»Bitte, versprich mir, daß du so etwas nie wieder tust. Weshalb bist du nur allein hinausgerudert? Wir wären doch alle drei zusammen gefahren. Ich bin ja so glücklich, daß dir nichts passiert ist. Jeden Tag danke ich Gott im Himmel, daß du dieses Unglück überlebt hast.«
»Ach was, dir wäre es doch egal gewesen, Mutti. Und mir auch, wenn ich nicht mehr zum Vati darf. Mich braucht ja auch niemand. Du auch nicht. Du hast ja diesen Doktor Martens. Was willst du da auch mit mir? Ich störe ja nur. Für mich allein hast du ja gar keine Zeit mehr. Warum bist du überhaupt gekommen? Geh doch wieder zu deinem Doktor.«
Madlon zuckte zusammen. So viel leidenschaftliches Aufbegehren und zugleich kindlicher Trotz lagen in den Worten ihres Sohnes. Es verschlug ihr sekundenlang die Sprache. Bemüht, ihre Fassung zu wahren, sagte sie:
»Nils, was redest du denn da? Natürlich brauche ich dich. Du bist alles, was ich habe. Du mußt das mit Vati doch verstehen. Ich habe es dir schon so oft erklärt. Und was du auch immer über Dr. Martens denken magst, er ist für mich ein guter Freund, und das möchte er auch für dich sein. Ich war lange einsam, seit ich von Vati geschieden bin, aber ich brauche auch einen vertrauten Erwachsenen, mit dem ich mich gut unterhalten kann. Das hat überhaupt nichts damit zu tun, ob und wie lieb ich dich habe.«
»Ich will ihn aber nicht«, kam es eigensinnig über Nils’ Lippen.
Madlon wandte sich abrupt ab und wollte das Krankenzimmer verlassen.
»Bitte, Mutti, geh nicht«, hielt Nils Stimme sie zurück. Sie drehte sich noch einmal um und sagte mit fester Stimme:
»Es muß sein, Nils, ich komme aber morgen früh wieder. Ich kann nur hoffen, daß du bis dahin vernünftiger geworden bist.«
Madlon wartete keine Erwiderung mehr ab, sondern verließ das Zimmer. Erst als sie die Tür hinter sich zugezogen hatte, verließ sie ihre Beherrschung. Mit einem trockenen Aufschluchzen preßte sie die Hände vors Gesicht. Die Aufregungen der letzten Stunden und noch zusätzlich das aufsässige Verhalten ihres Sohnes waren jetzt zuviel, und sie konnte ihre Tränen nicht zurückhalten.
»Madlon, was ist los mit dir? Warum weinst du denn? Ist etwas passiert?«
Kay, der auf denn Gang auf sie gewartet hatte, sah sie betroffen an. Er trat an ihre Seite und legte beruhigend einen Arm um ihre Schultern.
Doch sie antwortete nicht, weinte nur noch heftiger. Mit sanfter Stimme bat er:
»Wein doch nicht, Madlon. Komm, wir gehen zum Auto, und dann sagst du mir, weshalb du so verzweifelt bist, ja?«
Behutsam führte Kay sie zu seinem Wagen und öffnete ihr die Tür. Als er selbst auch hinter dem Lenkrad Platz genommen hatte, fragte er:
»Willst du mir nicht sagen, was dich bedrückt?«
»Ach, Kay, ich bin dir so dankbar, daß du Nils das Leben gerettet hast, und er, er ist so…«
Sie stockte plötzlich.
»Was ist, warum redest du nicht weiter?«
»Ich verstehe bald gar nichts mehr, Kay. Was ist nur mit meinem Jungen los? Er hat dir mehr zu verdanken, als er jemals wiedergutmachen könnte, und er lehnt dich nach wie vor ab. Es will mir einfach nicht in den Kopf.«
»Nils ist mit seinen dreizehn Jahren noch ein Kind, und er steckt zudem in einer schwierigen Entwicklungsphase. Er ist auf dem Weg, ein Jugendlicher zu werden, und da sind die Gefühle in ihm oft auch für ihn selbst sehr verwirrend. Hinzu kommt noch, daß er so sehr an seinem Vater hängt, wie du mir erzählt hast. Es ist doch daher sehr begreiflich, daß er Angst hat, dich an mich zu verlieren.«
»Aber wir sind doch nur gute Freunde, Kay. Ich habe versucht, es ihm zu erklären.«
Ihre Worte gaben Kay einen schmerzhaften Stich. Was für Madlon nur Freundschaft war, war für ihn Liebe. Er wußte es schon lange. Und was er für Nils getan hatte, war für ihn eine Selbstverständlichkeit gewesen. Schon allein sein Eid, kranken und bedrohten Kindern zu helfen, setzte voraus, daß er immer und zu jeder Zeit sein bestes gab. Doch in Anbetracht des Zwischenfalls am See konnte er nicht wagen, von seinen wirklichen Gefühlen zu sprechen.
