Im Schellenhemd. Nataly von Eschstruth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nataly von Eschstruth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711487327
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Stadt Venedig, wo ein schwarzer Kerl ein Stückfass guten Weins gesoffen hat, ohne das Maul einmal von dem Krane abzubringen!“

      „Sollte man’s schier glaublich halten!“

      „Und ein anderer hat sich an einen gebratenen Ochs gemacht und ihn vor aller Augen mitsamt den Knochen gefressen; das hat gesplittert und geknackt, als ob unsereins einen Spatz oder ’ne Schnepf’ zermalmet mit dem Gebiss!“ — — Jorg schlug in starrem Staunen die Hände zusammen, und da der Synold sah, dass man ihm seine Geschichte glaubte, so hielt er es für seine Pflicht, den Brotherrn auf Kosten der Wahrheit noch mehr zu ergötzen, und übertrieb weiter: „Und da man nun dachte, der Vielfrass müsse schier zerplatzen an solch einem Mahl, da schrie er, man solle ihm flink ein gebraten Kalb bringen, sonst sterbe er Hungers!“

      „Und man brachte es?“

      „Freilich brachte man’s!“

      „Und der Gaukler?“

      „Nahm sich dabei nicht einmal die Mühe, die Knochen zu beissen, sondern schlang das Kalb herab, wie der Bischof Thilo von Trotha in Merseburg einst die jungen Mäuslein im Nachttrunk mit herunterschluckte und vermeinte, es seien Hopfenkern’ gewesen!“

      Wenn es der Synold erzählte, so musste es wohl wahr sein, und darum nahm Jorg seine Worte auf Treu und Glauben und rief noch erregter denn zuvor: „Heia, wie gelüstet es mich nun auf einmal, solch Wunderwerk in der Welt zu schauen! Dich erstaunet nichts mehr, Gesell, denn du hast mehr Aventiure erlebt, als der Richard Löwenherz und der Gawein! Aber ich bin gleich einem Adler, den man im Kasten gehalten, und der erst flügge wird, da seine Schwingen bereits ausgewachsen! Hör’, was ich dir sage! Jedes Wort, das ich mit dem fremden Zigeunerbub Irregang geredet, ist mir wohl verwahrt im Gedächtnis, und habe ich ihm damals mein Wort gegeben, dass ich ausziehn will als freier Ritter, ihn zu suchen in der weiten Welt! Die Zeit ist gekommen, und so will ich des fahrenden Mannes Narrenkappe auf die Lanze stecken und will mit dir hinaus reiten, das Haupt zu suchen, darauf sie einst gesessen!“

      Synold nickte mit überlegener Miene und sprach: „So man den Landstreicher nicht längst mit Feuer gebrannt, oder ihn aufgeknüpft hat, wollen wir ihn schon finden! Hab eine Spürnase, die schon mehr im Leben ausgewittert hat, denn einen fahrenden Mann! Da ich als frommer Pilger durch die Wüste, die längs dem Jordan liegt, wanderte, verlor ich den Nagel, damit mein Kreuzfähnlein an die Lanze genagelt war. Ohne dieses mochte ich nicht wandern, und so liess ich den Zug vorauf gehn, wandte mich, obwohl es sehr gefährlich war, und suchte meinen Nagel in der Wüste. Da hatte ich viele Kämpfe mit den ungläubigen Räubern zu bestehn, und hätte ich nicht deren Blut getrunken, wäre ich verschmachtet. Aber meinen Nagel fand ich nicht, besonders da der heisse Wind Schirokko sich erhoben und mich dreimal im Sand begraben hatte, so dass es mir nah ans Leben ging. Als ich just voll Missmut nach der dritten Tagereis’ das Ding will sein lassen, — da seh’ ich einen mächtigen Löwen, der hinkend und langsam einher kam. „Eia, denk ich, sollte sich selbes Ungeheuer vielleicht meinen Nagel in die Pfote gerannt haben?“ — Mache mich flugs an ihn heran, und da ich all meine Pfeile wider die Räuber verschossen hatte, würg’ ich ihn mit der Faust zu Tode und untersuch seine Tatze! — Richtig, da stak mein Nagel, und so kehrte ich denn fröhlich zu dem Pilgerzug zurück und ward hochgeehrt, und noch heutigen Tages spricht man im Lande Palästina von dem „Helden Synold mit dem Nagel!“

      Wie hätte der Einsiedler von der Burg Darsberg eine solche Historie bezweifeln wögen? Schier ehrfurchtsvoll und stolz schaute der junge Ritter auf den Sprecher, und schämte sich beinah, dass ein solcher als Vasall mit ihm, dem tatenlosen, unberühmten Jüngling, reiten soll! Aber seine Augen blitzten in kampflustiger Ungeduld, und er ordnete alles in der Burg für die Zeit seiner Abwesenheit.

      Der Vogt Amadeus war mit den Jahren ein gichtkranker, kopfhängeriger Mann geworden, der sich gehorsam dem Regiment seiner gestrengen Hausehre fügte. Und das war gut, denn die Vogtin war ein kraftvoll Weibsbild; die alles wohl in Orduung hielt und eine gerechte Zucht führte, der konnte man eine so einsam und sicher gelegene Burg getrosten Herzens anvertrauen.

