Catrine Clay
Trautmanns Weg
Vom Hitlerjungen zur englischenFußball-Legende
Mit einem Epilog von Michael Dittrich
VERLAG DIE WERKSTATT
Aus dem Englischen von Olaf Bentkämper | |
Gefördert durch dieDFB-Kulturstiftung Theo Zwanziger |
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ISBN 978-3-7307-0069-3
„Er war der beste Torhüter, gegen den ich je gespielt habe. Wir sagten immer: Schau nicht aufs Tor, wenn du gegen Bert treffen willst. Denn wenn du das tust, sieht er dir in die Augen und liest deine Gedanken.“
Bobby Charlton
„Mit 17 habe ich mich freiwillig gemeldet. Ich war Fallschirmjäger. Ich habe drei Jahre in Russland gekämpft. Ich war nach dem D-Day in Frankreich. Ich war in Arnheim, ich war in den Ardennen. Im März 1945 wurde ich gefangen genommen und kam als Kriegsgefangener nach England. Damals begann meine eigentliche Erziehung, mit 22, in England.“
Bernd Trautmann
Vorwort
Eines vorweg, liebe Leserinnen und Leser, Bernd Trautmann wird uns fehlen. Durch seinen Tod verlieren wir einen der vielleicht legendärsten Torhüter in der Geschichte des Fußballs, aber auch einen Versöhner und Mahner, ein Vorbild für Generationen von Menschen und echten Freund.
Als kleiner Junge habe ich ungläubig über die Geschichte von Bernd Trautmann gestaunt. Er ist als Kriegsgefangener nach England gekommen, blieb dort – und wurde auf der Insel zum umjubelten Helden. Er war ein großartiger Sportler und wahrer Gentleman.
Seine größte Heldentat ist nicht zur Nachahmung empfohlen und doch bis heute ein Beispiel dafür, wie groß die Kraft des Willens ist. Im Finale des FA Cups werden häufig Legenden geboren, im Londoner Wembley-Stadion wäre 1956 beinahe ein Spieler gestorben, bevor er zur Legende werden konnte. Bei einem Zusammenprall mit Birminghams Peter Murphy brach sich Trautmann das Genick, fünf Halswirbel waren ausgerenkt. Trautmann spielte weiter und sicherte Manchester City mit seinen Paraden den Sieg im FA Cup. Dass er überlebte, gilt bis heute als medizinisches Wunder.
Im Rahmen der Europameisterschaft 1996 habe ich in meiner damaligen Funktion des Pressechefs Präsident Egidius Braun empfohlen, Bernd Trautmann zum Mitglied der deutschen Delegation der EM in England zu machen. An die gemeinsame Zeit denke ich noch häufig. Trautmann und seinen Meriten haben wir es zu verdanken, dass unser Verhältnis zu den Gastgebern immer von Respekt und Zuneigung geprägt war. Und das, obwohl es damals wegen der BSE-Krise durchaus Spannungen zwischen Deutschland und England gegeben hat. Ich erinnere mich noch gut an eine Pressekonferenz im Rathaus von Manchester mit Trautmann und Klinsmann, damals Torjäger bei Tottenham Hotspurs. Klinsmann stand für die Aktualität und Trautmann für die Tradition – das hat uns große Sympathien eingebracht.
Für seine Verdienste hat Trautmann im Jahr 2008 vom DFB die Verdienstnadel mit Brillant verliehen bekommen, genug würdigen kann man ihn nicht. Er war immer ein wunderbarer Botschafter des deutschen Sports. Seine Rolle als deutsch-englischer Versöhner nach den Schrecken des Zweiten Weltkrieges und seine leidenschaftliche Arbeit als Entwicklungshelfer in Sachen Fußball machte ihn unsterblich. Er war damals ein Glücksfall für die deutsche Delegation, so wie er ein Glücksfall für Manchester City, den deutschen Fußball und für Deutschland gewesen ist. Seine außergewöhnliche Karriere wird für immer in den Geschichtsbüchern bleiben.
