10. Über die Zusammenstimmung von sechs Lastern und die Verwandtschaft der zwei von ihnen abweichenden.
Obwohl diese acht Sünden verschiedenen Ursprung und ungleiche Bethätigung haben, so sind doch die sechs ersten, also die Völlerei (Gaumenlust), Unzucht, Habsucht, Zorn, Traurigkeit, Verdrossenheit durch eine gewisse Verwandtschaft und so zu sagen Verkettung unter sich verbunden, so daß die Überfülle der vorhergehenden zum Anfang für die folgende wird. Denn aus der Üppigkeit der Völlerei entsteht nothwendig Unzucht, aus der Unzucht Habsucht, aus der Habsucht Zorn, aus diesem die Traurigkeit und aus ihr die Verdrossenheit; deßhalb muß man gegen diese in ähnlicher Weise und gleichem Verhalten kämpfen und den Widerstreit gegen die nachfolgenden immer von den vorausgehenden beginnen. Denn viel leichter verdorrt die schaden-bringende Breite und Höhe eines Baumes, wenn zuvor die Wurzeln, auf die er sich stützt, entweder entblößt oder abgeschnitten sind. Ebenso werden widrige Gewässer sogleich austrocknen, wenn die sie erzeugende Quelle und die hervorsprudelnden Adern mit emsiger Sorgfalt verstopft sind. Damit also die Acedie besiegt werde, muß zuvor die Traurigkeit überwunden werden; um diese zu vertreiben, werde zuvor der Zorn hinausgestoßen; um ihn auszulöschen, zertrete man die Habsucht; damit diese ausgerissen werde, muß die Unzucht gezügelt werden; und zu ihrer Vernichtung züchtige man das Laster der Völlerei. — Die zwei übrigen, nemlich die Prahlsucht und der Hochmuth, sind zwar gleichfalls unter sich auf eine solche Weise verbunden, wie wir von den obigen Lastern sagten, so daß die Zunahme des einen zum Anfang des andern wird, — so erzeugt die überwuchernde Ruhmsucht den Zündstoff des Hochmuths; — aber sie weichen doch von jenen sechs vorigen Sünden ganz ab und sind durch keine ähnliche Gemeinschaft mit ihnen verbunden. Sie erhalten nemlich nicht nur von jenen keine Veranlassung zu ihrer Entstehung, sondern werden auch in gerade entgegengesetzter Weise und Ordnung erregt; denn wenn jene ausgerissen sind, setzen diese reichere Früchte an, und durch den Tod jener keimen und wachsen diese lebendiger. Deßhalb werden wir auch in anderer Weise von diesen beiden Lastern angefochten; denn in jedes jener sechs Laster fallen wir dann, wenn wir von dem ihm vorhergehenden überwunden sind; aber in die Gefahr dieser beiden gerathen wir als Sieger und am meisten nach Triumphen. Wie nun alle Sünden durch das Wachsthum der frühern erzeugt werden, so werden sie auch durch deren Verminderung entfernt. Aus diesem Grunde muß die Ruhmsucht erstickt werden, damit der Hochmuth ausgemerzt werden könne. So werden immer, wenn die vorhergehenden überwunden sind, die nachfolgenden ruhen und nach Erlöschung der ersten Leidenschaften die übrigen ohne Mühe schwinden. Obwohl nun diese acht genannten Laster in der erwähnten Weise unter sich verbunden und vermischt sind, so kann man sie doch noch eigens in vier Verbindungen und Paare eintheilen; denn mit der Völlerei verbindet sich die Unzucht in besonderer Gemeinschaft, mit der Habsucht der Zorn, mit der Traurigkeit die Verdrossenheit und mit der Ruhmsucht der Hochmuth in engerer Freundschaft.
