Tiefgerührt neigte sich Jorg von Jossa und klopfte die Sprecherin auf die Schulter: „Sollst zufrieden sein mit deinen Gästen, Gundel! — Also führ’ uns zum Wichus, mich hungert gewaltig nach deinem Süpplein!“ Da knixte die Alte und war schier ausser sich vor Freude über solch hohe Ehre, und sie hinkte so schnell wie möglich neben den Rossen her, fasste furchtlos des Rappen Zaumzeug und lenkte ihn durch die dunklen Gassen. So reich und üppig auch die Bürger von Zwingenberg waren, so übel sah es dennoch in den Gassen ihrer Stadt aus, und ein Fremder konnte sich bei Nacht und Nebel wohl mitsamt seinem Gaul den Hals brechen, wenn er in den Wirrwar der Kehricht- und Abfallhaufen vor den Türen geriet. —
Kreuz und quer durch die schmalen, bergigen und dunkeln Winkelgässchen führte die Gundel ihre Schützlinge, und sie atmete erschöpft auf, als sie endlich vor der Stadtmauer standen, auf deren Zinnengang sich der Wichus von dem grauen Nachthimmel abzeichnete. Zu ebener Erde war eine rundgewölbte Pforte. Die Alte hiess den Synold vom Ross steigen und mit kräftiger Hand den Holzriegel zurückschieben, da kreischte die Tür in den Angeln und Jorg schaute in einen gewölbten Kellerraum, in welchen durch offene Längsluken ein falber Lichtschimmer einfiel. —
„Möget die Pferdlein getrost einstellen, kein Stall ist sicherer. Da schaut eine Strohschütte! Haben unlängst eine Schar von Wallfahrern hier nächtigen lassen, die Herrn vom Rat, weil’s arme Schlucker waren und kein Gasthaus bezahlen konnten. Heu habe ich nicht für die Rosse, können auch jetzt keins mehr haben, — so wir aber eine Scheibe Brot in Branntwein tauchen, erhält’s das Vieh bei Kraft; — auch tränken könnt Ihr sie mit meinem Krug.“ —
Synold hatte den Raum vorsichtig begangen und ausgekundschaftet. Er schmunzelte zufrieden, ging seinem Herrn eifrig zur Hand und schaffte den Rossen das Nötige, dann schnallte er vorsichtig den einen Schnappsack ab, nahm ihn unter den Arm und trat wieder auf die Strasse. —
Der Riegel ward vorgelegt und sicherheitshalber der Türschnäpper herausgezogen, und dann stieg die Gundel ihren vornehmen Gästen voraus, eine schmale Steintreppe zum oberen Gelass des Wichus empor. —
Mit freudigem Behagen schaute sich Junker Jorg in dem grossen, luftigen Raume um. Wohl prasselte ein helles Feuer auf dem kleinen Backsteinherd und hätte wohl die Temperatur des Stübleins bei der warmen Sommernacht um ein Ungemütliches erhöhen können, aber Gundel hatte die sämtlichen Fensterluken aufgetan, und darum strich der Luftzug von allen Seiten kühl hindurch und jagte die Rauchwolken sorgsam aus dem Turmgemach. Ein hochgeschütteltes Lager von Laub, Moos und Kaninchenfellen dehnte sich breit an der einen Wandseite, an der andern lagen verschrumpfte Rüben, Nüsse, Krautköpfe und getrocknetes Obst, säuberlich geordnet und gaben Zeugnis, dass das alte Weiblein gleich einem klugen Hamster die Wintervorräte so reichlich im Feld gesammelt, dass sie ausreichten, bis der liebe Herrgott von neuem das Tischchen deckt. —
Ein stark würziger Duft wehte von den Wänden hernieder. Dort hingen an Pflock und Nagel dicke Büschel edler Kräuter, Beifuss, Majoran, Lavendel und Spicke, und unter ihnen heilsame Kamillen, Lindenblüten und Hollunderstauden. — Ein wackliger Tisch, zwei Holzklötze als Schemel, einiges halbzerbrochenes Geschirr und ein Zinnteller bildeten der Holzgundel Hausgerät, und so jammervoll arm er auch war, sah dennoch alles sauber und behaglich aus, so dass der Edle von Jossa sich gern auf den Schemel niedersetzte und heiteren Angesichts des Roggenmehlbreies harrte, welchen die Alte voll emsiger Hast aus dem Kessel füllte.