August 2013
Wolfgang Niersbach, Präsident des Deutschen Fußball-Bundes
Prolog
Im Oktober 2007 stieg ich in Manchester am Bahnhof Piccadilly aus dem Zug, um Bert Trautmann zu treffen. Er erwartete mich auf dem Bahnsteig, groß gewachsen, elegant gekleidet, auch mit seinen 84 Jahren noch eine attraktive Erscheinung. Als wir über den Bahnsteig gingen, kam ein Mann auf uns zu.
„Sie sind Bert Trautmann, nicht wahr?“
„Der bin ich“, bestätigte Bert in seinem eigentümlich deutsch eingefärbten Lancashire-Dialekt.
„Darf ich Ihnen die Hand geben, Sir?“
Sie gaben sich die Hand und wechselten ein paar Worte: die Fußball-Legende, Held von Manchester City, der Torwart, der sich im Pokalfinale das Genick brach und dennoch weiterspielte. Dann wünschte Bert ihm alles Gute und wir gingen weiter.
Wir nahmen ein Taxi zum Restaurant, wo wir über die Idee zu diesem Buch sprechen wollten.
„Bert Trautmann, nicht wahr?“, drehte sich der Fahrer zu uns um. „Sie waren der Held meiner Kindheit. Wie geht es Ihnen?“, fragte er.
„Ich kann nicht klagen, vielen Dank“, antwortete Bert.
Später im Restaurant kam der Küchenchef an unseren Tisch und bat Bert um ein Autogramm für einen Sohn. So ging es weiter, wohin wir auch gingen. Mehr als 50 Jahre lag das Pokalfinale inzwischen zurück, aber in Manchester erinnern sich die Leute immer noch an Bert, ihren Jerry-Torhüter, und wollen ihm die Hand geben. „Jerry“ oder „Fritz“ oder „Kraut“ nannten die Engländer im Zweiten Weltkrieg die deutschen Soldaten.
„So geht das immer“, lächelt Trautmann und zuckt die Achseln. „Ich bekomme immer noch fast täglich Fanpost. Letzte Woche bekam ich sogar einen Brief aus China! Unglaublich!“ Das Wort „unglaublich“ verwendet Bert ziemlich oft, nicht zuletzt, weil es auf so viele Erfahrungen in seinem Leben zutrifft. „Damals habe ich nach jedem Spiel eine Stunde und noch länger Autogramme gegeben. Anfangs hat mich der ganze Rummel ein bisschen überfordert, aber ich konnte schon immer schlecht nein sagen, also blieb ich bis lange nach dem Spiel und schrieb Autogramme, total erschöpft, aber ich habe es trotzdem gemacht. Meine Kollegen wunderten sich darüber, sie konnten das nicht verstehen. Nach dem Krieg, als ich nicht weit von hier in Ashton-in-Makerfield in Gefangenschaft war, sind mir die Leute mit so viel Verständnis, so viel Vergebung und so viel Freundschaft begegnet, dass ich ihnen etwas zurückgeben wollte. Ich wollte zeigen, dass es auch gute Deutsche gab und nicht nur böse.“
Beim Essen sprachen wir über sein Leben: die Kindheit in Nazi-Deutschland, die Hitlerjugend, seine Zeit als Freiwilliger bei der Luftwaffe mit gerade 17 Jahren, die Kämpfe in Russland und alles andere. Vor allem aber über Sport. „Sport war mein Leben“, sagte er. „Er hat mich durch Höhen und Tiefen begleitet, selbst in Russland, als wir uns nachts aus Angst vor den Partisanen hoch oben in den Bäumen festbinden mussten, um schlafen zu können. Selbst damals hatte unser Regiment ein Handballteam, und hin und wieder wurden wir von der Front abgezogen, um gegen andere Mannschaften zu spielen. Das half uns, nicht den Verstand zu verlieren. Später, nach dem Krieg, in England, war es der Fußball. Ich wurde Torwart von Manchester City und war plötzlich