4.2.1 Betroffene, Ziel und Geltungsbereich
Da die Verordnung zum NPL-Backstop formell gesehen lediglich die bestehende Eigenkapitalverordnung ändert, nicht aber deren Geltungsbereich, ist der NPL-Backstop relevant für alle CRR-Kreditinstitute (Capital Requirements Regulation), d.h. alle Unternehmen, deren Tätigkeit darin besteht, Einlagen oder andere rückzahlbare Gelder des Publikums entgegenzunehmen und Kredite für eigene Rechnung zu gewähren.[30] Die Verordnung gilt damit für alle CRR-Kreditinstitute der gesamten EU, unabhängig davon, ob sie als „bedeutendes Institut“ der direkten Aufsicht der EZB unterliegen, oder als „weniger bedeutendes Institut“ von der nationalen zuständigen Behörde beaufsichtigt werden, oder außerhalb der Euro-Zone angesiedelt sind.
Die Verordnung zum NPL-Backstop zielt nicht darauf ab, den hohen Bestand an NPL in den europäischen Bankenbilanzen zu reduzieren. Die „Hauptverantwortung für den Abbau notleidender Risikopositionen [liegt] bei den Banken und Mitgliedstaaten“.[31] Das eigentliche Ziel der Verordnung ist es vielmehr, „ein künftiges übermäßiges Anwachsen von notleidenden Krediten ohne ausreichende Verlustdeckung in den Bankbilanzen [zu] verhindern“.[32] Damit sollen die notwendigen (politischen) Voraussetzungen für die Stärkung der Bankenunion erreicht, der Wettbewerb im Bankensektor und die Finanzstabilität gewahrt und die Kreditvergabe gefördert werden, sodass in der EU Arbeitsplätze und Wachstum entstehen.[33]
Die Tatsache, dass die Verordnung gerade nicht das NPL-Bestandsproblem lösen soll, spiegelt sich darin wider, dass sie lediglich solche Risikopositionen betrifft, die nach dem 26.04.2019 begründet wurden – und entsprechend später notleidend werden.[34]
4.2.2 Mindestdeckung
Hauptbestandteil der Verordnung zum NPL-Backstop ist eine EU-weit harmonisierte Mindestdeckungshöhe für notleidende Kredite. Unterschreitet ein CRR-Kreditinstitut die Mindesthöhe, sind Abzüge bei den Eigenmitteln der Bank vorgesehen.
Zu diesem Zweck wird Art. 36 Abs. 1 der CRR-Verordnung ergänzt. Als weiterer Abzug von den Posten des harten Kernkapitals gelten nun auch die Beträge der unzureichenden Deckung notleidender Risikopositionen. Der neue Art. 47c CRR regelt die konkreten Mindestdeckungshöhen.
Die Verordnung zum NPL-Backstop schreibt nun den Zeitraum vor, innerhalb dessen notleidende Kredite mit Kapital gedeckt sein müssen. Die Verordnung unterscheidet dabei zwischen (1) unbesicherten Risikopositionen und solchen, die durch (2) Immobilien oder (3) andere Leistungen besichert sind.
Die Verordnung sieht folgende Mindestdeckungshöhen vor, jeweils ab dem ersten Tag des x-ten Jahres nach Einstufung der Risikoposition als notleidend (Tabelle 1).
Tabelle 1: Mindestdeckungshöhen
Jahr nach Einstufung als NPL | 0 | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 |
Unbesicherte NPLs | 0% | 0% | 35% | 100% | 100% | 100% | 100% | 100% | 100% | 100% |
Durch Immobilien besicherte NPLs | 0% | 0% | 0% | 25% | 35% | 55% | 70% | 80% | 85% | 100% |
Anderweitig besicherte NPLs | 0% | 0% | 0% | 25% | 35% | 55% | 80% | 100% | 100% | 100% |
Dass diese Regelung nicht den NPL-Bestand betrifft, macht folgendes Beispiel deutlich. Die Regeln der Verordnung erfassen frühestens solche Risikopositionen, die am 26.04.2019 entstanden und am gleichen Tag notleidend wurden. In diesem Fall greift die erste positive Mindestdeckungshöhe von 35% (für unbesicherte NPLs) also erst ab dem 26.04.2021. Bei besicherten Risikoposition greifen die Deckungsvorschriften (von 25%) sogar erst ab dem 26.04.2022. Je nach Risikoposition ist die volle Kapitaldeckung damit nach drei, neun oder sieben Jahren vorgesehen.
Nach der jeweils ersten Stundungsmaßnahme im zweiten Jahr (für unbesicherte Risikopositionen) bzw. zwischen dem dritten und siebten Jahr (für besicherte Risikopositionen) nach der Einstufung als notleidend verlängert sich die Periode, innerhalb derer eine volle Kapitaldeckung erreicht werden muss, um ein weiteres Jahr.
4.2.3 Einschätzung
Wie die Kommission selbst angibt, kann diese Verordnung das Problem der aktuell hohen NPL-Bestände nicht lösen, da sie nur für künftige NPLs greift. Allerdings lässt die Verordnung die Haltekosten künftiger NPLs – faktisch allerdings frühestens ab 2021 – ansteigen. Der Anreiz für Banken, hohe Rückstellungen für NPLs zu vermeiden und diese frühzeitig am Sekundärmarkt zu veräußern, steigt damit. Voraussetzung dafür, dass dieser Anreizmechanismus auch funktioniert und eine erneute Anhäufung von NPLs vermieden wird, ist allerdings die Existenz eines funktionsfähigen und effizienten Sekundärmarkts für notleidende Kredite: Zu geringe Preise am Sekundärmarkt reduzieren die Opportunitätskosten, die mit dem Halten der NPLs verbunden sind. Dringend notwendig wäre daher ein EU-Regelungsrahmen zu NPL-Sekundärmarkten; dieser Rahmen ist jedoch derzeit (noch) nicht vorhanden (vgl. Abschnitt 5).
Ob die Verordnung die Kosten für das Halten künftiger NPLs – unabhängig davon, wie effizient sich der Sekundärmarkt erweist – hoch genug ansetzt, bleibt abzuwarten. Sowohl die EZB als auch die EU-Kommission hatten höhere Mindestdeckungshöhen vorgeschlagen. Die EZB verlangte (im Draft Addendum) – wie auch die EU-Kommission – die volle Kapitaldeckung für unbesicherte Positionen ein Jahr früher als es die Verordnung nun postuliert.
Bei den besicherten Risikopositionen bestanden Rat und Parlament darauf, dass die Pflicht zur Bildung einer zusätzlichen Kapitaldeckung deutlich später als von der EU-Kommission vorgeschlagen einsetzt. V.a. die Schaffung einer zusätzlichen Kategorie von durch Immobilien besicherten Risikopositionen führt zu einer Streckung der Deckungspflichten, sowohl am Anfang als auch