Politische Justiz. Otto Kirchheimer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Otto Kirchheimer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783863935528
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er nur bei allen seinen Maßnahmen das Endziel im Auge behält, von der deutschen Kriegsmacht größeren Nachteil, insbesondere auch eine Ausartung der Streikbewegung in eine revolutionäre Bewegung, abzuwenden.«68 Unter Berufung auf compensatio lucri cum damno wurde der Makel des Landesverrats von Ebert genommen und sein Andenken in Ehren wiederhergestellt.

      Das Urteil von 1931 erfreute gewiss die politischen Freunde Eberts. Es war aber kein Damm, mit dem die Sturmflut der nationalistischen und nationalsozialistischen Propaganda hätte aufgefangen werden können. Diese Propaganda hatte sich seit langem der Gerichtsvorgänge und des Urteils von Magdeburg bemächtigt und daraus tödliche Waffen gegen die Weimarer Republik geschmiedet. Unermüdlich und unablässig wurde dem Staat, der nicht aus einer »revolutionären Bewegung« hervorgegangen sein wollte, die Schmach des Vaterlandsverrats vorgehalten.

      Man kann dem Ebert-Prozess aber auch noch ein anderes entnehmen: Offenbar charakterisiert die Vergrößerung und Ausweitung der Wirkungen politischer Propaganda mit Hilfe öffentlicher Gerichtsverfahren ganz allgemein das Stadium der Politisierung gesellschaftlicher Konflikte und der Verschärfung politischer Kämpfe in einer Gesellschaft, die zur Massendemokratie wird. Wer ein solches Potential an sich zu reißen und auszunutzen weiß, kann, indem er die Ergebnisse der Justizprozeduren in einer geeigneten Situation gegen den politischen Gegner kehrt, seine Schlagkraft vervielfachen.

       4. Erweiterung der Verbotssphäre im politischen Aktionsbereich

      Waren die Fälle Caillaux und Ebert aus Ereignissen hervorgegangen, die in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurückreichten, so wurzelten die schweizerischen und deutschen Fälle aus den fünfziger Jahren, über die nun berichtet werden soll, in der spezifischen Atmosphäre der Nachwirkungen des Zweiten Weltkriegs; sie illustrieren die für diese Periode typische Ausweitung der Staatsschutzgesetzgebung. Nicht notwendigerweise bestimmen indes die Vorschriften des Gesetzes das Vorgehen der Gerichte. Die hier wiedergegebenen Fälle wurden zu einer Zeit vors Gericht gebracht, für die einerseits die Angst vor der kommunistischen Offensive, anderseits die sorgenvolle Reaktion auf ältere und neuere Auswüchse der politischen Justiz im totalitären Herrschaftsbereich charakteristisch war. Da wurde energisch an den neueren gesetzlichen Regelungen festgehalten, die unter anderem eine Überwachung verdächtiger Auslandsbeziehungen der Staatsbürger erlauben, zugleich aber die Möglichkeit, politisch frei schwebenden oder peripheren Gegnern den politischen Aktionsraum zu sperren, mit einer gewissen Reserve behandelt oder nur mit Beklemmungen ausgenutzt. Nur mühsam ließen sich diese beiden Tendenzen im Gleichgewicht halten.

      a) Freiheit der Forschung stößt auf Schranken

      Die Stellung eines kleinen Staates in einer Welt von Riesen und weitgespannten übernationalen politischen Bewegungen ist im günstigsten Fall höchst unbehaglich. Sie verschlechtert sich unvermeidlich, wenn ein Krieg ausbricht und der Zwerg darauf besteht, neutral und unabhängig zu bleiben. Ein machtstrotzender Nachbar kann den Druck auf den kleinen Staat vermehren und seine Gefügigkeit trotz aller Neutralität erzwingen, indem er über die Grenze hinweg Kräfte mobilisiert, die ihm freundlich oder gar verehrungsvoll gegenüberstehen. Vom Giganten bedrängt, wird der neutrale Zwerg in die Alternative hineingetrieben, physisch vernichtet zu werden oder moralisch zu kapitulieren. Seine Staatsmänner müssen dann zwischen Mord und Selbstmord lavieren und sich auf Kompromisse und Demütigungen einlassen.

      Während des Krieges war patriotisches Verhalten für die meisten Schweizer das Gegebene und Selbstverständliche. Nur am Rande der Gesellschaft gab es kleine nazifreundliche Gruppen; in dem Maße, wie der außenpolitische Druck zunahm, gewannen sie einigen Anhang unter Menschen, die sich weniger aus Überzeugung als aus Opportunitätsgründen anzupassen bereit waren. Solange noch die Gefahr der Invasion drohte, konnte gegen diese durchsichtige Neigung, sich für den Fall der Katastrophe ein schützendes Obdach zu sichern, kaum viel unternommen werden. Umso dringlicher schien radikales Durchgreifen, nachdem der Krieg vorüber war; die moralische Norm patriotischen Verhaltens sollte – zum Teil wenigstens – nicht mehr in Notverordnungen der Exekutive, sondern in Vorschriften der ordentlichen Gesetzgebung verankert werden. Der dringende Wunsch, die Schweiz aus internationalen Verwicklungen herauszuhalten, verflocht sich gewissermaßen mit dem moralischen Verlangen, die Grundsätze patriotischen Verhaltens zu zwingenden Geboten zu machen.

      Der große Fall, an dem sich die neue Bestimmung zu erproben hatte, kam 1952, als der Bundesrat die erforderliche Zustimmung zur Einleitung eines Strafverfahrens vor dem Bundesstrafgericht gegen Professor André Bonnard, Dozent für griechische Literatur an der Universität Lausanne, erteilte. Kein eingeschriebenes