      Ein zuverlässiger Schutz ist auch der Torwart Lambert, der noch eisenfest und rüstig auf den Beinen steht, obwohl sich sein Haar schon silberweiss auf dem Schädel lockt. Der ist das treue Auge, welches über Darsberg wacht, das nicht ruhen und schlummern wird, wenn ein verdächtig Wölkchen am Himmel treibt. Was soll auch geschehen und was soll man hier rauben? So lange Jorg denken kann, läuft alles in der Burg im gewohnten Geleise, unverändert seit Grossvaters Zeiten, soll just zu der Zeit, da der junge Herr eine Fahrt in die Welt und das Leben tut, das Fundament erzittern und aussergewöhnliches geschehn? — Narretei! Hat doch der edle Sänger Wolfram auch den Stab zur Hand genommen, hat lachend sein Tüchlein rückwärts geschwenkt und sich nicht halten lassen von seiner Scholle.

      „Jedoch er sprach: got huete din!“

      und machte sich davon und fuhr in die Welt!

      Die Linden auf dem Burgtor standen in weisser Blütenpracht, just, als wollten sie mit lichten Schleiern ihrem jungen Herrn ein „Behüt dich Gott“ in die Ferne nachwinken.

      Die Rosse scharrten im Hof, und Junker Jorg, strahlend vor Freude und Jugendlust, klirrte einher in seinem Eisenkleid und achtete es gering, dass solches ihm viel Last und Hitze bereiten werde. Synold aber schnallte sich wohlweislich die einzelnen Rüststücke an den Sattel, denn er war nicht mehr gar so jung wie er tat und schien, und zumeist nur mit dem Munde ein grosser Held, der gewaltige Taten tat.

      Eine kraftvolle, schier königliche Gestalt war der junge Jossa in des Vaters dunkler Wehre, und da man in der Burg nichts von Welt und Mode gewahrte, so dachte auch niemand daran, dass der Jüngling ein gar altertümlich Ansehen hatte, dass sein Wamms vertragen, seine Stiefeln schrunstig und die scharlachfarbene Feldbinde ein absonderlich Gebilde war. — Er selber gedachte dessen am wenigsten, und stieg so wohlgemut und zuversichtlich in den Sattel, als reite er durch offene Tore direkt in sein Glück hinein! — An nichts hatte er mehr gedacht, und sogar geglaubt, er nehme genug des Gepäckes mit, wenn er sein Schwert Sigenôt in Händen halte und ein Dolchgehänge seine Hüfte schmücke, aber Synold Wackerstein hatte Sorge getragen, dass ein Lederbeutlein, gefüllt mit den wenigen Goldgülden, welche Herr Leberecht in den Kasten gespart, auf des jungen Herrn Brust liege, und er hatte einen ganz beträchtlichen Schnappsack hinter den Sattel eines jeden Rosses geschnallt.

      Der „Held mit dem Nagel“ hatte zwar erzählt, dass er sich einst gleich dem frommen Täufer viele Monate lang von Heuschrecken habe nähren müssen und diese krabbelige Kost sehr possierlich gefunden habe, — aber er vermeinte: „Auf die Maikäfer wollten sie sich lieber nicht mehr verlassen, sondern eine kräftige Wegzehrung einpacken, die dem Satanas ein Schnippchen schlüge!“ Junker Jorg war’s wohl zufrieden, denn er war ja kein Held, sondern ein ganz gewöhnlich Menschenkind, dessen Magen bislang noch niemals ein unfreiwillig Fasten gehalten.

      Die Zugbrücke dröhnte hernieder. Zum letztenmal hub das Burggesinde ein Tücherschwenken, Weinen und Lamentieren an, und dem jungen Ritter ward davon so weich und unsicher um das Herz, dass er beinah’ sein schweres Ross angehalten hätte, solch ein Herzeleid nicht an seinen Lieben zu verschulden! Aber der Synold sang ein gar keckes Wanderlied, das von Herrn Heinrich von Marungen gedichtet war und also begann:

      Ich will varn eine reise,

      wünschet, daz ich wohl gevar.

      da wirt mannic weise,

      Din lande will ich brenen gar!

      Er lachte mit übermütigem Sinn, gab dem dicken Apfelschimmel die Sporen und galoppierte schmetternden Hufes dem Junker voran. — Da gab’s auch für diesen kein Halt mehr! Got huete din! und dann wogten die schwarzen Straussfedern von seinem Helmbusch hoch auf, das Schwert tanzte klirrend an der Seite und Jorg von Jossa sprengte hinaus in die sonnenlichte Welt, hinaus in die Fremde, hinaus in das Glück! Funken stob das Steinicht des Burgbergs, und wo ehemals des Irregangs flüchtige Füsse geeilt, wo seine Tränen geflossen, da klang des jungen Ritters jauchzendes: „Heisa, johe!“

      Die Eichen spannten ihr lichtdurchflammtes Geäst über sein Haupt, der Sommer streute ihm seine duftigen Blumen auf den Weg, und die Vögel am Himmel mochten nicht glückseliger