»Du sagst ja nichts, Kay. Ist irgend etwas?« Madlons Stimme riß ihn aus seinen Gedanken.
»Vielleicht haben wir deinen Jungen überfordert. Ich habe mich sehr bemüht, seine Freundschaft zu gewinnen, aber man kann ein Kind nicht dazu zwingen, nicht vorhandene Gefühle vorzutäuschen. Du und Nils habt noch einige Tage hier in Kärnten. Verbringe diese Tage nach Möglichkeit mit Nils allein. Ich kann dir gar nicht sagen, wie schwer es mir fällt, auf deine Gesellschaft zu verzichten. Aber ich denke, daß es so besser sein wird. Vielleicht kann Nils sich so eher wieder fangen. Wenn er abends schläft, können wir uns ja immer noch für ein Stündchen zusammensetzen. Laß uns jetzt zum Hotel zurückfahren, damit du dich ausruhen kannst. Vielleicht essen wir später gemeinsam zu Abend und trinken anschließend ein Gläschen Wein? Morgen fahre ich mit dir nach Spittal, und wir holen den Jungen wieder ab. Anschließend lasse ich euch dann allein. Bist du damit einverstanden?«
»Ich muß ja wohl, obwohl es mir aufs äußerste widerstrebt.«
»Es ist für uns alle besser so, Madlon, glaube mir. Wir wollen ja nicht noch einmal einen solchen Zwischenfall heraufbeschwören wie den vom heutigen Nachmittag. Ich werde mich eben auf die Abende mit dir freuen.«
»Gut, ich bin einverstanden. Fahr mich jetzt bitte zum Hotel zurück.«
*
Nils war am nächsten Tag recht schweigsam, als er von seiner Mutter und Kay vom Krankenhaus abgeholt wurde.
Als er vor dem Hotel aus dem Wagen stieg, streckte er Kay seine Hand hin und murmelte mit gesenktem Kopf:
»Es tut mir leid, daß ich so viel Arger gemacht habe, Herr Doktor. Ich möchte mich dafür bedanken, daß Sie mir das Leben gerettet haben. Mutti hat es mir gestern gesagt.«
»Das ist schon in Ordnung, Nils, ich habe es gern getan, und außerdem mag ich dich. Versprich mir nur, so etwas nicht wieder zu wagen. Es ist zu gefährlich. Nicht immer ist jemand zur Stelle, der das Schlimmste verhindern kann. Deine Mutti hat sich sehr große Sorgen um dich gemacht. So, und nun Schwamm drüber. Reden wir am besten nicht mehr davon. Und ruh dich noch ein wenig aus.«
»Ich werde es gewiß nie wieder tun, Herr Doktor, ich habe es auch meiner Mutti versprochen.«
»Dann ist es ja gut, Junge. Also, mach es gut, wir sehen uns sicher noch einmal, ehe du mit deiner Mutti wieder nach Hause fährst.«
Wehmütig sah Kay Nils und seiner Mutter nach, als sie das Hotel betraten. Dann atmete er tief durch, setzte sich wieder hinter das Lenkrad und fuhr davon. Er wollte Madlon und dem Jungen tagsüber wirklich aus dem Weg gehen, und damit wollte er gleich beginnen. Madlon sollte nicht auch noch in einen Zwiespalt geraten.
So verliefen die letzten Tage so, wie er es mit Madlon abgesprochen hatte. Wenn Nils schlief, trafen sie sich in der kleinen Hotelbar. Sie tranken ein Glas Wein, unterhielten sich und tanzten auch hin und wieder auf dem spiegelglatten Parkett.
Es fiel Kay immer schwerer, seine Gefühle für Madlon für sich zu behalten.
Es kam der letzte Abend vor der Abreise. Wieder trafen sie sich in der kleinen Bar. Da sagte Madlon, als sie gedankenverloren mit ihrem Weinglas spielte:
»Ich möchte diesen letzten Abend mit dir nicht ausschließlich in der Bar verbringen. Komm, laß uns noch einmal am See entlangspazieren und die Abendluft genießen.«
»Gern, das ist eine ausgezeichnete Idee. Ich hatte auch schon daran gedacht. Meinetwegen können wir sofort gehen. Oder möchtest du noch einmal nach deinem Jungen sehen?«
»Nein, das ist nicht notwendig. Nils schläft. Er weiß ja auch, daß wir morgen schon sehr früh aus den Federn müssen. Unser Zug fährt um neun Uhr dreißig ab Spittal.«
»Wenn