Innerhalb des SSM ist die EZB für die direkte Aufsicht über „bedeutende Institute“ der Euro-Zone zuständig.[35] In Sachen NPLs hat die EZB mit einem Leitfaden (Guidance) ihre aufsichtlichen Erwartungen an die von ihr beaufsichtigten Instituten dargelegt.
4.3.1 NPL-Leitfaden
Am 20.03.2017 – also gut ein Jahr bevor die EU-Kommission die Verordnung zum NPL-Backstop vorschlug – hat die EZB einen Leitfaden zu notleidenden Krediten veröffentlicht.[36] Der Leitfaden legt die Erwartungen der EZB an die Erfassung, Verwaltung, Bewertung und Abschreibung von NPLs dar. Er gilt für alle „bedeutenden Institute“, die direkt von der EZB beaufsichtigt werden. Der Leitfaden thematisiert die NPL-Strategien der Institute, ihre Governance und Ablauforganisation für NPLs, Forbearance-Maßnahmen und die bilanzielle Behandlung und Erfassung von NPLs. Er enthält qualitative Leitlinien zu Wertberichtigungen, Abschreibungen und der Bewertung von Sicherheiten. Insgesamt ist der NPL-Leitfaden damit qualitativer Art.
Der Leitfaden ist nicht verbindlich. Die EZB erwartet allerdings, dass Banken „auf Verlangen der Aufsichtsbehörden bei Abweichungen eine nachvollziehbare Erklärung und eine fundierte Begründung abgeben“.[37] Die EZB betont, dass der Leitfaden keine Level-I-Regeln (in EU-Verordnungen oder -Richtlinien), nationale Umsetzungsgesetze oder Leitlinien der EBA[38] ersetzt, sondern NPL-Fragen klärt, die „in den bestehenden Verordnungen, Richt- oder Leitlinien nicht oder nicht spezifisch genug geregelt sind“.[39]
4.3.2 Addendum für neue NPLs
Nachdem die EZB nach Ende der Konsultation zum NPL-Addendum auf ihre Annahme verzichtete, legte sie nur einen Tag nach dem Kommissionsvorschlag für eine Verordnung zum NPL-Backstop, also am 15.03.2018, ihre finale Version des Addendums vor (vgl. Abschnitt 4.1).[40]
Das Addendum konkretisiert den NPL-Leitfaden und legt die Erwartungen der EZB bezüglich des Ausmaßes an aufsichtlicher Risikovorsorge der Banken für NPLs dar. Wie schon der Leitfaden ist das Addendum „nicht verbindlich“ und gilt nur für die direkt von der EZB beaufsichtigten „bedeutende Institute“.[41]
Wohl vor dem Hintergrund des vorangegangen Kompetenzstreits (vgl. Abschnitt 4.1) betont die EZB erneut, dass das Addendum „geltende regulatorische Anforderungen oder Rechnungslegungsanforderungen nicht ablöst oder ersetzt.“[42] Auch die Verordnung zum NPL-Backstop geht indirekt auf das Verhältnis mit dem EZB-Leitfaden ein. Die Verordnung „sollte die zuständigen Behörden [hier: die EZB] nicht daran hindern, ihre Aufsichtsbefugnisse […] auszuüben. Stellen die zuständigen Behörden im Einzelfall fest, dass die notleidenden Risikopositionen eines bestimmten Instituts trotz Anwendung der durch diese Verordnung eingerichteten aufsichtsrechtlichen Letztsicherung für notleidende Risikopositionen nicht ausreichend gedeckt sind, können sie von ihren […] Aufsichtsbefugnissen Gebrauch machen, einschließlich der Befugnis, Instituten eine bestimmte Rückstellungspolitik oder eine bestimmte Behandlung ihrer Aktiva vorzuschreiben.“[43]
Ähnlich wie bei der Verordnung zum NPL-Backstop gilt das EZB-Addendum nur für neue NPLs, nicht aber für den Bestand an NPLs. Die EZB nutzt dabei allerdings eine andere Definition als der EU-Gesetzgeber. Während die Verordnung nur solche Risikopositionen betrifft, die nach dem 26.04.2019 begründet wurden – und entsprechend später notleidend wurden – findet das EZB-Addendum Anwendung auf alle Risikopositionen, die ab dem 01.04.2018 als notleidend eingestuft werden. Der Geltungsbereich des EZB-Addendums ist damit deutlich weiter gefasst (vgl. Tabelle 2).
Tabelle 2: Erwartungen der EZB bezüglich der Mindestdeckungshöhen bei NPLs
Jahr nach Einstufung als NPL | 0 | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 |
Unbesicherte NPLs | 0% | 0% | 100% | 100% | 100% | 100% | 100% | 100% | 100% | 100% |
Besicherte NPLs | 0% | 0% | 0% | 40% | 55% | 70% | 85% | 100% | 100% | 100% |
Die Erwartungen der EZB erweisen sich strenger als die Anforderungen der Verordnung (vgl. Abbildung 5). Der EU-Gesetzgeber weist darauf hin, dass es möglich ist, dass „zuständige Behörden im Einzelfall über die Anforderungen dieser Verordnung hinausgehen, um eine ausreichende Deckung notleidender Risikopositionen zu gewährleisten“.[44]
Abbildung 5: EZB-Erwartungen und die Anforderungen der Verordnung im Vergleich
Quelle: EZB-Addendum und Verordnung (EU) 2019/630
Die EZB will die Einhaltung ihrer Erwartungen im Rahmen eines jährlich stattfindenden SREP-Aufsichtsdialogs (Supervisory Review and Evaluation Process) prüfen. Die Banken müssen daher erst ab 2021 die Kapitaldeckung melden, welche den Erwartungen der EZB für unbesicherte NPLs nicht genügen.
4.3.3 NPLs im Bestand
Sowohl die Verordnung zum NPL-Backstop als auch das EZB-Addendum richten sich – wenngleich mit Abweichungen im Detail – an neue NPLs. Den derzeit teilweise sehr hohen Bestand an NPLs in der EU adressieren sie nicht. Die im Kontext von Bankenunion und ESM-Review immer wieder betonte Notwendigkeit einer Risikoreduzierung können beide Initiativen daher kaum leisten.
In einer Pressemitteilung vom 11.07.2018 kündigte die EZB „weitere Schritte beim aufsichtlichen Ansatz“ auch für den Bestand an NPLs an.[45] Erneut gerichtet an die direkt beaufsichtigten „bedeutende