Ich darf nicht aufgeben, ich muß es einfach schaffen, dachte Kay verbissen, obwohl er spürte, daß seine Kräfte nachließen.
Doch das Unglück war vom Ufer gesehen worden, da der Bootsverleiher Kay mit den Blicken gefolgt war. So alarmierte er einige beherzte Männer, die schnell mit einem weiteren Motorboot auf Kay und Nils zusteuerten.
Ehe Kay die letzten Kräfte verließen, wurden er und seine Last von kräftigen Armen ins Boot gezogen. Obwohl es in seinen Ohren von der fast übermenschlichen Anstrengung rauschte, unternahm er sofort die ersten Wiederbelebungsversuche an Nils. Er wurde nur noch von dem einen dunklen Gedanken aufrecht gehalten, daß dem Jungen nichts passieren durfte.
Am Ufer wartete der inzwischen informierte Rettungswagen auch schon, der Nils nach Spittal ins Krankenhaus bringen würde.
»Gehören Sie zu dem Jungen?« wurde Kay gefragt.
»Ja.« Er nickte erschöpft. »Aber ich kann nicht mitfahren, ich muß erst die Mutter des Jungen informieren. Sie macht sich große Sorgen. Wir kommen so schnell wie möglich nach, In welches Krankenhaus wird der Junge gebracht?«
»Nach Spittal«, war die Antwort.
»Danke«, sagte Kay, »der Junge heißt Nils van Enken und ist dreizehn Jahre alt.«
»Gut, melden Sie sich bitte mit der Mutter an der Aufnahme. Wir müssen jetzt los.«
Einen Moment sah Kay dem Krankenwagen noch nach. Dann bedankte er sich bei den Männern für ihre umsichtige Hilfe und ging mit raschen Schritten dem Strandcafé zu, wo Madlon noch immer auf ihn wartete. Als sie ihn sah, sprang sie entsetzt auf und lief auf ihn zu.
»Kay! Wie siehst du denn aus?« Wie selbstverständlich kam ihr das Du von den Lippen. »Du bist ja ganz naß. Man hat gerade davon gesprochen, daß sie einen Jungen aus dem Wasser gefischt hätten. Kay, war das etwa Nils?«
Sie hielt sich an ihm fest, Angst saß in ihren Augen.
»Beruhige dich doch, Madlon, reg dich jetzt bitte nicht auf.«
Kay löste sich aus ihrem schmerzhaften Griff und führte sie wieder zum Café. Auf dem Weg dorthin erzählte er ihr in knappen Sätzen, was geschehen war.
»Man hat Nils nach Spittal ins Krankenhaus gebracht, es wird alles wieder in Ordnung kommen, ich weiß es. Wir besorgen uns jetzt ein Taxi, das uns in unser Hotel bringt. Dort werde ich mir nur trockene Kleidung anziehen, und dann fahren wir mit meinem Wagen ins Krankenhaus.«
Wenig später saßen sie im Taxi, und sie erreichten kurz darauf ihr Hotel.
»Bitte, warte in der Halle auf mich«, bat Kay und eilte nach oben in sein Zimmer, wo er sich rasch umzog. Nur weitere zehn Minuten später befanden sie sich schon auf dem Weg zum Krankenhaus.
*
»Ja, bitte?«
Die freundliche Krankenschwester sah Kay und Madlon fragend an, als sie das Krankenhaus betraten.
Kay sah, daß Madlon vor Aufregung nicht fähig war, zu sprechen, und er sagte:
»Wir möchten gern zu dem Jungen, der nach dem Unfall im Millstätter See heute hier eingeliefert worden ist. Und können Sie mir auch gleich sagen, wer der behandelnde Arzt ist?«
»Der Chefarzt Dr. Raimers hat den Jungen übernommen. Der Doktor erwartet Sie auf der Station. Gleich die Treppe hoch, und dann links, Station E.«
Kay bedankte sich höflich, nahm Madlons Arm und ging mit ihr den gewiesenen Weg.
»Ich darf ihn nicht verlieren«, kam es leise über ihre Lippen, und Kay merkte, wie sie gegen die Tränen ankämpfte.
»Du wirst ihn nicht verlieren«, sagte Kay zum wiederholten Male geduldig. »Ich habe noch im Boot erste Wiederbelebungsversuche gemacht. Er wird auch keinen Schaden zurückbehalten, denn er war ja nicht lange unter Wasser. Vertrau auf das, was ich dir sage, du weißt, daß ich auch Kinderarzt bin. Ich weiß doch, wovon ich rede.«
Der Chefarzt des Krankenhauses war ein weißhaariger bärtiger Herr, der einen sehr sympathischen Eindruck auf Kay machte, als er sich ihnen vorstellte.
