In einem Falle kann jedoch die Ruhmsucht mit Nutzen von den Anfängern angenommen werden, aber nur von denen, die noch von fleischlichen Lastern gereizt werden. Möge also ein Solcher zur Zeit der Bedrängniß durch den Unzuchtsgeist sich entweder die Würde des priesterlichen Amtes vorstellen oder dieß öffentliche Meinung, in der er für heilig und unbefleckt gilt, und möge so die Stachel der unreinen Begierde als schändlich und sowohl seines Rufes als dieses Standes unwürdig wenigstens durch diese Betrachtung vermeiden, indem er ein größeres Übel durch ein kleineres zurückdrängt. Denn es ist für Jeden besser, durch den Fehler der Ruhmsucht verwundet zu werden, als in die Gluth der Unzucht zu fallen, aus der es nach dem Falle keine oder doch kaum eine Herstellung gibt. 212 Diesen Gedanken hat an Gottes Statt einer der Propheten trefflich ausgedrückt, indem er sagt: „Um meinetwillen werde ich entfernen meinen Zorn, und durch mein Lob werde ich dich zügeln, daß du nicht untergehest,“ d. h. damit du durch das deiner Ehrsucht gebotene Lob ergriffen werdest und ja nicht in die Tiefe der Hölle stürzest und unwiderruflich in vollendeten Todsünden untergehest. Es ist auch nicht zu wundern, wenn dieser Leidenschaft eine solche Kraft innewohnt, daß sie Jeden, der in den Schmutz der Unzucht fallen will, im Zaume zu halten vermag, da durch die Erfahrungen Vieler gar oft erprobt worden ist, wie sie den, welchen sie einmal durch den Pesthauch ihres Giftes verdorben hat, unermüdlich macht, so daß sie ihn nicht einmal ein zweioder dreitägiges Fasten fühlen läßt. Das haben, wie wir wissen, auch Einige in dieser Wüste häufig bekannt, daß sie bei ihrem Aufenthalt in den Klöstern Syriens eine nur alle fünf Tage stattfindende Labung mit Brod ohne Mühe ausgehalten hatten, nun aber schon von der dritten Stunde an von solchem Hunger gequält wurden, daß sie kaum bis zur neunten das tägliche Fasten aufschieben könnten. Über diesen Punkt gab der Abt Makarius eine gute Antwort, als ihn Einer fragte, warum er in der Wüste von der dritten Stunde an schon vom Hunger gequält werde, da er doch im Kloster oft ganze Wochen die Labung verschmähte, ohne Hunger zu fühlen. „Weil hier“, sagt er, „kein Zeuge deines Fastens ist, der dich mit seinem Lob nähren und erhalten könnte; dort aber sättigte dich der Finger 213 der Menschen und die Erquickung der Ehrsucht.“ Ein Bild hievon, daß, wie gesagt, durch das Hinzukommen der Ruhmsucht die Sünde der Unzucht verdrängt werde, ist ganz schön und bezeichnend im Buche der Könige 214 dargestellt, wo der heranziehende König der Assyrier, Nabuchodonosor, das von Nechar, dem König Ägyptens, gefangene Volk Israel aus Ägypten in sein Reich führte, natürlich nicht um sie in die frühere Freiheit und ihr Vaterland wieder einzusetzen, sondern um sie in sein Gebiet zu bringen, mithin weiter zu entfernen, als sie in Ägyptens Gefangenschaft gewesen waren. Dieses Bild kann auch so noch für uns zutreffen; denn obwohl es erträglicher ist, dem Laster der Ehrsucht als dem der Unzucht zu dienen, so kommt man doch härter aus der Herrschaft der Ehrsucht heraus; denn der gleichsam in weitere Ferne geführte Gefangene wird nur mit größerer Mühe in sein Vaterland und die heimathliche Freiheit zurückkehren, und mit Recht wird an ihn jener Tadel des Propheten gerichtet: 215 „Warum bist du alt geworden im fremden Land?“ Mit Recht nemlich heißt Der „alt geworden im fremden Land“, welcher sich nicht erneuert durch die Lossagung von irdischen Lastern.
Der Hochmuth hat zwei Gattungen: die erste ist fleischlich, die zweite geistig, die auch gefährlicher ist; denn sie versucht besonders Jene, die sie in Tugenden fortgeschritten findet.
13. Von der verschiedenen Angriffsweise aller Sünden.
Obwohl nun diese acht Sünden das ganze Menschengeschlecht beunruhigen, so greifen sie doch nicht Alle auf gleiche Weise an. Denn in dem Einen behauptet der Geist der Unzucht den ersten Platz, in einem Andern ist der Zorn voran, im Dritten nimmt die Ruhmsucht, die Herrschaft in Anspruch, und bei dem Nächsten hält der Hochmuth die Festung besetzt. Während also fest steht, daß Alle von Allen angefochten werden, leiden wir doch im Einzelnen in verschiedener Weise und Reihenfolge.
