Im Schellenhemd. Nataly von Eschstruth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nataly von Eschstruth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711487327
Скачать книгу
du den hellen Blick, dass du Sterne, Vögel und Blumen verstehen und deuten magst?“ fragte der Bürgermeister, näher tretend und in feiger Betretenheit den Hals in die Schultern drückend. Der braune Bub nickte mit stolzem Gesicht, und Michel Raak drängte herzu und rief:

      „Ich bin der Bürgermeister von Zwingenberg, sag’ mir die Zukunft!“

      „Du lügst, Herr Michel Raak, ein so hoher Herr bist du nicht und wirst es nimmer sein, denn der Bürgermeister herrscht gleich wie ein König und hat einen Vetter, der ist kahl geschoren und obwohl kein Ratsherr, so dennoch mächtiger wie du!“

      Da bog Peter Helzinger den Rücken in schallendem Gelächter und fühlte sich geschmeichelt und sprach: „Ei, so nenne uns doch den Höchsten allhier!“

      „Selbiger bist du!“

      „Heisa! hast’s getroffen! und hier ... schau meine Hand ... was wird mein Schicksal sein?“

      Da brach abermals ein Blitz aus des Knaben Auge, und er sah seinem Vater ähnlicher denn je und sprach durch die Zähne: „Glück über dich, Peter Helzinger, wirst alles haben, was du begehrst. Die Bürger und Ritter werden dir nichts anhaben können, aber dein Fuss hat auf ein Gewürm getreten, das ist dein Todfeind geworden. Aus dem Wurm macht die Zeit eine Schlange, die spricht: „Für jeden Schlag einen Hieb, für jeden Tritt einen Biss!“ — — und so die Zeit gekommen, sticht sie dich. — Aber des fürchte dich noch nicht, denn du bist gross und machtvoll und geniessest ein langes Leben.“

      Die stieren Augen des Bürgermeisters richteten sich in ängstlicher Frage auf einen Mann im schwarzen Wamms, der hinter ihm stand: „So du ein gelahrter Doktor bist, Tobias, so deute mir die Schlang!“

      Frommstädter zog die Augenbrauen hoch und krähte lachend auf: „Die Schlang heisset auf zwei Namen „Wein und Weib!“ — solche ziehest du an deinem Herzen gross, und wirst unmässig sein, dass der Wurm zur Schlang wird und dich sticht! Wirst dich totsaufen, Gevatter, und deine Herzliebsten werden dich im Schellenkleid zu Grabe tragen und singen:

      „Und die Glöcklein klingen

      In regis curia!“ —

      Ein grosses Gelächter erhob sich, in welches der Helzinger am unbändigsten einstimmte.

      Herr Konrad Pfalz aber hatte sich wieder zu Ross gesetzt, hatte den Knaben vor sich genommen und war seitlich zum Heimweg in den Wald eingeritten. Da las keiner die wahre Deutung der Schlange, welche in des Kindes Angesicht mit krassen Linien geschrieben stand.

      Nie zuvor im Leben hatte klein Irregang eines Bürgers Stüblein, geschweige eines Ratsherrn Haus betreten. Fahrend Volk liess kein Christenmensch gern über seine Schwelle, und man hielt darum die Gaukler auf dem Hof, auf Plätzen und Strassen, um ihre Kunststücke anzuschauen. Da war es für den Sohn des Zigeuners, als träte er in ein Wunderland, in eine fremde, nie geahnte Welt, als er zum erstenmal die geschnitzte Decke eines solchen Prunkzimmers zu seinen Häupten sah, welche zu jener Zeit den Reichtum und den Glanz eines Kaufherrnhauses überwölbte. Da gleisste es von Gold- und Silbergerät auf den breiten Wandborden, da lagen köstliche, bilderreiche Gewebe auf den Dielen, und jed’ Möbel trug ein geschnitzt Bildwerk an sich, und die Kissen, welche die Sitze deckten, waren bezogen mit Pfeller, Triblât, Baldekîn, durch Goldbleche und blitzende Nadelköpfe herrlich verziert. Bilder von Frauen und Männern so deutlich, dass man vermeinte, sie lebend zu schauen, hingen an den Wänden, auch Kreuze mit dem Herrn darunter, und in den Ecken prunkten Laden, mit Edelstein und Elfenbein verziert.

      Regungslos stand der Sohn des fahrenden Mannes und starrte auf solche Pracht, Herr Konrad Pfalz aber schritt davon, sein Töchterlein zu holen.

      Währenddes kam ein kleines, dürres Frauenbild durch die Tür, stemmte die Arme in die Seite und begann ein furchtbar Wettern, dass Herr Konrad in seiner törichten Güte gar das Ungeziefer auf der Gasse auflese, es heim in sein ehrlich Haus zu bringen! — Irregang aber war so geblendet von all der Pracht, dass er solche Worte nicht vernahm, sondern mit übervollem Herzen andächtig die Hände vor der geputzten Frau faltete und sprach: „So dies das Himmelreich ist, in welches ich gekommen, so bist du wohl einer von den lieben Engeln, die darin wohnen, und darum will dich fein bitten, du schöne Jungfrau, dass du mich in deine Huld nehmen mögest!“

      Verblüfft schaute die Wirtschafterin Marlies auf das Kind nieder, und da just das andere Gesinde, darunter auch der Schreiber Jonathus, neugierig in das Zimmer einschauten, hob sie geschmeichelt das scharfknochige Haupt und fragte mit lauter Stimme: „Für einen Cherubim nimmst du mich, du gescheites Büblein? Hast du denn nicht schon viel schönere Frauenbilder im Leben geschaut?“ Treuherzig schüttelte Irregang den Lockenkopf.

