11. Was an dieser Stelle vom Apostel Fleisch genannt werde, und was die Begierde des Fleisches sei.
Deßhalb müssen wir hier unter Fleisch nicht den Menschen, d. i. die Substanz des Menschen, sondern den Willen des Fleisches und seine argen Begierden verstehen, wie wir auch unter Geist nicht irgend eine Substanz, sondern die guten und geistigen Begierden der Seele zu meinen haben. Diesen Sinn drückte ebenderselbe hl. Apostel oben deutlich aus, indem er so schrieb: 179 „Ich sage aber: wandelt im Geiste, und so thuet ihr nicht des Fleisches Begehren; denn das Fleisch begehrt wider den Geist, der Geist aber wider das Fleisch; denn diese sind einander entgegen, daß ihr nicht thuet, was ihr gerade wollet.“ Da also beides Begehren, nemlich des Fleisches und des Geistes, in einem und demselben Menschen ist, so gibt es täglich einen innern Krieg in uns, indem die Begierlichkeit des Fleisches, die jählings zum Laster gezogen wird, sich an den Lüsten freut, die zum ruhigen Genuß der Gegenwart gehören. Dieser nun ganz widerstrebend verlangt die Begierde des Geistes, so vollständig geistigen Strebungen nachzuhängen, daß sie selbst die nöthigsten Bedürfnisse des Leibes auszuschließen wünscht, voll Verlangen, sich jenen beständig so sehr hinzugeben, daß sie der leiblichen Gebrechlichkeit durchaus keine Sorgfalt angedeihen lassen will. Das Fleisch freut sich an Üppigkeit und Geilheit, der Geist hält sich nicht einmal bei den naturgemäßen Wünschen auf. Jenes will sich faltigen mit Schlaf, sich anfüllen mit Speise; dieser wird so durch Wachen und Fasten befriedigt, daß er nicht einmal für den nothwendigen Bedarf des Lebens Schlaf und Speise zulassen will. Jenes wünscht Überfluß zu haben an allen Reichthümern; dieser ist zufrieden, wenn es ihm nicht einmal täglich ein kleines Brod trägt. Sich in Bädern glänzend rein zu machen verlangt jenes, und täglich von ganzen Schaaren der Schmeichler umdrängt zu werden; dieser aber freut sich an rauhem Schmutz und an der Öde der unzugänglichen Wüste und flieht die Gegenwart eines jeden Menschen. Jenes sonnt sich an Ehre und Menschenlob, dieser aber ist erfreut über die ihm zugefügten Verfolgungen und Beleidigungen.
12. Was unser Wille sei, der zwischen dem Begehren des Fleisches und Geistes liegt.
Zwischen diesen beiden Begierlichkeiten steht also der Wille der Seele in einer gewissen tadelnswertheren Mitte und hat weder Freude an der Schändlichkeit der Laster, noch verharrt er bei den Leiden der Tugenden, indem er so die fleischlichen Leidenschaften zu mäßigen sucht, daß er keineswegs die nothwendigen Leiden aushalten will, ohne welche man die Begierden des Geistes nicht haben kann. So will er ohne Kasteiung des Fleisches die Keuschheit des Leibes besitzen, ohne die Mühe des Wachens zur Reinheit des Herzens kommen, in der Ruhe des Fleisches an geistlichen Tugenden Überfluß haben, ohne jegliche rauhe Schmährede die Gnade der Geduld besitzen, die Demuth Christi ohne Verlust der weltlichen Ehre üben, die Einfalt der Religion erreichen und die Umtriebe der Welt nicht lassen. Christo mit dem Beifall und der Gunst der Menschen dienen und die Strenge der Wahrheit vortragen, ohne Jemand auch nur im Geringsten zu beleidigen. Kurz, er will die künftigen Güter so erreichen, daß er die gegenwärtigen nicht verliere. Dieser Wille ließe uns nie zur wahren Vollkommenheit gelangen, sondern würde uns in eine schändliche Lauigkeit versetzen und denen ähnlich machen, welche in der Apokalypse mit dem Vorwurf des Herrn gestraft werden: 180 „Ich kenne deine Werke, daß du weder warm noch kalt bist; wärst du doch kalt oder warm; nun aber, da du lau bist, will ich beginnen dich auszuspeien aus meinem Munde;“ wenn nicht anders diesen Zustand arger Lauigkeit jene sich in uns erbebenden Kämpfe durchbrechen. Denn wenn wir uns im Dienste unseres Willens ein wenig zu einer solchen Gemächlichkeit nachgeben wollen, da erheben sich gleich die Stachel des Fleisches, verwunden uns mit ihren Lastern und Leidenschaften und lassen uns durchaus nicht in dieser angenehmen Art von Reinheit bestehen, sondern ziehen uns zu der verhaßten Lust der Kalten und auf einen dornenvollen Weg. Dann wieder, wenn wir in geistiger Gluth entbrannt die Werke des Fleisches ganz austilgen wollen und uns in