Aufheulend fuhr die Dogge zurück, aber schon sauste der Sigenôt zum zweitenmal durch die Luft und kürzte auch des andern Hundes Schwänzlein noch um ein beträchtlich Stück. Da liessen sie jählings von einander, klemmten den blutenden Stummel jaulend zwischen die Beine und suchten Schutz bei Karre und Weiblein.
Junker Jossa schüttelte lachend die Haare aus der Stirn, zwang sein unruhig Pferd durch die schreiende und johlende Menge und warf der Wichûsgundel einen Gulden in den Schoss. — „Hab’ eine derbe Arznei verschreiben müssen, Alte! Aber besser einen hässlichen, denn einen toten Hund! Da hier, magst den schlimmen Beissern ein Krankensüpplein kochen, damit sie von ihren Wunden genesen mögen!“
Und schnell das Ross wendend, flüchtete er vor dem Dank des Mütterleins, winkte fröhlich mit der Hand und kehrte an Synolds Seite zurück. Noch staute sich die Menge, teils höhnende, ärgerliche oder anerkennende Reden führend, vor den Rossen, und der Weidgesell rührte leise den Arm seines Herrn und sprach: „Ei, so schaut doch einmal empor zu jenem Giebel, da blühen ein paar zuckersüsse Röslein!“
Jorgs Blick folgte der angegebenen Richtung, und abermals schoss ihm das Blut zu Kopf und er sass regungslos, wie aus Stein gehauen im Sattel, unbekümmert, ob ein solch auffälliges Anstarren zweier Jungfrauen schicklich sei oder nicht.
Droben, zwischen dem Efeugerank des breiten Glaserkers zeigte sich ein absonderliches, unendlich anmutreiches Bild. Ein schlanker Jüngling mit dunkelblitzenden Augen und schwarzlockigem Haupthaar, angetan mit einem grellfarbig, aber kostbar verzierten Narrengewand von gelb-, rot- und grüngestreiftem Marokk, sass mit übergeschlagenen Beinen, die Füsse zur Strasse herabhängen lassend, auf der holzgeschnitzten Brüstung und war der Störenfried gewesen, welcher die kämpfenden Hunde mit Walnüssen und kleinen Steinen geworfen hatte. Er lachte dazu ein „Ju narro!“ dass seine weissen Zähne blitzten nnd sein braunes Gesicht so keck und schön aussah wie das eines italienischen Sängerknaben, — nach Synolds Versicherung. Neben ihm zur Linken lehnte ein junges Frauensbild mit einem Angesicht, so lächelnd und lilienhaft milde, wie das eines guten Engels, die trug ein schlichtes, lichtblaues Wollenkleid mit weissem Brustlatz und Ärmelfutter, und der Blick ihrer sanften, rehbraunen Augen begegnete dem Junker, und sie lächelte ihm dankbar und freundlich zu, dafür, dass er dem grausamen Scherz ein Ende bereitet.
Jorg sah diesen Blick und atmete freudig auf, aber sein Auge stand im Dienst einer andern, der wundersamen Schönen zur Rechten des Hausnarrs. —
Diese war ein Jungfrauenbild, wie der Edle von Jossa selbst in seinen phantastischsten Träumen noch keines geschaut. Auf einer prachtvoll hohen Figur thronte ein Haupt, so stolz, so kalt und so zauberschön wie das der Frau Hulde, wenn sie zürnt. Ein Zornesblitz traf den Störer des ergötzlichen Spiels aus ihren grauen, tief beschatteten Auge und die Lippen wölbten sich schier verächtlich über den blendenden Zähnen. Ein wallendes Lockenhaar, wie aus Sonnenglut gesponnen, flimmerte hernieder über Nacken und Arme, gehalten von einem köstlichen Stirnreif, juwelblitzend wie der einer Königin. Werktag war es, und dennoch fiel ein seidenes Gewand in schneeweissen Falten, wie glänzendes Taubengefieder, an ihren stolzen Gliedern nieder, auf dem tiefentblössten Hals funkelte das Geschmeide und ein goldgesticktes Bruststück spannte sich knapp über den Busen. —
Noch einen Augenblick stand sie und starrte mit umwölkter Stirn auf die sich zerstreuende Menge, und da Jorg in jäher, leidenschaftlicher Aufwallung die Hand hob, das wundervolle Weib zu grüssen, da flammte abermals ein Blick zorniger Nichtachtung zu ihm hernieder, und sie wandte sich jählings ab und trat zurück in das Gemach. —
Die blaugekleidete Jungfrau aber neigte in holdem Dank das Köpfchen, dass ihre braunen Zöpfe sich wie glänzende Schlangen über der Brust regten, trat gleichfalls zurück und folgte errötend der Genossin. Der Hausnarr aber, welcher das Vorkommnis gar wohl beachtet hatte, schwang sich in den Erker, lachte leise und spöttisch und warf, ehe es sich der Junker versah, einen Hagel welscher Nüsse prasselnd auf die Reiter nieder: „Jû nârro!“ — Ein Halloh und Gelächter erhob sich unter den Leuten, Jorg aber schrak empor wie aus einem Traum.
