Thriller Spannung ohne Ende! Zehn Krimis - 2000 Seiten. Alfred Bekker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alfred Bekker
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Зарубежные детективы
Год издания: 0
isbn: 9783745202786
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auf zwei, er als «Referatsleiter» auf vier. So oder so blieben es entsetzliche Schläuche mit grau gestrichenen Betonwänden (Bilder mußten geklebt werden), Einbauschränken mit scharfen Kanten neben den Türen und Neonleuchten. Natürlich gab es keine Verbindungstüren, nach dem Motto: Jeder für sich in seiner Klause, und der zu schmale Flur für uns alle. Der allgemeine Protest hatte wenigstens in diesem Punkt gefruchtet: Noch während des Baus begann der Umbau, wurden einige Verbindungstüren durchgestemmt. Nicht ändern ließ sich freilich der Geburtsfehler dieses Bastards, die vielen Innenräume ohne Tageslicht, in denen die Klimaanlage pausenlos rauschte. In einem ebenso hartnäckigen wie beschimpfungsreichen Streit mit der Belegabteilung hatte Lewohlt durchgesetzt, daß seine Mitarbeiter alle Zimmer mit Fenstern bekamen und daß sich diese Fenster tatsächlich auch öffnen ließen. Dafür wurden die Vernehmungszimmer nach innen verlegt, und das Gefühl des Eingeschlossenseins hatte manchen hartnäckigen Kunden zermürbt. Die mit mattweißen Blechen verkleideten Innenwände züchteten Klaustrophobien. Optimal untergebracht waren von Anfang an nur die Computer und Terminals; das ganze Haus steckte voller Elektronik, und nach deren Bedürfnissen hatten sich alle zu richten.

      Einige wenige - unter ihnen Lewohlt - taten es nicht.

      Im Präsidium hielt sich hartnäckig das Gerücht, eine Schweizer Firma, spezialisiert auf Management-Consulting, habe nicht nur den Bau entworfen, sondern auch das Organisationsschema der Polizei. Daran glaubte Lewohlt nicht: Die Organisation mußte von der Firma stammen, die den gesamten elektronischen Schmutz geliefert hatte. Ihre Monteure waren mittlerweile ein fester Bestandteil des Hauses geworden. Die Systeme stürzten immer noch ab oder produzierten Blödsinn, was auch daran liegen mochte, daß ständig Neues eingebaut und erprobt wurde.

      Vom zehnten Stock aus hatte man einen ungestörten Blick auf die ganze Innenstadt, über deren Dächern nun schon seit Wochen die Hitze flimmerte. Wenn er nichts zu tun hatte, stand er oft am Fenster und träumte vor sich hin; das lebhafte Gewimmel war dann weit weg, das ununterbrochene Rauschen des Verkehrs sank herab, bis er es nicht mehr vernahm, und in diesen Minuten gehörte er nicht mehr dazu.

      Ein Kaffee wäre gut. Er brauchte jetzt unbedingt einen Kaffee!

      Jürgen Fischer kam eine halbe Stunde später in das Zimmer gehinkt. Er sah älter aus als fünfundvierzig. Vor sieben Jahren war er bei einer irrsinnigen Verfolgungsfahrt schwer verunglückt; die Ärzte amputierten ihm das linke Bein unterhalb des Knies und die linke Hand. Sein immer noch volles Haar war restlos ergraut, sein Gesicht zerfurcht. Personalabteilung, Vertrauensärztlicher Dienst und die allmächtige PK, die sich überall einmischende Personalkommission, wollten ihn vorzeitig pensionieren. Mehrere Wochen mußte Lewohlt kämpfen, um ihn zu seinem Stellvertreter zu machen. Sie verstanden sich seitdem ohne viele Worte. Fischers einzige Tochter war wenige Monate nach seinem Unfall tot in einer Bahnhofstoilette aufgefunden worden, neben ihr das zerbrochene Spritzbesteck, mit dem sie sich den goldenen Schuß verpaßt hatte. Der schweigsame Fischer wurde wortkarg. Er war ein gläubiger Katholik, der sich in seiner knappen Freitzeit um straffällige Jugendliche kümmerte. Seine Frau mochte Lewohlt nicht leiden und haßte die ganze Polizei.

      «Was ist los, Richard?»

      Er berichtete kurz, und Fischer stellte keine Fragen.

      «Wer kommt noch?»

      «Pedder und Heppel.»

      «Gut, dann koche ich mal Kaffee.» Fischer lächelte nur kurz. Überall wurde Personal eingespart, die Kaffee-Küche blieb über das Wochenende geschlossen, und eine Sekretärin für den Sonntagsdienst stand jenseits aller Möglichkeiten.

