Vierundzwanzig Unterredungen mit den Vätern. Johannes Cassianus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johannes Cassianus
Издательство: Bookwire
Серия: Die Schriften der Kirchenväter
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783849659912
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sich eingießend in unseren Herzen, damit wir wenigstens so von ihr getroffen und erregt Mahnung genug hätten, von dem Schlafe der Trägheit uns zu erheben. Endlich werden wir gerade bei diesen plötzlichen Heimsuchungen häufig auch von übersüßen Wohlgerüchen erfüllt, die alle Mischung menschlicher Kunst übertreffen, so daß der Geist in dieser Wonne aufgelöst, in eine gewisse Entzückung hingerissen wird und vergißt, daß er noch im Fleische weile.

       6. Daß es uns nützlich sei, zuweilen von Gott verlassen zu werden.

      

      So sehr nun erkannte der hl. David dieses besagte Zurückweichen oder, um mich so auszudrücken, diese Flucht Gottes als eine uns nützliche, daß er keineswegs Gott bitten will, durchaus in keiner Weise verlassen zu werden. Denn er wußte, daß Dieß weder ihm noch der menschlichen Natur entsprechend sei, wenn sie zu irgend einer Vollkommenheit gelangen wolle; er bittet nur um Milderung und sagt: 162 „Verlaß mich nicht ganz und gar!“ Das heißt mit andern Worten: Ich weiß, daß du deine Heiligen in heilsamer Weile zu verlassen pflegst, um sie zu prüfen; denn sie können sonst von ihrem Widersacher nicht versucht werden, wenn sie nicht ein wenig von dir verlassen sind; darum bitte ich nicht, daß du mich nie verlassest; denn es ist mir nicht zuträglich, wenn ich nie, meine Schwäche fühlend, sagen kann: 163 „Gut ist mir’s, daß du mich gedemüthigt hast,“ — oder wenn ich keine Übung habe im Kampfe, die ich ohne Zweifel nicht haben kann, wenn mir immer und ununterbrochen zugegen ist der göttliche Schutz. Denn den Schützling deines vertheidigenden Armes wird der Teufel nicht zu versuchen wagen, sondern wird entweder mir oder dir vorhalten oder vorwerfen, was er gegen deine Kämpfer mit seiner verläumderischen Zunge vorzubringen pflegt: 164 „Dient etwa Job umsonst seinem Gott? Hast du nicht ihn und sein Haus und seine ganze Habe rings wie mit einem Walle umgeben?“ O ich bitte mehr darum, daß du mich nicht gar zu sehr verlassest, was im Griechischen heißt: μέχρι πρὸς ἀγαντεῖον, d. i. bis zum Übermaaß. Denn so nützlich es mir ist, wenn du dich ein wenig von mir zurückziehst, damit sich die Standhaftigkeit meines Verlangens erprobe, so schädlich ist es mir, wenn du zugibst, daß ich gar zu sehr verlassen werde, wie ich wohlverdient und verschuldet hätte. Es kann ja keine menschliche Kraft, wenn sie zu lange in der Versuchung deiner Hilfe entbehrt, durch ihre eigene Standhaftigkeit ausdauern, ohne alsbald durch die Macht und die Umtriebe ihres Widersachers zu erliegen, wenn nicht du selbst, der du die menschlichen Kräfte kennst und die Kämpfe milderst, die Versuchung hinderst, welche unsere Kraft überschreitet; ja wenn nicht du zugleich mit der Versuchung auch den Ausweg gibst, daß wir sie ertragen können. 165 Etwas Ähnliches von geheimnisvollem Sinn lesen wir im Buch der Richter 166 über die Vertreibung jener Völker von geistiger Bedeutung, die Israel anfeinden: 167 „Dieß sind die Völker, welche der Herr übrig ließ, um durch sie Israel zu üben und ihm die Gewohnheit des Kampfes mit Feinden zu verschaffen.“ Und wieder gleich darauf: „Und es ließ sie der Herr, um an ihnen Israel zu prüfen, ob es auf die Gebote des Herrn höre, die er den Vätern durch die Hand des Moses gegeben, oder nicht.“ Diesen Kampf hatte jedenfalls Gott nicht deßhalb übrig gelassen, weil er Israel die Ruhe nicht gönnte oder schlecht für dasselbe sorgte, sondern weil er wußte, daß derselbe Israel sehr nützlich sei, damit es in der beständigen Bedrängniß wegen der Angriffe dieser Völker nie glaube, der Hilfe des Herrn entbehren zu können. So sollte es immer im Andenken und Anrufen Gottes verharren und weder in Trägheit erschlaffen noch die Erfahrung im Kriege und die Übung der Tapferkeit verlieren. Denn oft schon fielen Die, welche das Unglück nicht überwinden konnte, durch Sorglosigkeit und Glück.