der Überhebung des Herzens ohne jede Rücksicht auf die menschliche Gebrechlichkeit ganz an unmäßige Tugendübungen hinzugeben suchen: ruft uns die Schwäche des Fleisches mit ihrem Widerspruch von dieser tadelnswerthen Übertreibung des Geistes zurück und legt uns ihren Hemmschuh an. So geschieht es, daß bei dem gegenseitigen Widerspruch und Kampf der beiden Begierlichkeiten der Wille der Seele, der sich weder ganz den fleischlichen Lüsten ergeben noch in den Mühen der Tugend sich heiß machen will, gewissermaßen durch ein gerechtes Maaß geordnet wird, da dieser wechselseitige Streit jenen verderblichen Willen ausschließt, und gleichsam ein Billigkeitsgewicht auf der Waage unsers Körvers liegen läßt, welches die Grenzen des Geistes und Fleisches in gerechter Prüfung bestimmt und weder den von innerer Gluth entflammten Geist nach rechts, noch das von den Stacheln der Laster getriebene Fleisch nach links überwiegen läßt. Indem dieser Kampf täglich zu unserm Besten in uns angefacht wird, sind wir in heilsamer Weise getrieben, zu jenem Vierten zu kommen, das wir nicht wollen, daß wir nemlich die Reinheit des Herzens nicht mit Muße und Sorglosigkeit, sondern in beständiger heisser Anstrengung und Zerknirschung des Geistes erreichen und die Keuschheit des Leibes mit strengem Fasten, Hunger, Durst und Wachen bewahren: daß wir ferner die Sammlung des Herzens mit Lesung, Wachen, beständigem Gebet und rauher Einsamkeit erfassen, die Geduld durch Übung in der Trübsal wahren, unserm Schöpfer unter Lästerungen und Fülle der Schmach dienen, die Wahrheit zur Geltung bringen, wenn es nöthig ist, trotz der Mißgunst dieser Welt und ihrer Feindseligkeiten. So mag; indem wir durch diesen in unserm Körper drängenden Kampf abgezogen werden von feiger Sorglosigkeit und angetrieben zu jenem Ringen und Tugendstreben, das wir wollen, die rechte Miite am besten bewahrt werden, und soll von der einen Seite die Gluth des Geistes, von der andern die eisige Erstarrung des Fleisches unsere zur Lauheit geneigte Freiheit mit gemäßigter Wärme ordnen. Es dulde weder die Begierlichkeit des Geistes, daß er zu zügellosen Lastern herabgezogen werde, noch gestatte die Gebrechlichkeit des Fleisches, daß der Geist in unvernünftigem Verlangen nach Tugenden sich überhebe, damit nicht von dort aus die Keimstätten aller Laster ihre Brut hervorbringen oder von hier aus unsere Hauptkrankheit auftauche und uns mit dem gefährlichern Pfeile des Hochmuths durchbohre. Also die richtige Ausgleichung durch diesen Kampf muß folgen und den gesunden, maßvollen Weg zwischen beiden Tugenden bewahren, lehrend, wie der Streiter Christi auf dem königlichen Wege einhergehen müsse. Wenn dann auch der Geist gemäß der Lauheit des genannten so feigen Willens sich zu sehr zu den Begierden des Fleisches herabgeneigt hat, so wird er durch das geistige Begehren, das sich durchaus nicht bei den irdischen Lastern beruhigt, wieder gezügelt; andererseits wenn unser Geist in unmäßigem Eifer durch die innere Ausschweifung zum Unmöglichen und Unüberlegten fortgerissen wird, so dürfte er durch die Schwäche des Fleisches zu billiger Prüfung zurückgezogen werden und den Stand der Lauigkeit unseres Willens überschreitend durch die passendste Mäßigung und auf ebenem Pfade im Schweiße feines Eifers auf dem Wege der Vollkommenheit einhergehen. Etwas Ähnliches lesen wir auch im Buche der Genesis von Gott verfügt bei der Erbauung jenes Thurmes, wo die plötzlich entstandene Verwirrung der Sprachen den sakrilegischen und gottlosen Wagnissen der Menschen einen Zügel anlegte. Denn es wäre auch dort gegen Gott, ja selbst zum Schaden eben Derjenigen, welche angefangen hatten, die göttliche Majestät herauszufordern, die Übereinstimmung nur mit Gefahr geblieben, wenn jene nicht auf Anordnung Gottes die widerspruchsvolle Verschiedenheit der Sprache und Uneinigkeit der Rede gezwungen hätte, nach einem bessern Zustande zu streben, und wenn also nicht Diejenigen, welche die gefährliche Einigkeit bis zur Selbstvernichtung ermuthigt hatte, eine gute und heilsame Uneinigkeit zum Heile zurückgeführt hätte. Sie fiengen nemlich jetzt, da die Trennung eintrat, an, die menschliche Armseligkeit zu merken, welche sie vorher im Übermuth ihrer schädlichen Verbindung nicht kannten.