer dem Charakter des Augenblicks entsprachen. Dadurch lernte ich auch das Leben mehr zu genießen, es fließen zu lassen. Zu vertrauen, dass ich rechtzeitig zu den passenden Chancen geführt werden würde. Und dass meine Gefühle für mich die richtigen sind.
Das war nach einem Leben der Fremdbestimmung ein großer Sprung in Richtung wahre Freiheit. Dieser Weg schenkte mir die Entdeckung eines großen leuchtenden Schatzes, der tief in meinem Sein auf mich wartete.
Leider war Berlin nicht meine Stadt. Zu deprimierend, zu düster, zu groß. Und meine fast zweijährige Beziehung endete in einem emotionalen Stillstand. Ich spürte, dass ich einen weiteren Schritt nach innen gehen muss. Der Schritt nach innen bedeutete auch einen Schritt im außen. Nach langem hin und her entschloss ich mich, nach Köln zu ziehen.
Unbegründet wusste ich, dass hier meine berufliche Zukunft liegt. Und dass ich hier die Chance bekäme, meine Probleme mit Beziehungen und mir selbst aufzulösen. Zumal mir die hiesige Mentalität mehr behagte als das ruppige Miteinander im kalten Berlin. Wenn ich endlich reif für eine andauernde und glückliche Partnerschaft sein wollte, galt es zuerst einmal herauszufinden, was in mir falsch funktionierte, warum ich mich niemandem öffnen konnte. Der Umzug war der Startschuss für alle Arten von Therapien. Ich warf mich mit aller Energie in die Dunkelheit meines unerforschten Ich.
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