14. Von dem Kampfe, zu dem wir uns wider die Sünden, ihrer Angriffsweise entsprechend, rüsten müssen.
Deßhalb müssen wir gegen sie den Kampf so aufnehmen, daß Jeder nach Erforschung des Lasters, das ihn am meisten angreift, gegen dieses den Hauptstreit richte, indem er alle Sorge und Sorgfalt des Geistes auf die Beobachtung und Bekämpfung desselben heftet, auf dieses mit den täglichen Pfeilen der Fasten zielt, gegen dieses jeden Augenblick das Stöhnen des Herzens und zahlreiche Geschoße der Seufzer schleudert, die Mühen des Wachens und die inneren Betrachtungen darauf verwendet, unaufhörlich sein Gebet in Thränen vor Gott ausgießt und die Überwindung der Versuchung von ihm besonders und beständig erbittet. Denn es ist unmöglich, über irgend eine Leidenschaft einen Triumph davon zu tragen, ehe man eingesehen hat, daß man durch eigenes Ringen und Mühen den Sieg im Kampfe nicht erlangen könne, obwohl es zur Erlangung der Reinigung nothwendig ist, Tag und Nacht in aller Sorge und allem Eifer zu verharren. Wenn sich nun Einer von dieser Leidenschaft befreit fühlt, so durchforsche er aufs Neue die Schlupfwinkel seines Herzens in gleicher Absicht und suche, welche von den Übrigen Leidenschaften sich ihm als die unheilvollere zu erkennen gebe, und erhebe gegen sie besonders alle Waffen des Geistes. So wird er immer, wenn die stärkeren überwunden sind, einen schnellen und leichten Sieg über die andern gewinnen, weil sowohl der Geist durch die fortschreitenden Triumphe stärker wird als auch der nachfolgende Streit mit den schwächern ihm ohnehin den Erfolg im Kampfe leichter macht. So geschieht es auch gewöhnlich von denen, welche vor den Königen dieser Welt aus Rücklicht auf den Lohn mit allen Arten wilder Thiere zu kämpfen pflegen, welche Art des Schauspiels man geheimhin pancarpum nennt. Diese, sage ich, nehmen gegen jene Thiere, welche sie als kampffähiger durch ihre Kraft oder als gefährlicher durch die Wuth ihrer Wildheit erkennen, zuerst den Zusammenstoß und Kampf auf, und wenn diese getödtet sind, werfen sie die weniger furchtbaren und wüthenden in leichterer Vernichtung nieder. So werden wir auch uns, wenn die mächtigern Laster überwunden sind und die schwächeren nachfolgen, ohne jede Gefahr einen vollkommenen Sieg verschaffen. Wir dürfen auch nicht glauben, daß Einer, welcher hauptsächlich gegen ein Laster kämpft und über die Pfeile der Andern gleichsam ohne Acht hinsieht, durch irgend einen unverhofften Schlag leichter verwundet werden könne, was gewiß nicht geschehen wird; denn es ist unmöglich, daß Jemand, der für die Reinigung seines Herzens besorgt ist und sein geistiges Streben gegen den Angriff irgend eines Lasters bewaffnet hat, nicht eine gewisse allgemeine Scheu und ähnliche Wachsamkeit auch gegen die übrigen Sünden habe. Denn wie würde Der verdienen, auch nur über jene Leidenschaft, von der er gereinigt werden will, den Sieg davonzutragen, der sich des Lohnes der Reinigung unwürdig macht durch die Befleckung mit andern Lastern? Nicht also, sondern wenn sich die Hauptmeinung unseres Herzens den besondern Kampf gegen eine Leidenschaft vorgenommen hat, so wird sie hiefür aufmerksamer beten und mit besonderer Sorgfalt und Dringlichkeit bitten, daß sie dieselbe genauer beobachten und dadurch einen schnellen Sieg erlangen möchte. Denn daß wir diese Kampfesordnung einhalten müssen, ohne jedoch auf unsere eigene Kraft zu vertrauen, das lehrt auch der Gesetzgeber mit diesen Worten: 216 „Fürchte sie nicht, weil der Herr dein Gott in deiner Mitte ist; der große und furchtbare Gott selbst wird diese Nationen vor deinen Augen vertilgen allgemach und Theil um Theil. Du wirst sie nicht zugleich vernichten können, damit nicht etwa zu viel werde wider dich das Gethier der Erde. Aber es wird sie dir preisgeben der Herr dein Gott vor deinem Angesichte und wird sie tödten, bis sie ganz vernichtet sind.“
15. Daß wir Nichts gegen die Laster vermögen ohne die Hilfe Gottes, und daß wir uns wegen Besiegung derselben nicht überheben dürfen.
Aber er ermahnt auch ebenso, daß wir uns im Siege über dieselben nicht überheben dürfen. „Aber“, sagt er, „nachdem du gegessen hast und satt geworden bist, schöne Häuser gebaut und sie bezogen hast, nachdem du Rinder und Schafheerden bekommen hast und Gold und Silber und alle Dinge im Überfluß, da überhebe sich nicht dein Herz und vergiß nicht den Herrn deinen Gott, der dich aus dem Lande Ägypten geführt hat, aus dem Hause der Knechtschaft, und der dein Führer war in der großen und furchtbaren Wüste.“