Vierundzwanzig Unterredungen mit den Vätern. Johannes Cassianus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johannes Cassianus
Издательство: Bookwire
Серия: Die Schriften der Kirchenväter
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783849659912
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und nach der Verletzung des Ebenbildes und Gleichnisses Gottes durch eigene Schuld verwickelte. Denn es ist die Gaumenlust, vermöge welcher er sich das Essen von dem verbotenen Baume erlaubte; die Prahlerei, behufs welcher ihm gesagt wurde: „Es werden eure Augen geöffnet werden;“ und der Hochmuth, für den es hieß: „Ihr werdet sein wie die Götter, wissend das Gute und Böse.“ Also in diesen drei Lastern ist, wie wir lesen, auch unser Herr und Erlöser versucht worden. In der Gaumenlust, da ihm der Teufel sagt: „Sprich, daß diese Steine Brod werden;“ in der Ruhmsucht: „Wenn du der Sohn Gottes bist, so stürze dich da hinab;“ im Hochmuth, da er ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit zeigt und sagt: „Dieß alles werde ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest.“ So wollte uns der Herr in denselben Richtungen der Versuchung, in welchen Jener angegriffen wurde, durch sein Beispiel zeigen, in welcher Weise wir den Versucher besiegen müssen. Deßhalb wird sowohl Jener Adam genannt als auch Dieser. Jener als der erste zu Untergang und Tod; Dieser als der erste zu Auferstehung und Leben. Durch Jenen fällt das ganze menschliche Geschlecht der Verdammung anheim, durch Diesen wird es befreit; Jener wird gebildet aus roher, frischer Erde. Dieser wird aus der Jungfrau Maria erzeugt. Wie es also angemessen war, daß Dieser die Versuchungen von Jenem auf sich nehme, so war es doch nicht nöthig, über dieselben hinauszugehen. Denn wer die Gaumenlust besiegt hatte, konnte nicht durch Unzucht versucht werden, die aus der Üppigkeit jener wie aus der Wurzel hervorgeht, und durch die nicht einmal jener erste Adam geschlagen worden wäre, wenn er nicht zuvor, verführt durch die Lockungen des Teufels, die sie erzeugende Leidenschaft zugelassen hätte. Deßhalb heißt es auch vom Sohne Gottes nicht schlechthin, daß er im Fleische der Sünde gekommen sei, sondern in der Ähnlichkeit 198 des Fleisches der Sünde, weil er die Sünde des Fleisches, welche den Abfall verschuldete, nicht in Wahrheit, sondern nur in der Vorstellung hatte, während doch wahrhaftes Fleisch an ihm war, welches aß und trank und schlief und in Wahrheit die anheftenden Nägel aufnahm. So erfuhr er nicht die feurigen Stachel der fleischlichen Begierde, die in uns auch gegen unsern Willen auftauchen, da schon die Natur sie bietet, sondern er nahm nur irgend eine Ähnlichkeit hievon an, durch die Theilnahme an unserer Natur. Da er nun Alles, was sich für uns gehört, in Wahrheit erfüllte und alle menschlichen Schwächen trug, so wurde er folgerichtig dafür angesehen, auch dieser Leidenschaft unterworfen zu sein, so daß er gemäß den übrigen Schwächen auch diesen Lasterund Sündenzustand in seinem Fleische zu tragen schien. Endlich versucht ihn der Teufel nur in diesen Sünden, zu welchen er auch jenen Ersten verführt hatte, da er dachte, er werde auch Diesen wie einen Menschen in den übrigen gleichfalls überwinden, wenn er ihn in jenen geschlagen finde, durch die er den Ersten gestürzt hatte. Aber er konnte ihm die zweite Krankheit, die aus der Wurzel des ersten Lasters hervorgekeimt war, nicht anthun, da er schon im ersten Kampfe besiegt wurde. Denn er sah, daß dieser keineswegs den Anfangsgrund jenes Siechthums angenommen habe, und es war überflüssig, von dem die Frucht einer Sünde zu hoffen, der nicht einmal, wie wohl zu sehen war, den Samen oder die Wurzel davon in sich trug. Nach Lukas, 199 der als letzte Versuchung jene ansetzt, in der es heißt: „Wenn du der Sohn Gottes bist, stürze dich hinab,“ kann hier an die Leidenschaft des Hochmuths gedacht werden, so daß bei jener frühern, welche Matthäus 200 als dritte zählt, und in welcher nach dem Evangelisten Lukas dem Herrn alle Reiche der Welt in einem Augenblicke gezeigt und vom Teufel versprochen werden, die Leidenschaft der Habsucht verstanden werden kann, weil Satan nemlich ohne Sieg in der Gaumenlust den Herrn mit der Unzucht nicht zu versuchen vermochte und also zur Habsucht überging, die er als eine Wurzel alles Bösen kannte. In dieser wieder überwunden wagte er nicht, ihm eines der aus ihr folgenden Laster zuzumuthen, von denen er wußte, daß sie aus ihr als der Wurzel und dem Zunder hervorkommen, sondern ging zu der letzten Leidenschaft, der des Hochmuths über. Daß durch sie auch manche Vollkommene nach Beilegung aller Laster verwundet werden können, wußte er, wie er auch daran dachte, daß er selbst als Lucifer und viele Andere ohne den Reiz vorhergegangener Leidenschaften nur durch sie aus dem Himmel gestürzt seien. Nach dieser besagten Reihenfolge also, die vom Evangelisten Lukas eingehalten wird, stimmt auch der Reiz und die Gestalt der Versuchungen, mit denen der so schlaue Feind sowohl den ersten als den zweiten Adam angriff, auf das Schönste zusammen. Jenem nämlich sagt er: „Eure Augen werden geöffnet werden.“ Diesem zeigt er alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit; dort sagt er: „Ihr werdet sein wie die Götter,“ hier: „Wenn du der Sohn Gottes bist.“

