Trautmanns Weg. Catrine Clay. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Catrine Clay
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783730700693
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Monat in einer Radioübertragung an die USA: „Wäre der deutsche Diktator mit einer großen Zahl friedliebender Kräfte konfrontiert worden, wäre dies eine Gelegenheit für die friedliebenden und gemäßigten Kräfte gewesen, zusammen mit der Führung der deutschen Armee Anstrengungen zu unternehmen, so etwas wie vernünftige und zivilisierte Verhältnisse in ihrem Land wiederherzustellen.“ 1945, nach dem großen Gemetzel und vielen Millionen Toten, bekräftigte er seinen Standpunkt in der „Times“: „Wären die Alliierten Hitler frühzeitig entschiedener entgegengetreten […], hätte es den gemäßigten Kräften in Deutschland, die insbesondere im Oberkommando sehr mächtig waren, die Chance verschafft, ihr Land aus dem Würgegriff dieses wahnsinnigen Systems zu befreien.“ Er ergänzte: „Präsident Roosevelt hat mich einmal gefragt, wie man diesen Krieg nennen sollte. Meine Antwort lautete: ‚Der unnötige Krieg‘.“

      Der unnötige Krieg: 1938 ahnten nur wenige Menschen in Deutschland, dass es tatsächlich Widerstand gegen Hitler und die Nazis gab. Auch nicht Bernhard und sein Vater, als sie mit der Straßenbahn vom Arbeitsamt heimkehrten. Eine der ersten Maßnahmen jeder Diktatur ist es, die Pressefreiheit einzuschränken; die einzigen Zeitungen, die die Trautmanns lasen, und die einzigen Radioübertragungen, die sie hörten, waren allesamt von Goebbels’ Ministerium für Propaganda und Volksaufklärung genehmigt worden. Radio und Zeitungen kündeten ohne Unterlass von einer Nation, die vereint sei in Liebe zu ihrem Führer, der sie aus wirtschaftlicher Not befreit, das Unrecht der Versailler Verträge rückgängig und Deutschland wieder groß gemacht habe. Wo immer der Führer auftauchte, jubelten ihm die Massen zu und skandierten: „Ein Reich! Ein Volk! Ein Führer!“

      Die Wahrheit sah ganz anders aus. Bei den letzten halbwegs freien Reichstagswahlen im März 1933 hatten die Nazis, nach zwei Monaten Schreckensherrschaft, nur 43,9 Prozent der Stimmen erreicht. Anschließend wurde das Ermächtigungsgesetz erlassen, das Hitler die uneingeschränkte Macht verlieh und der Demokratie in Deutschland endgültig den Todesstoß versetzte. Seither war die politische Opposition gezwungen, im Verborgenen zu operieren. Doch es gab sie noch: unter den Generälen des Oberkommandos, unter Politikern und Diplomaten, aber auch unter allen anderen Teilen der Bevölkerung: unter Bankern und Industriellen, unter Lehrern und Studenten, unter den einfachen Menschen in Deutschland, die nie zu den acht Millionen Mitgliedern der NSDAP zählten – eine hohe Zahl, die andererseits nur zehn Prozent der Bevölkerung ausmachte. Das Wunder ist, dass es überhaupt noch so etwas wie Opposition gab.

      Zu den Mutigsten zählten viele Arbeiter in den Häfen von Hamburg und Kiel, die traditionelle Hochburgen der Kommunisten und Sozialdemokraten waren. Im März 1936 wurde 5.000 Arbeitern in der berühmten Werft von Blohm und Voss befohlen, sich im Hauptgebäude einzufinden, um einer Rede des Führers zuzuhören. Sie wandten sich mittendrin einfach ab. Bei der Germania-Werft wurde eine andere Rede von rund 6.000 Arbeitern offen verhöhnt und verspottet, obwohl sie wussten, dass die Sturmtruppen der SA am Eingangstor warteten und sie verprügeln und ihre Anführer verhaften würden.

      „Wir werden in einem künftigen Kriege nicht nur die Front der Armee auf dem Lande, die Front der Marine zu Wasser, die Front der Luftwaffe in der Luftglocke über Deutschland haben, wie ich es nennen möchte, sondern wir werden einen vierten Kriegsschauplatz haben: Innerdeutschland.“ Mit diesen Worten wies Himmler vor dem Offizierskorps der Wehrmacht im Sommer 1937 auf „den inneren Feind“ hin, für dessen Bekämpfung weitere Konzentrationslager, Massenverhaftungen und Erschießungen politischer Häftlinge unabdingbar wären, da „die Vernachlässigung des Kriegsschauplatzes Innerdeutschland, das müssen wir uns auf jeden Fall und müssen wir uns für immer klar machen, zu einem Verlust des Krieges führen würde“.