       7. Von der Nützlichkeit jenes Kampfes, den der Apostel in den Widerstreit des Fleisches und Geistes setzt.

      

      Daß dieser Kampf in nützlicher Weise auch in unsere Glieder gelegt sei, lesen wir beim Apostel so geschildert: 168 „Denn das Fleisch begehrt wider den Geist, der Geist aber wider das Fleisch; diese also bekämpfen sich gegenseitig, so daß ihr nicht thuet, was ihr gerade immer wollt.“ Da hast du also auch hier den Kampf gleichsam im Eingeweide unseres Leibes nach dem Walten der göttlichen Anordnung. Denn wenn Etwas allgemein und ohne jede Ausnahme Allen innewohnt, was kann man dann anders denken, als daß es dem menschlichen Wesen selbst nach dem Falle des ersten Menschen gleichsam von Natur aus zugetheilt sei? Und wenn Etwas Allen angeboren und eingewachsen sich zeigt, wie sollte man nicht glauben, daß es durch den Willen des Herrn, der nicht schaden, sondern fürsorgen will, eingepflanzt sei? 169 Als Grund nun dieses Krieges zwischen Fleisch und Geist verzeichnet der Apostel folgenden: „so daß ihr nicht thuet, was ihr nur immer wollt.“ 170 Was also Gott zu verhüten suchte, wofür kann Dieß anders gehalten werden, als für schädlich? Und so ist immerhin dieser Kampf, den uns Gottes Anordnung einpflanzte, nützlich und ruft und treibt uns in einen bessern Zustand, während im Gegentheil ohne ihn gewiß ein verderblicher Friede folgen würde.

       8. Frage, wie denn in dem Capitel des Apostels nach den unter sich streitenden Begierden des Fleisches und des Geistes ein dritter Wille beigefügt werde.

      

      Germanus: Obgleich uns eine gewisse Einsicht in den Ausspruch des Apostels aufzuleuchten beginnt, so wünschen wir doch, weil wir ihn nicht ganz durchschauen, noch eine vollständigere Erklärung zu hören. Denn von drei Dingen scheint hier die Rede zu sein: Zuerst vom Kampfe des Fleisches gegen den Geist; dann vom Verlangen des Geistes wider das Fleisch, und drittens von unserm Willen, der wie in der Mitte steht, und von dem es heißt, daß ihr nicht thut, wie ihr immer wollt. Das ist der Punkt, über den wir zwar aus dem schon Gegebenen einige Vermuthungen des Verstandes zusammenstellen, jedoch, da sich nun einmal diese Gelegenheit zur Unterredung bot, gerne etwas mehr aufgeklärt werden möchten.

       9. Über den Verstand Dessen, der richtig fragt.

      

      Daniel: Es ist Sache des Verstandes, die Theile und Umrisse der Fragen zu unterscheiden, und der größte Theil des Verständnisses ist schon erreicht, wenn man weiß, wo es noch fehlt. Deßhalb heißt es: „Dem unwissenden Frager wird Weisheit zugeschrieben.“ 171 Denn obwohl der Fragende die Bedeutung der vorgelegten Frage nicht kennt, so wird ihm doch gerade seine kluge Frage und die Einsicht, daß er nicht einsieht, als Weisheit angerechnet, eben weil er klug erkannt hat, wo es ihm fehle. Nach eurer Theilung also scheinen von dem Apostel an dieser Stelle drei Punkte genannt zu werden, das Begehren des Fleisches wider den Geist und des Geistes wider das Fleisch, deren gegenseitiger Kampf als Ursache und Grund zu haben scheint, daß wir nicht Das sollen thun können, was wir wollen. Es ist also ein Viertes noch vorhanden, was ihr gar nicht bemerkt habt, nemlich die Ursache, daß wir Das thun, was wir nicht wollen. Wir müssen also zuerst die Bedeutung der beiden Begierden, also des Fleisches und Geistes, erkennen und werden dann zu untersuchen vermögen, was es um unsern Willen sei, der zwischen beiden liegt; endlich werden wir gleichfalls unterscheiden, was nicht Sache unseres Willens sein könne.

       10. Daß das Wort „Fleisch“ nicht in einer Bedeutung gebraucht werde.

      

      Das Wort Fleisch lesen wir in den hl. Schriften in verschiedener Bedeutung. Denn zuweilen bezeichnet es den ganzen Menschen, also wie er aus Seele und Leib besteht, z. B. in der Stelle: „Und das Wort ist Fleisch geworden“ und: „Alles Fleisch wird das Heil unseres Gottes schauen.“ 172 Oft wird es von den sündigen, fleischlich gesinnten Menschen gebraucht, z. B.: 173 „Nicht wird bleiben mein Geist bei diesen Menschen, weil sie Fleisch sind.“ Manchmal steht es statt des Wortes Sünde, z. B.: „Ihr aber seid nicht im Fleische, sondern im Geiste;“ 174 und wieder: 175 „Fleisch und Blut werden das Reich Gottes nicht besitzen.“ Dann folgt: „Und die Verwesung wird nicht die Unverweslichkeit in Besitz nehmen.“ Zuweilen bezeichnet es die Verwandtschaft und Angehörigkeit, wie: 176 „Siehe, wir sind dein Bein und dein Fleisch;“ und beim Apostel: 177 „Ob ich wohl zur Nacheiferung brächte