       7. Von der Verwirklichung der Ruhmsucht und des Hochmuths ohne Beihilfe des Körpers.

      

      Damit wir nun in der vorgenommenen Ordnung auch über die Bethätigung der übrigen Leidenschaften sprechen, — deren Aufzählung zu unterbrechen uns die Darstellung der Gastrimargie und der Versuchung des Herrn genöthigt hat, — so pflegen die Ruhmsucht und der Hochmuth auch ohne jede Beihilfe des Körpers verwirklicht zu werden. Denn worin bedürfen die einer fleischlichen That, welche je nach ihrer Beherrschung oder freien Begierde allein durch das Verlangen nach dem zu erwerbenden Lobe oder dem zu erreichenden Menschenruhm genug Schaden für die gefangene Seele erzeugen? Oder welche körperliche Bethätigung fand statt bei dem alten Hochmuthe jenes vorgenannten Lucifer, und wie hätte er ihn nicht allein im Innern und im Gedanken gefaßt, da doch der Prophet so spricht: 201 „Der du gesprochen in deinem Herzen: Zum Himmel will ich aufsteigen, über Gottes Sterne erhöhen meinen Thron; … will aufsteigen über die Höhe der Wolken und gleich sein dem Allerhöchsten.“ Wie dieser Niemanden zum Anstifter seines Hochmuthes hatte, so hat ihm auch der Gedanke allein die Vollendung des Verbrechens und des ewigen Sturzes zu Stande gebracht, obwohl keine Werke seiner angemaßten Herrschsucht nachfolgten.

       8. Von der Habsucht: daß sie ausserhalb der Natur sei, und welcher Unterschied sei zwischen ihr und den natürlichen Lastern.

      

      Die Habsucht und der Zorn, obwohl sie nicht einer Natur sind, — denn die erstere ist ausserhalb der Natur, der andere aber scheint doch einen ursprünglichen Keim in uns zu besitzen, — entstehen doch auf ähnliche Weise, da sie von aussen zumeist die Ursache ihrer Erregung nehmen. Denn oft beklagen sich Solche, welche noch schwächer sind, daß sie durch Anreizung und Drängen Anderer in diese Sünden gefallen seien, und schützen als Grund vor, daß sie durch deren Überredung in Zorn oder Habsucht vorschnell gerathen seien. Daß die Habsucht ausserhalb unserer Natur liege, ist daraus klar zu ersehen, daß sie nachweislich ihren ersten Anfang nicht in uns hat 202 und auch nicht von der Materie aufgenommen wird, die zur Verbindung mit Leib und Seele gehört und zur Erhaltung des Lebens. Denn es ist doch gewiß, daß Nichts zum Gebrauche und Bedürfniß der gemeinsamen Natur gehöre als das tägliche Maaß von Speise und Trank; alle übrigen Gegenstände aber, mit welchem Eifer und welcher Anhänglichkeit sie auch bewahrt werden, stehen dem menschlichen Bedürfniß, wie der Lebensgebrauch selbst bestätigt, fern, weßhalb sie als ausserbalb der Natur stehend nur laue und schlecht gegründete Mönche beunruhigen können. Was aber zur Natur gehört, das beschäftigt stets auch die bewährtesten der Mönche, selbst wenn sie in der Einöde leben. Und so sehr zeigt sich das als durchaus wahr, daß wir auch einige Volksstämme von dieser Leidenschaft, d. i. der Habsucht, ganz frei sehen, weil sie die Krankheit dieses Lasters durch Brauch und Gewohnheit durchaus nicht annahmen. Wir glauben auch, daß jene frühere Welt, die vor der Sündfluth war, sehr lange den Wahnsinn dieser Begierde nicht kannte. Sie kann auch erwiesener Maßen in einem Jeden von uns, der recht entsagt, ohne irgend eine Mühe getilgt werden, wenn Einer nemlich nach Hingabe alles Vermögens so sehr die Klosterregel zu erfüllen strebt, daß er von demselben auch nicht einen Denar für sich übrig läßt. Als Zeugen hiefür können wir viele Tausende von Menschen finden, die in einem kurzen Augenblicke all ihr Vermögen austheilten und diese Leidenschaft so sehr ausrodeten, daß sie fernerhin auch nicht einmal leicht von ihr bewegt wurden. Aber trotzdem können sie nicht sicher sein, wenn sie nicht zu jeder Zeit gegen die Gaumenlust streiten und mit aller Wachsamkeit des Herzens und Enthaltsamkeit des Körpers kämpfen.

       9. Daß die Traurigkeit und Verdrossenheit durch keine Anreizung von aussen entstehen wie die andern Sünden.

      

      Die Traurigkeit und Verdrossenheit