„So ich mir deine Hausung anschaue, Frau Gundel,“ sagte er, und gab dem Synold einen Wink, des Schnappsacks leckere Füllung auf den Tisch zu legen — „deucht es mich, als müsstest du gar wohl angeschrieben sein bei dem edlen Rat von Zwingenberg, dass er dir eine solch vornehme Turmburg zum Hofhalt gegeben! Schauest herab auf der Bürger niedere Dächer wie die Königin Kriemhild im Wormser Schlosse!“ —
Die Gundel lachte gleichfalls, stellte den Zinnteller vor ihren hohen Gast und steckte den Holzlöffel hinein zum Zeichen, dass der Brei wohlgeraten und sattsam dick sei, und sprach: „Ja so man mich jetzo hier schaut, möchte man wohl glauben, die Väter der Stadt hätten ein butterweich Herzelein für die Not ihrer Kinder! Aber du mein Herr Jesus, wo wäre wohl die Wichusgundel, wenn der brave Konrad Pfalz sich nicht ihrer erbarmt uud den Mund aufgetan hätte, für sie zu reden!“ —
Jorg lauschte bei Nennung des Namens heiss erglühend auf und vergass seines Mahles. Die seltsame Wirtin aber fuhr in warmem Eifer fort: „Gott möge ihn segnen, den Konrad Pfalz, hat sich wohl schon siebenmalsiebenzig das Himmelreich an uns armem Volk verdient und das liebe Engelsbild in seinem Hause desgleichen! Machen alles wieder gut, was die andern Bösewichter, die hartherzigen Geizhälse und Liederjahns verschulden: „Jaget sie hinaus, wenn ihr Ehemann gestorben und die alte Vettel nicht mehr ernähren kann!“ sprach der Michel Raak, da sie mich vor ihn brachten, und der Helzinger hat gar mich ehrlich, gottesfürchtig Weibsbild als Hexe verschreien wollen; dann hätten sie mich gebrannt und waren mich los! Aber der Konrad Pfalz sprach ihnen ins Gewissen und hielt seine Hände über mich, und er setzte es durch, dass ich aufgenommen ward unter die städtischen Holzleser.
Muss alle Tage meine Karre voll Reisig bringen, damit der Wachtmannschaft am Stadttor der Herd geheizt wird, und dafür darf ich im Wichus frei wohnen. So ich mir nicht selber meine Leibesnahrung im Feld zusammenlese, muss ich Hungers sterben. Nun, der liebe Herrgott lässt im Sommer viel gute Beeren und Wurzelwerk im Walde wachsen, und ich hab’ mich in Ehren durchgebracht. Aber das Alter ist immer drückender geworden, und ich hab’ einen Fall getan und das Bein gebrochen; da dachte ich: „nun schaff’s zu Ende, lieber Herr Jesus, denn jetzt lieg’ ich mutterseelen verlassen.“ — Aber der Konrad Pfalz hat sich abermals erbarmt, und sein liebes Heiligenbild, das junge Fräulein hat sich gedemütigt, ist heraufgestiegen zum Wichus und hat mich gepflegt wie die heilige Elisabeth ihre Bettler!“ —
Grosse Tränen rollten über die Wangen der Alten, sie faltete die Hände und nickte still vor sich hin, und da der Junker nur mit gar wunderlich verzückter Miene das heisse Haupt in die Hand stützte und murmelte: „Wohl wahr, ein holdselig Engelsbild!“ und Synold so eifrig kaute, dass er keine Zeit zum Sprechen fand, fuhr sie langsam fort: „Da ich genesen war, fehlte mir die Kraft, meine Holzlast zu ziehen, und sie wollten mich hinauswerfen aus dem Wichus; aber Konrad Pfalz sprach: „Mit nichten, also!“ und er schenkte mir zwei junge Doggen und gab mir den Hundejung, dass er sie gewöhne, die Karre zu ziehn. Da war ich aller Sorge bar; — und heute hat ein gottverfluchter Schandbub die Teufelei ersonnen, mich um die Hunde zu bringen. Ihr aber, lieber, edler Herr Ritter, habt mir gar gnädiglich geholfen, und dafür werd’ ich Euch zeitlebens Dank wissen! — Ist nichts so gebrechlich und gering unter Gottes Kreatur, als dass es dem lieben Nächsten nicht einmal zu Diensten sein könnte! Höret Ihr wohl, Herr Junker, so Ihr einstmals Hülfe braucht — die Gundel versteht sich auf mancherlei geheime Kunst! — so steiget die Stufen zum Wichus empor und Ihr sollt mich bereit finden!“
„Du hast deine Schuld bereits abgetragen, du braves Mütterlein!“ rief Jorg, treuherzig die runzlige Hand fassend, „denn du hast uns gut Quartier gegeben, da wir ratlos auf fremder Gasse lagen! Aber sag’ wohl an, kommt die Jungfrau Walpurgis jetzt noch zu dir, dich zu pflegen? und warum hat sie deinen Hunden keinen kräftigen Streitschlichter gesandt, da sie doch im Erker stand und deine Not mit ansah?“
Die Alte wollte just den Zinnteller