11. Von dem Ursprunge und der Beschaffenheit einer jeden dieser Sünden.
Damit wir nun im Einzelnen über die Gattungen einer jeden Sünde sprechen, so gibt es drei Gattungen der Gastrimargie. Die erste, welche den Mönch drängt, zu der Labung vor der bestimmten und gesetzlichen Stunde zu eilen; die zweite, welche sich ergötzt an der Anfüllung des Leibes und dem Aufzehren aller möglichen Speisen; die dritte, welche eine zu genaue Bereitung und die größte Feinheit der Speisen verlangt. Diese drei treffen den Mönch mit keinem leichten Schaden, wenn er nicht von allen mit gleicher Anstrengung und Übung sich zu befreien sucht. Denn wie man sich die Beendigung des Fastens vor der gesetzlichen Stunde durchaus nicht herausnehmen darf, so ist auch die Anfüllung des Magens und die kostspielige und ausgesuchte Zubereitung der Speisen fernzuhalten. Werden doch aus diesen drei Ursachen verschiedene und sehr arge Krankheiten der Seele erzeugt. So entsteht aus der ersten die Abneigung gegen das Kloster, und daraus wächst der Abscheu und die Unfähigkeit, diesen Wohnort länger zu ertragen, worauf ohne Zweifel bald der Austritt oder die eiligste Flucht folgt. Die zweite Ursache weckt feurige Stachel der Ausschweifung und Lüsternheit. Die dritte schlingt auch noch um den Nacken der Gefangenen unlösbare Stricke der Habsucht und läßt nicht zu, daß der Mönch jemals in der vollkommenen Blöße Christi gegründet werde. Daß uns Spuren dieses Lasters innewohnen, erkennen wir auch daran als einem Zeichen, daß wir, wenn uns ein Bruder beim Essen behält, nicht zufrieden sind mit dem Geschmacke der Speisen, der ihnen von dem Anbietenden durch die Würze gegeben ist, sondern in unpassender und zügelloser Freiheit verlangen, es möge noch Etwas hinzugegossen oder beigefügt werden. Das soll durchaus nicht geschehen aus drei Ursachen: zuerst, weil der Geist des Mönches immer in voller Übung der Geduld und Entsagung sein soll und nach dem Apostel 203 lernen soll, zufrieden zu sein mit Dem, was da ist; denn keineswegs wird der im Stande sein, die geheimen und heftigeren Begierden des Körpers zu zügeln, der sich schon an der Empfindung einer unbedeutenden Unschmackhaftigkeit stößt und nicht einmal auf einen Augenblick die Leckerhaftigkeit seines Gaumens zu zähmen vermag. Die zweite Ursache ist, weil, wie oft geschieht, die verlangte Sache für jetzt fehlen kann und wir also der Dürftigkeit oder Einfachheit des Gastgebers eine Beschämung bereiten, indem wir seine Armuth, die er lieber Gott allein wollte bekannt sein lassen, veröffentlichen. Drittens, weil der Geschmack, den wir beigefügt wissen wollen, zuweilen Andern nicht zu entsprechen pflegt und es sich also herausstellt, daß wir Andern entgegen sind, während wir unserm Gaumen und unserm Gelüsten genug thun wollen. Deßhalb also ist diese Freiheit auf jede Weise in uns abzutödten. Die Unzucht hat drei Gattungen: die erste ist die, welche durch Verbindung der beiden Geschlechter sich vollzieht; die zweite, welche ohne weibliche Berührung geschieht, wofür Onan, 204 der Sohn des Patriarchen Judas, vom Herrn getödtet wurde. In den hl. Schriften heißt sie immunditia (Unreinigkeit), und der Apostel sagt darüber: 205 „Ich sage aber den Ledigen und Wittwen, daß es gut für sie ist, wenn sie so bleiben wie auch ich; wenn sie sich aber nicht halten, so mögen sie heirathen; denn es ist besser zu heirathen, als Brunst zu leiden.“ Die dritte Art ist die, welche nur in Geist und Gemüth begangen wird. Darum spricht der Herr im Evangelium: 206 „Wer ein Weib ansieht, um ihrer zu begehren, hat schon in seinem Herzen mit ihr die Ehe gebrochen.“ Daß diese drei Arten in gleicher Weise auszutilgen seien, lehrt der hl. Apostel und sagt: 207 „Ertödtet euere Glieder, die auf der Erde sind, die Buhlerei, die Unreinigkeit, die Lüsternheit.“ Und wieder schreibt er von zweien an die Ephesier: 208 „Buhlerei und Unreinigkeit sollen unter euch nicht einmal genannt werden.“ Und wieder: 209 „Das aber wisset, daß kein Unzüchtiger oder Unreiner oder Geizhals — was Götzendienst ist — eine Erbschaft im Reiche Christi und Gottes besitzen wird.“ Damit wir also alle drei mit gleicher Anstrengung meiden, schreckt uns ihre gleiche Ausschließung vom Reiche Christi. — Die Gattungen der Habsucht sind drei: die erste, welche nicht zuläßt, daß man entsage und seiner Reichthümer und Güter sich beraube; die zweite, welche uns überredet, das, was wir vertheilt oder den Dürftigen gegeben haben, mit größerer Begierde wieder zurückzunehmen; die dritte, welche uns antreibt, das, was wir vorher nicht einmal besaßen, zu begehren oder zu erwerben. Der Zorn hat drei Gattungen: die eine, die innerlich entbrennt, was im Griechischen θυμός heißt; die andere, die in Wort und That und Wirksamkeit hervorbricht und ὀργή genannt wird, von welcher der Apostel sagt: 210 „Nun aber leget ab allen Zorn und Unwillen;“ die dritte, welche nicht wie jene hitzig im Augenblicke verläuft, sondern tagweis und lange bewahrt wird, was ἄλυς heißt. 211 All das müssen wir mit gleichem Abscheu verwerfen. Die Gattungen der Traurigkeit sind zwei: die eine, welche entsteht, wenn der Zorn nachläßt, oder über einen uns zugefügten Schaden, ein verhindertes oder vereiteltes Begehren, die andere, welche aus unvernünftiger Unruhe des Geistes oder aus der Verzweiflung stammt. — Die Acedie hat zwei Gattungen: die eine überwältigt mit Schlaf in der Schwüle; die andere treibt an, die Zelle zu verlassen und zu fliehen. Die Ruhmsucht hat, obwohl sie vielgestaltig und vielfältig ist und in verschiedene Arten sich theilt, doch zwei Gattungen: in der ersten überheben wir uns wegen fleischlicher und sichtbarer Dinge; in der zweiten entbrennen wir wegen geistiger