      1938 war die Unzufriedenheit mit dem Nazi-Regime durchaus weit verbreitet. „Unser genereller Eindruck ist: Unter der Mehrheit der Menschen wächst der Unmut über das Regime stetig, und wenngleich es sich wohl nicht in offener Opposition äußert, ist sich die NSDAP darüber bewusst, dass sie nicht mehr die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich hat“, berichtete ein englischer Angestellter der Hambros Bank in Berlin dem Auswärtigen Amt in London. Solche und ähnliche Berichte gab es aus ganz Deutschland; manche davon wurden, vorwiegend geheim und teilweise verschlüsselt, durch einen Staatssekretär im Auswärtigen Amt in Berlin, Ernst von Weizsäcker, nach England weitergeleitet. Woche für Woche, so berichtete von Weizsäcker nach dem Krieg, habe er Berichte an seine Partner in London weitergegeben und damit sein Leben riskiert. In seinen Erinnerungen erklärte er: „Solche Regime wie dieses können nur mit Hilfe von außen beseitigt werden.“

      Anfangs hatte es noch Anlass zur Hoffnung gegeben. Sir Eric Phipps, seit 1933 britischer Botschafter in Berlin, warnte, es werde früher oder später Krieg geben, falls Hitler nicht in die Schranken verwiesen würde; zudem seien die Behauptungen von einem einigen Deutschland reine Propaganda, und noch sei es Zeit zu handeln. Seine Berichte gingen an Sir Robert Vansittart, dem ständigen Sekretär des Außenministers in London, der sie zusammen mit den Berichten von Ernst von Weizsäcker sowie seinen eigenen eindringlichen Warnungen an die Regierung weiterleitete. Die deutsche Opposition setzte große Hoffnungen in Vansittart. 1937 aber war Neville Chamberlain Premierminister und Phipps nach Paris versetzt worden. Sein Vertreter in Berlin war nun Sir Nevile Henderson, ein Mann, der sich strikt Chamberlains Appeasement-Politik verschrieben hatte. „Sir NH ist eine nationale Gefahr in Berlin“, warnte Vansittart, aber niemand wollte es hören. Die englische Regierung verlegte sich stattdessen darauf, alles zu vermeiden, was Hitler provozieren könnte. Als Chamberlain Premierminister wurde, ließ er den unbequemen Vansittart rasch durch Sir Alexander Cadogan ersetzen. „Ich fürchte, er schreibt eine weitere Abhandlung“, notierte Cadogan über seinen Vorgänger. „Ich kann nur hoffen, dass er nicht wieder über die deutsche Gefahr schwadroniert.“

      Bernhard war 15, als er im Januar 1939 seine Lehrstelle antrat. Das Arbeitsamt hatte ihn ein paar einfache Eignungstests ablegen lassen und ihm eine Stelle bei Hanomag verschafft, einer Firma, die Lastwagen und Fahrzeuge für die Landwirtschaft herstellte und eine Niederlassung in Bremen betrieb. Seit Hitlers Machtübernahme allerdings wurden bei Hanomag immer mehr Fahrzeuge für die militärische Aufrüstung produziert. Der kommende Krieg würde mit Kraftfahrzeugen geführt werden statt mit Pferden, und Diesel war der neue Treibstoff, der den Sieg bringen würde. Überall im Reich wurden Hunderttausende von Hitlerjungen in Fabriken und Handwerksbetrieben ausgebildet, alles mit Blick auf den Krieg.

      An den Wochentagen stand Bernhard um 5.30 Uhr auf, aß sein Frühstück aus Kaffee, Brot und Marmelade und fuhr dann mit dem Fahrrad oder bei schlechtem Wetter mit der Straßenbahn zur Arbeit. Die Haltestelle lag zu Fuß drei Minuten entfernt in der Gröpelinger Heerstraße, und die Fahrt dauerte nur 20 Minuten, danach waren es noch einmal fünf Minuten zu Fuß zum Hanomag-Werk, so dass er um 6.30 Uhr seinen Overall übergezogen hatte und bereit für die Schicht war. Im ersten Jahr war Bernhard der einzige Lehrling unter 15 ausgebildeten Mechanikern. Der Vorarbeiter im Betrieb war ein übellauniger Mann namens Budde, ein begeisterter Anhänger der Partei, der von jedem mit „Meister“ angesprochen wurde. Zum Glück war er nicht für Bernhards tägliche Ausbildung zuständig; diese Aufgabe fiel einem Mann namens Karl Wegener zu, der sein Handwerk in Lingen erlernt hatte, der Heimatstadt des berühmten Rennfahrers Bernd Rosemeyer aus der Werksmannschaft von Auto Union, die so viele Weltrekorde gebrochen hatte. Wegener war ein freundlicher Mann, der sein Handwerk verstand und dem Jungen ein guter Ausbilder war. Sie kamen von Anfang an prima miteinander zurecht.

      Mit Dieselgeräten zu arbeiten war eine schmutzige, stinkende Angelegenheit, vor allem im Winter, wenn die Lastwagenmotoren demontiert und mit einer beißenden Benzinlösung gereinigt werden mussten. Oft musste Bernhard in einer Grube unter den Fahrzeugen arbeiten. Am Ende der Schicht waren seine Hände rissig und die Nägel schwarz vor Dreck und Öl. Seine Overalls waren am Ende einer Arbeitswoche vor lauter Schmiere und Fett so starr und steif, dass sie von alleine aufrecht standen. Es gab zwei Pausen am Tag, eine von 9.45 bis 10 Uhr und eine weitere von 12 bis 12.30 Uhr. Dann aß Bernhard das Mittagessen, das seine Mutter am Abend vorher zubereitet hatte. Feierabend war um fünf, außer samstags, dann war die Schicht um 12.45 Uhr zu Ende, und die Belegschaft musste die komplette Werkstatt gründlich schrubben – die Fenstersimse, die Werkbänke, die Gruben und den Boden, der so dreckig war, dass dem Schmutz nur mit einem speziellen Reinigungsmittel von Henkel namens P3 beizukommen war. Zuallererst aber musste die ganze dicke Dieselschmiere heruntergekratzt