      Jens Peter Peddersen war eine Marke für sich. Bis heute blieb es Lewohlt ein Rätsel, wie Pedder die diversen Prüfungen geschafft hatte, wie er überhaupt zum Polizeidienst angenommen worden war. Die Natur hatte ihn mit 1,95 Meter Körperlänge und jackensprengenden Schultern gesegnet, außerdem mit einer weizenblonden Lockentolle, vor der jeder Friseur kapitulierte, dunkelblauen Augen und einem länglichen, kräftigen Gesicht. Wenn man ihn ansprach, zwinkerte er überrascht, weil man ihn aus anderen Sphären auf die Erde zurückholte. Zehn Sekunden schien er richtig zuzuhören, dann begann er wieder zu träumen. Noch nie hatte es ein Vorgesetzter fertiggebracht, Pedder zur Eile anzutreiben. Auf der Straße war er so unauffällig wie eine Giraffe mit zwei Köpfen, und wenn er dann seine langen Beine vorsichtig, wie auf einem schwankenden Boot, bewegte, drehten sich die Passanten nach ihm um. Nur seine friedlich-verträumte Miene hinderten die Leute daran, ihn nach dem ersten Blick für dumm zu halten, obwohl Pedder alles tat, diesen Eindruck hervorzurufen.

      Andy hatte das lange Ende angestaunt: «Mein Gott, ein echter Ostfriese!» worauf Pedder verträumt lächelte. «Willst du etwa bei uns arbeiten?»

      «Ich weiß nicht...»

      «So, du weißt nicht.» Andy stemmte die Fäuste in die Seite und mußte den Kopf in den Nacken legen. «Du weißt nicht. Is ja prächtig! Wir werden wunderbar Zusammenarbeiten.»

      «Meinst du?» Pedder sprach bedächtig und laut, als reiße ihm der Wind die Silben von den Lippen.

      «Das meine ich! Weißt du, früher hatte ein ordentlicher Mann seinen Sklaven. Dann seinen Neger. Heute seinen Türken. Ich werde der erste sein, der seinen Ostfriesen hat.»

      «Ja?» Pedder war im Ruhrgebiet geboren und aufgewachsen, hatte die See im Alter von achtzehn Jahren zum erstenmal gesehen und wußte nicht einmal genau, wie Lewohlt später herausfand, wo Ostfriesland liegt. Aber er schmunzelte breit und musterte von oben herunter den vorlauten Andy mit sichtlichem Wohlwollen. Und die beiden verstanden sich. Wann immer sie vor Zeugen zusammentrafen, hackte Andy auf ihm herum, kommandierte, schimpfte oder klagte lautstark über die Langsamkeit seines Kollegen. Pedder zwinkerte fröhlich und hob manchmal ehrlich erstaunt die Augenbrauen, wenn sich Andy eine neue Beschimpfung ausgedacht hatte. Er redete nicht gerne und selten in vollständigen Sätzen. Alles in allem schien er das Musterbeispiel dafür abzugeben, wie ein Kriminalbeamter nicht beschaffen sein sollte, doch hinter dieser Teddybären-Gemütlichkeit verbarg sich etwas, das vielen fehlte, nämlich die Fähigkeit, sich in die Gedanken anderer Menschen hineinzu versetzen. Schon mancher ihrer Kunden hatte geglaubt, das todsichere Versteck oder die unschlagbare Masche gefunden zu haben, bis Pedder nachzusinnen begann.

      Kriminaloberinspektor Heppel meldete sich zum Dienst, ein unauffälliger, etwas dicklicher Enddreißiger, der sich gerne in seinem Zimmer mit den Terminals, Bildschirmen und sonstigen Geräten vergrub.

      Lewohlt brummte: «Wollen Sie einen Kaffee?» und schob ihm seine Notizen hin.

      Eine halbe Stunde geschah gar nichts. Die Routine war angelaufen, und zur Routine gehörten auch die langen Pausen. Dann steckte Pedder den Kopf ins Zimmer und gab in seiner silbensparenden Art bekannt: «Alles eingegeben - gleich.»

      Widerwillig stand Lewohlt auf, nahm seinen Kaffeetopf mit und schlich in Heppels Zimmer, der sofort murmelte: «Es dauert noch.»

      Lewohlt blies geistesabwesend auf seinen heißen Kaffee und döste vor sich hin. So viel friedliche Ruhe gab es selten, und mit jeder Minute kroch die Müdigkeit höher. Dann blinkte ein hellgrünes Viereck auf dem Bildschirm. Heppel tippte eine Zahlenkombination, drückte eine Taste und sagte halblaut: «Es kommt.» Sekunden später erschienen die Daten auf dem Bildschirm, und in solchen seltenen Momenten war auch Lewohlt bereit, die Elektronik gut zu finden.

      «Größe 171 cm - Gewicht 58 Kilogramm - geschätztes Alter: 18-20. Blut gr. o pos. - Obdkt. Term. Mont., io.3oUhr, Raum 1, Staatsanw. benachricht. - rieht. Erlbns. beantr.»

      «Sieh mal an», brummte Lewohlt, «sie sah älter aus.»

      Heppel nickte stumm, hielt mit einer neuen Zahlenkombination die von der Medizinischen Aufnahme übermittelten Daten fest, tippte erneut und fugte damit die Liste der äußeren Merkmale hinzu, die er nach Lewohlts Notizen bereits in den Computer eingegeben hatte, drückte neue Tasten, die Angaben verschwanden, eine Zieladresse tauchte auf, blinkte kurz, bevor sie sich auflöste, ein winziges «wait» erschien links oben, und dann starrten sie auf das dunkle Glas. Im Moment verglich der zentrale Rechner ihre Angaben mit den gespeicherten Daten der als vermißt gemeldeten Personen - zuerst aus der Stadt, dann aus dem