»Darf ich zu dem Jungen?« bat Madlon.
»Selbstverständlich«, sagte der Arzt. »Es gibt keinen Grund, der dagegen spräche. Allerdings müssen wir den Jungen wenigstens einen Tag in unserer Obhut behalten, damit wir ihn noch beobachten können. Gehen Sie nur zu ihm. Wenn Sie hier aus der Tür kommen, ist es gleich die dritte Tür auf der linken Seite.«
»Danke, Herr Dr. Raimers. Gehst du mit, Kay?« Fragend drehte sich Madlon zu Kay um.
»Nein, geh du allein, wir wollen den Jungen nicht unnötig aufregen. Wen er jetzt braucht, das bist du. Ich würde jetzt nur stören.«
Mit einem dankbaren Lächeln sah Madlon Kay an und verließ zögernd den Raum.
Als sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, sagte Dr. Raimers zu Kay:
»Sie können gern hier auf Frau van Enken warten, Herr Dr. Martens. Ich habe noch Zeit und würde mich gern ein wenig mit Ihnen unterhalten.«
»Gern, wenn ich Sie nicht von Ihrer Arbeit abhalte.«
»Fein, darf ich Ihnen vielleicht einen Kognak anbieten? Ich kann mir vorstellen, daß Sie ihn nach all den Aufregungen vertragen können.«
Kay war einverstanden, und Jakob Raimers füllte zwei Gläser.
»Darf man fragen, wo Sie praktizieren und was Ihr Fachgebiet ist? Sie sind doch Doktor der Medizin, nicht wahr?«
»Ja, das bin ich. Ich bin Kinderarzt. Chirurg. Ich bin gemeinsam mit meiner Schwester Besitzer einer Kinderklinik in der Lüneburger Heide. Es ist keine große Klinik, doch es sind immerhin zwanzig Zimmer. Wir haben ein altes Schlößchen in eine Klinik umbauen lassen. Sie liegt in der Nähe von Celle. Hier in Millstatt verbringe ich meinen Urlaub.«
»Soso, Sie sind also auch Kinderarzt. So habe ich auch einmal angefangen. Allerdings nur als Chefarzt der Kinderabteilung. Die Lüneburger Heide ist ein schönes Fleckchen Erde. Wie gefällt es Ihnen denn hier bei uns in Kärnten?«
»Es ist wunderschön hier. Ich kenne Kärnten aber noch aus meiner Kinderzeit. Es hat eben jeder Landschaftsbereich seinen eigenen Reiz.«
»So ist es. Doch eine Frage hätte ich da noch. Sind Sie vielleicht mit einem Dr. Erich Martens verwandt? Er war ein Studienkollege von mir. Ich habe ihn vor lauter Arbeit völlig aus den Augen verloren. Erst Ihr Name erinnert mich wieder an die alten Zeiten. Ich weiß aber noch, daß er in Nürnberg gelebt hat.«
»Das war mein Vater. Wir haben ihn im letzten Jahr verloren. Er hatte schon viele Jahre mit einer Herzgeschichte zu kämpfen.«
»Oh, das tut mir ehrlich leid. Er war ein prima Kerl, und er konnte schon damals etwas. So gehen die Jahre dahin, doch ich bin überzeugt, daß er sehr stolz auf seine Kinder war.«
Ehe Kay noch etwas auf die Worte des alten Arztes sagen konnte, klopfte es, und eine Krankenschwester bat ihn zu einem dringenden Fall.
»Tut mir leid, junger Freund«, sagte er mit bedauerndem Schulterzucken, »aber Sie wissen ja, wie das so
ist.«
»Genau, Dr. Raimers. Ich warte dann draußen im Gang auf Frau van Enken.«
Nachdenklich verließ Kay nach dem Arzt den Raum. Er hätte nicht erwartet, einen alten Studienkollegen seines verstorbenen Vaters zu treffen. Die Welt war wirklich klein.
*
Leise war Madlon in das Krankenzimmer getreten, in dem ihr Junge lag. Es war ein Dreibettzimmer, und sie sah Nils sofort.
»Nils, mein Liebling.«
Mit einigen schnellen Schritten war sie an seinem