      „So schön wie du war wohl noch keine, denn eine solche güldene Haube erblickte ich noch nie zuvor!“

      Der Marlies giftige Miene ward zuckersüss, und sie klopfte seine Wange und nickte: „So es Herr Konrad befiehlt, magst du bei uns bleiben, und sollst’s gut haben, denn sieh, ich bin nicht nur von aussen gleich einem guten Engel anzuschauen, sondern bin auch von Herzen eine gar sänftigliche Jungfrau!“ — Sprach’s und blickte den kleinen Schreiber herausfordernd an.

      Ein Küchenbub aber zog hinter ihrem Rücken eine arge Grimasse und wies auf seine Wange, darauf fünf Fingernägel ihre Schrift geschrieben. — Gleicherzeit tat sich die Tür auf; Herr Konrad Pfalz, der reiche Ratsherr, führte sein Töchterlein an der Hand, und da Irregang sie schaute, glaubte er, des Kaisers Mägdlein höchstselber schreite über die Schwelle.

      Die Walpurg war wohl an drei Jahre älter als der braune Bub, aber sie war nicht gekleidet wie andre Dirnlein ihres Alters, sondern trug ein Gewand von köstlichem Seidenstoff, das fiel bis auf die spitzen Schuhe, und einen gekrausten Kragen und steinbesetztes Gürtelband. Ein Häublein von Goldstoff, noch viel, viel schöner wie jenes der Marlies, lag auf dem schlanken Köpfchen und unter ihm hervor fiel das Haar, so lockig und licht wie geschmolzen rot Gold, schier unbegreiflich anzuschauen. Ihr Gesichtlein aber blickte streng und prüfend auf den kleinen Schalksnarr, und es dauerte wohl eine geraume Weile, bis die grossen, stahlgrauen Augen ihre kühle Musterung beendet.

      „Lass ihn zeigen, was er kann!“ — entschied sie endlich mit herbem Ton, und just, als habe eine Königin ihm geboten, wartete Irregang gar nicht erst den Wink des Pfalz ab, sondern begann mit glühenden Wänglein alles aufzuführen, was er konnte. Ein Liedlein wusste er, das war ein Lob für die schönen Frauen und Mädchen und endete damit, dass er selbe bat, ihn freundlich zu herzen; das sang er. Und wie er’s gewohnt war, reichte er zum Schluss der Walpurg die Lippen dar, dass sie ihn küssen möge. Da brach ein stolzer Zornesblitz aus ihren Grauaugen, und sie hob das Köpfchen und sprach: „Ein solches ist Frechheit und Unding! hebe dich hinweg, und vergiss es künftighin nicht wieder, dass ich die Herrin und du der Narr bist!“

      Irregang aber neigte tief beschämt das Kinn zur Brust, und es war ihm, als müsse er weinen, — nicht um der Schmach willen, denn an solche war er gewöhnt, wohl aber, weil es ihm im Herzlein drängte, der wunderholden kleinen Ratstochter etwas Liebes zu tun.

      Walpurg hatte sich in ihrer frostigen Weise zu dem Vater gewandt und gebieterischen Tons gesprochen: „Der Narr gefällt mir, er soll bleiben; aber sein Schellenhemd sind Lumpen. Befiehl dem Meister Siltler, dass er ihm ein richtig, buntgeschlitzet Zwerggewand und ein eng Höslein macht, davon ein Bein gelb und eins rot sei. So gehört sich’s. Und dann ist der Irregang mein Eigentum. — Höret ihr alle vom Hausgesind, der Kaspar ist wohlgelitten hier und keiner von euch erdreiste sich, ihm unwirsch zu begegnen. Verdient er Straf’, so schlag’ ich ihn mit eigner Hand und peitsch’ ihn, — keiner sonst!“ — Und des Konrad Pfalz eigenwillig Töchterlein wandte sich kurz ab und schritt durch den geteilten Türteppich ihres Weges davon.

      Irregang aber schaute ihr ehrfurchtsvoll nach und dachte zufriedenen Herzens: „Mag die kleine Herrin mich züchtigen! solch ein Schlag wird nicht hart sein und soll durch keinen Biss vergolten werden!“ — Vor dem Ratsherrn beugte er das Knie und zog seine Hand inbrünstig an die Lippen: „Ich danke Euch, dass Ihr mich sesshaft gemacht habt und mir ein Dach zu Häupten gabt,“ sprach er voll altkluger Art: „ich will zeitlebens ein lustiger Narr sein und es Euch