Im Schellenhemd. Nataly von Eschstruth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nataly von Eschstruth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711487327
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tatest du?“

      „Es kam mir ein Gedanken! Ich griff in die Hosentasche“ —

      „Warest doch in Ketten?“

      „Allerdings. Aber ich biss mir in die Finger, da floss das Blut aus der Hand und machte sie ganz dünn, und ich schlüpfte aus dem Ring. Hier in Deutschland hätte solch ein Biss freilich keine solch wundersame Wirkung wie in Italia. Also ich hole aus der Hosentasch’ ein Brennglas und fange einen Sonnenstrahl.“

      „Ich denke, es fiel weder Sonne noch Mond in den Turm?“

      „Just zuvor hatte es ein kleines Erdbeben gegeben, das sprengte einen schmalen Riss in die Mauer und durch diesen schien der Strahl. Den fing ich im Brennglas, steckte den ganzen Turm in Brand, und da meine Finger noch bluteten, feuchtete ich meine Kleider daran an und kam glücklich durch die Flammen. — Aber der Riese hinter mir her! Ich lockte ihn flugs in einen Sumpf, der verschlang ihn, weil er so schwer war.“

      Der Edle von Jossa schüttelte bedenklich den Kopf. Sonst hatte er nie des Synold Historien bezweifelt, aber es schien, als ob die Luft der Freiheit bereits kräftig hinter der Jünglingsstirne revoltierte. Er schlug an das Schwert und sprach: „Dein Wort in Ehren, aber eine solche Sache glaub’ ich nicht!“

      Synold runzelte die Augenbrauen und sah tief gekränkt aus: „So man nimmer vom Herd gekommen, verlacht man gar leicht die Aventiure gereister Leute! Aber wollet mir doch Erlaubnis geben, meines Weges feldein zu reiten, auf dass nicht die Bürger von Zwingenberg Euch schelten, Ihr führet einen Aufschneider und Maulhelden bei Euch! Solches wäre übler Dank, den sich ein Getreuer an Euch erworben!“

      Da tat dem jungen Ritter seine sündhafte Zweifelsucht bitter leid, und er ersann die besten Worte, den beleidigten Freund wieder zu versöhnen!

      „Wenn wir in die städtische Herberge kommen, sollst du auch Gernsheimer Alten trinken, soviel als dein rund Bäuchlein fassen kann!“ schmeichelte er zum Schluss. Synold sah bedeutend versöhnlicher aus und erwiderte: „So der Katz keine Milch wird, säufet sie aus der Pfützen, und so man nicht Malvasier und Cypernwein zapfet, nimmt man mit Gernsheimer fürlieb. Aber da fället mir ein! Hab ich Euch schon die Historie erzählt, wie ich um einen Krug Malvasier an die hundert Heiden bezwang?“

      „Nein, bislang verschwiegest du’s!“ beeilte sich Jorg sehr höflich zu versichern, und der Waidgeselle räusperte sich kniff das rechte Auge schmunzelnd zusammen und begann mit ungetrübter Laune einen Bericht zu geben, der noch viel, viel erstaunlicher war wie der erste. Diesmal aber war der Junker von der Wahrheit der Erzählung völlig überzeugt und nickte ernsthaft mit dem Haupt und sprach: „Du bist ein ganzer Mann, Synold mit dem Nagel, und so ich im Leben nur soviel Krautköpfe spalten möcht’, wie du Menschenschädel, so würde ich mit Ehren dereinst in die Grube fahren!“

      Über ihnen in der Luft tirillierten Schwalb und Heidelerch, und aus den Schornsteinen von Zwingenberg kräuselte der blaue Rauch. Die Bürger kochten ihre Abendsuppe, und als die Glocke der kleinen Spittelkapelle Sankt Agneten das Ave Maria kündete, klopften zwei fröhliche Reiter an das Stadttor, gastliche Einkehr zu halten.

      — Hei, wie riss der Einsiedler der Feste Darsberg die grossen Kinderaugen auf, da sie in die giebligen Strassen einlenkten, wo so viel buntes Leben herrschte und so viel geschäftige Leute einherrannten, wie sie Jorg sein Lebenlang noch nicht beisammen gesehn. —

      Auf dem breiten Kanal, welcher Zwingenberg und den Rheinstrom verbindet, wohlgesäumt durch dornige Hecken und steinernen Schutzwall, liegen die stattlichen Schiffe im Hafen. Ein lustig Gewirr von Masten, Wimpeln und Fahnen steigt zum blauen Himmel, hier kreuzt ein Obstkahn mit blankem Segel und fährt davon, dort kommt ein Ruderschiff und füllet sogleich seine verlassene Stelle. Am Ladeplatz wimmelt’s wie ein Ameisenhauf. Der mächtige Kran stöhnt und knarrt unter der sauern Arbeit, Ballen um Ballen von dem Verdeck zu holen, — ruhig und sittig schafft die Zunft der Schiffer, und seitlich öffnet das Zollhaus die breiten Tore.

