3 NPL – ein Sachstand
Die NPL-Quote in der Euro-Zone ist nach wie vor hoch im internationalen Vergleich und innerhalb der Euro-Zone sehr heterogen. Zwar sank die NPL-Quote im gewichteten EU-Durchschnitt zwischen März 2017 und Juni 2020 von 4,8% auf 2,9%. Das kommt einer Reduzierung um 39,6% gleich. Die Unterschiede innerhalb der Euro-Zone bleiben jedoch beträchtlich (Abbildung 1). Seit Ausbruch der COVID-19-Pandemie im Frühjahr 2020 steigt die NPL-Quote in der Euro-Zone wieder an, wenngleich – vorerst – nur sehr moderat.
Abbildung 1: NPL-Quote in der Euro-Zone
Quelle: EBA Risk Dashboard
Im Juni 2020 überschritten nur sieben Mitgliedstaaten der Euro-Zone den gewichteten EU-Durchschnitt von 2,9% an NPLs. Besonders deutlich war dies der Fall in Griechenland (30,3%) und Zypern (15,5%). Auch Italien (6,1%) und Portugal (5,7%) überschreiten den Durchschnitt sehr deutlich vor Irland (4%), Malta (3,5%) und Slowenien (3,2%). Deutlich geringer sind die absoluten Unterschiede zwischen den NPL-Quoten der zwölf übrigen Euro-Staaten (Abbildung 2).
Abbildung 2: NPL-Quote im EU-Vergleich
Quelle: EBA Risk Dashboard
Mit Ausnahmen von Luxemburg, Estland und Finnland konnten alle Euro-Staaten ihre NPL-Quote seit 2016 reduzieren (Abbildung 3). In den genannten Staaten ist die NPL-Quote allerdings sehr gering.
Abbildung 3: NPL-Quoten in den Euro-Staaten seit 2016
Quelle: EBA Risk Dashboard
Von den sieben Euro-Staaten mit einer überdurchschnittlich hohen NPL-Quote weisen nur zwei eine unterdurchschnittliche Reduzierung ihrer Quote auf. Während die NPL-Quote in der EU seit Juni 2016 um 46,3% sank, fiel sie in Griechenland und Malta um lediglich 35%. Die stärksten Rückgänge sind in Slowenien (–83%), Irland (–73%), Portugal (–72%) und Zypern (–67%) zu beobachten. Italien konnten die Quote 63% reduzieren. In Euro-Staaten mit einem geringen Bestand an notleidenden Krediten, wie Luxemburg, Finnland und Estland, blieb die jeweilige NPL-Quote hingegen unverändert oder stieg auf niedrige bis moderate Niveaus an (Abbildung 4).
Abbildung 4: Prozentuelle Reduzierung der NPL-Quoten
Quelle: EBA Risk Dashboard
Während kleine Banken Mitte 2016 noch einen überproportional hohen Anteil an NPLs aufwiesen, hat sich dies mittlerweile geändert. Die durchschnittliche NPL-Quote kleiner Banken beträgt mittlerweile – Stand: Juni 2020 – gut 4%, verglichen mit mehr als 20% Mitte 2016. Kleine und – v.a. – mittelgroße Banken weisen dennoch immer noch einen höheren Anteil an NPLs als große Banken auf.[22]
Die NPL-Coverage-Ratio stieg bis März 2018 im EU-Durchschnitt auf 46,7% an. Seitdem sinkt sie wieder auf zuletzt 45% im 2. Quartal 2020. Die Coverage Ratio für Zypern (47%) und Griechenland (44%) bewegen sich nahe am Durchschnitt.[23]
4 Prudentielle NPL-Regulierung der EU
Dieser Abschnitt schildert die wichtigsten prudentiellen Vorschriften für notleidende Kredite auf europäischer Ebene. Es werden die gesetzlichen Vorschriften der Säule I (Abschnitt 4.2), die aufsichtlichen Erwartungen der Säule II (Abschnitt 4.3) sowie deren Verhältnis zueinander (Abschnitt 4.1) thematisiert.
4.1 Kompetenzstreit
Am 04.10.2017 veröffentlichte die EZB das „Draft Addendum to the ECB Guidance to banks on non-performing loans: Prudential provisioning backstop for non-performing exposures“.[24] Das Addendum war von der NPL-High-Level-Group, bestehend aus nationalen Aufsehern und EZB-Vertretern für den SSM Supervisory Board vorbereitet worden. Es wurde als Entwurf (Draft) zur Konsultation freigegeben. Ziel war eine Anwendung ab Januar 2018 auf alle direkt von der EZB beaufsichtigten Institute.
Das Addendum enthielt quantitative Erwartungen seitens der Aufsicht zur Mindestrisikovorsorge für neue NPLs. Der SSM begründete diese Erwartung mit dem Ziel, einen erneuten Anstieg der Anzahl und des Umfangs an NPLs in der Zukunft zu vermeiden.[25]
Da die Erwartungen des SSM über die damaligen Vorschriften zur Risikovorsorge aus der Eigenkapitalverordnung hinausgingen und allgemeinen Charakters waren, entbrannte eine Diskussion darüber, ob die EZB und der SSM mit dem Addendum ihre Befugnisse überschritten. Der SSM betonte, dass es sich lediglich um Erwartungen und nicht um neue verbindliche Vorschriften handelt.[26] Insbesondere das Europäische Parlament sah die Grenze zur allgemeinen EU-Rechtssetzung, wozu nur das Parlament und der Rat befugt sind, jedoch überschritten. Ein im Auftrag des Präsidenten des Europäischen Parlaments erstelltes Gutachten des juristischen Dienstes des Parlaments kam am 08.11.2017 zum Schluss, dass die EZB nicht über die Befugnis zur Annahme des Addendums verfügt.[27]
Vor dem Hintergrund dieser Diskussion wurde der EU-Gesetzgeber aktiv. Die EU-Kommission schlug am 14.03.2018 ein Paket mit Vorschlägen zu notleidenden Krediten vor. Teil dieses Pakets war ein Vorschlag zur Einführung von Mindesteigenkapitalvorschriften zur Unterlegung von NPLs durch entsprechende Änderungen der Eigenkapitalverordnung; eben eine solche Änderung in Säule I, die das Europäische Parlament für sich beansprucht hatte.
Die EZB hatte solange abgewartet. Sie verzichtete auf die Anwendung des Draft Addendums ab Januar 2018. Stattdessen legte sie nur einen Tag nach dem EU-Kommissionsvorschlag, also am 15.03.2018, ihre finale Version des Addendums vor. Es liegt nahe, hier von einer Abstimmung zwischen der EU-Kommission und der EZB auszugehen.
4.2 Mindestrisikovorsorge in Säule I
Am 14.03.2018 schlug die EU-Kommission Änderungen an der Eigenkapitalverordnung (EU) Nr. 575/2013 vor.[28] Ziel war es, einen Prudential Backstop für NPLs zu schaffen, d.h. quantitative Kapitalvorschriften an Banken, um eine ausreichende Kreditverlustdeckung für notleidende Kredite sicherzustellen. Nach Abschluss der Trilogverhandlungen zwischen Parlament und Rat im Januar 2019 wurde die Verordnung am 25.04.2019 im Amtsblatt der EU veröffentlicht.