„Beim Satanas, es war Zeit, dass der Kaspar mich gemahnte, sonst wären meines Rosses Hufen am Ende festgewachsen!“ lachte er gutmütig, schnalzte mit der Zunge und ritt, den Blick unverwandt zu dem Erker gehoben, langsam weiter.
Synold aber schimpfte in den gotteslästerlichsten Reden, denn er hatte just ein paar Nüsse in das Gesicht bekommen und hielt sich das Auge.
„Heda, Büblein! kannst du mir wohl sagen, wem selbes schöne Haus gehört?“ fragte der junge Ritter einen Bacchantenschüler, welcher gaffend neben seinem Pferd stehen blieb.
„Ihr müsst gar weither kommen, dass Ihr solche Frage tut! Das Haus des Ratsherrn Konrad Pfalz ist bekannt am ganzen Rhein herauf!“
„Und wer war jenes schöne Frauenbild, in dem milchfarbenen Seidengewand? Am Ende gar des Herrn Conrads ehrsame Hausfrau?“
„Die liegt seit vielen Jahren schon unter der Erde! Die Walpurgis aber ist des Ratsherrn Töchterlein, die gerühmteste Bürgerin von Zwingenberg, denn sie ist noch schöner wie Frau Uhde, die als Wasserfee in den Wogen des Rheinstroms hauset!“
„Mag wohl sein. Aber halt da! Willst du uns wohl den Weg nach einer guten Herberge weisen, kleiner Gesell? Es soll dein Schaden nicht sein!“
„Wendet Euer Ross und kommt!“
Ein weisser Hirsch auf grasgrünem Felde prangt über der gewölbten, schwarzgeräucherten Haustür. Der Wirt, ein unfreundlicher, pockennarbiger Kumpan schüttelt den Kopf, ohne das Lederkäppchen zu ziehen, und sagt: „Ihr klopfet dergeblich an. Sind heute drei Schiffe von Basel gekommen, die haben mir die Stube mit Gästen gespickt!“ — sagt’s und wendet sich, ohne Antwort abzuwarten, in die Schankstube zurück.
Der Schüler ist in sein Haus geschlüpft; ratlos reiten die beiden Wanderer fürbass, zu dem zweiten und dritten Wirtshaus. Anch hier weist man sie mit dem unhöflichen Dünkel reicher Leute ab. Die Nacht kommt herauf, es wird still und dämmerig auf den Strassen. Jorg fragt nach dem Edeln von Hardenau und nach seinem Hause, und die Leute zucken mit schier beleidigendem Blick die Achseln: „Der Edle und seine Hausfrau sind tot, und das Grundstück hat der Helzinger gekauft.“
Der Bescheid wird kurz gegeben, und die Leute eilen weiter. Auf das höchste betroffen überlegen Herr und Geselle, was sie beginnen sollen. Haustüren werden abgeschlossen, die Lichter löschen aus. Da zupft jemand an Jorgs Mantel, und als er sich umschaut, steht die Wichusgundel hinter ihm.
IX.
Wohl niemals im Leben war das alte Weiblein mit grösserer und ehrlicherer Freude begrüsst worden als in diesem Augenblick, wo es im braunen Kapuzenmantel, auf den krummen Stab gebeugt, neben des Junkers schnaufendem Rosse stand.
„Ei, die Wichusgundel!“ rief Jorg mit sehr erleichtertem Aufatmen! „Grüsse dich Gott, du freundlich Lichtlein in der Finsternis, das uns nun hoffentlich auf rechten Weg geleitet! Weiss der Tenfel, dass die Zwingenberger Bürger kurz angebunden und nicht sonderlich gegen fremde Reiter sind!“
„Hihi!“ lachte die Alte mit bitterem Klang, „da habt Ihr die ehrsamen Krämer gar wohl erkannt! Was da auf dem Geldsäckel sitzet, das rührt sich nicht gern zu andrer Leute Hülfe, und was da webert und feilscht, das hebt die Nase gewaltig hoch über einen ehrlichen Rittersmann! Kenne die Zwingenberger Bürger, — lieber Herr, kennt sie keiner so gut als wie die Wichusgundel!“
„Aber zum Kreuz Birnbaum und Potz Hagelwetter! sollen zwei landfahrende Herren etwa bei den Feldmäusen nächtigen, weil sich die Kaufherrn bereits um neun Uhr die Schlafhaube über die Ohren ziehen?“ wetterte Herr Synold höchlichst aufgebracht: „heda! so zeig uns einen Unterschlupf, wo man endlich von Gaules Rücken kommt! Will eine Handelsstadt sein und bringt