      Stolzen Schritts lustwandelt der Kaufherr und Bürgermeister auf der steinernen Brücke. Sein Wamms ist feinstes Kammertuch, sein Säckel wiegt schwer in der seidenen Pluderhose. An seiner Hand gleisst in güldenem Reif der Edelstein; eine weisse, weichliche Hand. Sie tut auch keine Arbeit, sie erntet ohne Karst und Pflug und lässt die Bauernstiere für sich ackern. Leichtbeschwingte Segler schickt er hinaus in aller Herren Länder, und sie kehren als schwerrudernde, tieffurchende Lastschiffe mit vollen Kisten und Säcken heim, Salz, Pfeffer, fremde Gewürze und Goldstaub, Papegân und feine Seide aus Zagamank und Libia heim zu bringen! Und wo der reiche Peter Helzinger mit dem rotgedunsenen, brutalen Gesicht unter dem grauen Haar, der Mann mit Mantel und Kette sich zeigt, da krümmen sich ehrfurchtsvoll die Rücken, da fliegen die Käpplein vom Haupt, und die Dirnen drängen sich knixend herzu, einen huldvoll grinsenden Blick aus den gequollenen Augen zu erringen. —

      Jorg von Jossa ritt langsam fürbass und schaute sinnend auf diesen Mann, welcher so vornehm einher stolzierte wie ein Gaugraf, und obwohl ihm sein Gesicht und sein Gebaren einen unerklärlich widerwärtigen Eindruck machten, so hielt er es doch für Sitte und Anstand, den hohen Herrn respektvoll zu grüssen.

      Wohl war es ihm schon aufgefallen und hatte ihn befremdet, dass man allerorts die Köpfe zusammensteckte, lachte, zischelte und auf ihn hinwies. Die geputzten Bürgersfrauen im offenen Erker neigten sich vor, ihm voll Heiterkeit nachzuschauen, die dünkelhaften Mägde am Brunnen wiesen frech mit dem Finger und die Männer schauten mit breitem Grinsen, ohne die Mütze zu ziehen, zu ihm auf. Der vornehme Mann jedoch, mit der dicken Goldkette, trieb’s vollends zu arg. Er blieb beim Anblick der Reiter stehn, legte die Hände auf dem goldenen Griff des Spazierstockes zusammen und hub mit zwinkerndem Blick ein leises Lachen an, und da der Junker ihn freundlich grüsste, ward seine hässliche Miene noch viel unleidlicher, und er nickte mit dem Haupt zum Gegengruss, wie der Kaiser einem Landsknecht dankt. —

      „Woher soll der Mann wissen, dass ich ein edler Ritter bin!“ dachte Jorg versöhnlichen Herzens, „hier reiten gewiss die Edelleute ebenso selten ein, wie die Bürger auf der Feste Darsberg!“ — Aber er zupfte seine scharlachrote Binde noch leuchtender auseinander und schwenkte wohlgemut in die nächste Gasse ein. Ein wüst Geschrei, Hundegebell und Gezeter schallte ihm entgegen. Ein johlender Volkshaufen knäulte sich vor einem Hause — beim Himmel, jenes prächtige Haus an der Stadtmauer! — und schien eine gar absonderliche, wilde Belustigung in seiner Mitte zu haben. —

      Mit blitzenden, neugierhellen Augen ritt der junge Jossa herzu, und hoch von seinem Rosse schaute er auf ein ganz wundersames Schauspiel hernieder. Ein abgeschirrtes Karrenwäglein, mit Reisig beladen, stand zur Seite, und die beiden grossmächtigen Doggen, welche es mutmasslich gezogen, waren just dabei, sich in wahnsinniger Wut mit noch zwei andern Rüden zu zerfleischen. Da hatte irgend ein roher Gesell sich den Scherz gemacht und jedem Hund ein Stück blutig Fleisch an den Schwanz gebunden, und nun fielen sie sich an in furchtbarem Grimme, so zornig und wild, dass sie sich bereits schwere Wunden gerissen und darauf und daran waren, sich zu Tode zu würgen. Johlend und lachend stand die Menge und gaffte dies ergötzliche Schauspiel an, durch Steinwürfe und Knüppelschläge die Wut noch anreizend. Nur abseits auf der Karre sass ein alt Weiblein, krank und gebrechlich, mit verrunzeltem Angesicht und zerlumpter Gewandung, die rang in bitterem Wehklagen die Hände und wandte sich hülfeflehend von einem der Gaffer zum andern; aber man stiess sie zurück und höhnte sie mit derben Reden, aus welchen Jorg erfuhr, dass sie die „Wichusgundel“ geheissen und Besitzerin der beiden Karrenhunde war. — Das gute Herz des Junkers empörte sich gegen eine solche Roheit. Er liess sein Ross kräftig in den Volkshaufen gehn, dass die Mägde schreiend auseinanderstoben, und rief das Holzweiblein mit kraftvoller Stimme, aber freundlich an: „He! sind jene Rüden dein Eigentum, und hast du Angst, dass sie sich gegenseitig die Gurgel abbeissen?“

      Die Alte hob die zitternden Hände zu der ritterlichen Gestalt des Sprechers empor. Ein Schimmer der Freude flog über die tränenfeuchten Wangen, und sie hielt ein in dem zornigem Keifen, mit welchem sie die Schmähreden der Leute beantwortet, drängte sich dicht zu dem Ross heran und jammerte mit zahnlosem Munde: „Ach, edler Herr! Heil Euch, dass Ihr daher kommt wie Sankt Georg, der liebe Streiter! Wollet Euch eines alten, unglückseligen Mütterleins erbarmen, dem ein gottverfluchter Spassvogel