Im Schellenhemd. Nataly von Eschstruth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nataly von Eschstruth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711487327
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noch am Leben wär, dann würde sie jetzt bei mir sein. — Wäre wohl sonder Murren gefolgt, hier im Tann bei mir zu hausen! Aber tot ist tot und kommt nicht wieder; nicht hier, nicht dort. Was im Grabe liegt und fault, das bleibet verfault, denn es ist das Ende. Das Paradies ist schon von dieser Welt, denn es ist des Frommen gut Gewissen, das Fegfeuer aber ist das Bewusstsein eigner Schuld.“ —

      Da schöpfte die Zigeunerin ein Häflein voll Suppe und stellte es schweigend vor den Sprecher hin, — der nickte abermals, als sei solches ein ganz selbstverständlich Ding, kostete und schlürfte mit grossem Wohlbehagen. Und da er gegessen und den Holznapf zurück gab, fragte er ohne sonderliche Einleitung: „Glaubst du wohl, dass sie deinen Mann in der Burg gerichtet haben?“ —

      Zinkra schüttelte das Haupt: „Der Goykos hat schon gar manches Mal seinen Hals unversehrt aus der Schlinge gezogen. — Meine Stunden sind gezählt, aber seine Lebenslinie ist stark und lang. So er flüchtig geworden, werden wir einander vor der Zwingenberger Stadtheg’ wiederfinden.“

      „Zwingenberg? nach Zwingenberg wollt ihr?“ — der Einsiedler schlug den Pelzmantel über die Knie und lachte herb auf: Was suchet ihr in solchem Teufelsnest? Wenn die Ritter in der Burg euch schon verfolgen, was soll erst ein grausam und übermütig Kaufherrngeniste mit euch treiben? Der Rat von Zwingenberg ist ein Unrat, und so lang er herrschet, ist’s ein übel Ding, an seine Tore zu klopfen!“ —

      Angstvoll schaute das braune Weib auf: „O lieber Herr, so erzählet mir, was Ihr von der Stadt wisst, und ich werde mein Knäblein weitab führen, auf dass uns kein Unheil treffe!“ —

      „So tuest du wohl daran. Sieh’ die Bürger von Zwingenberg haben eine feste Stadt mit Türmen und Zinnen, und haben einen breiten Graben nach dem Rheinstrom gelegt, darauf ihre Schiffe gehen und den Reichtum herzubringen. Das Gold hat der Peter Helzinger fässerweise im Gewölb stehen, und die Kaufleute sitzen im Überfluss und gebaren sich hoffärtiger und übermütiger denn die Ritter und Edelleute, treten auf wie freie Herrn und pochen auf ihre vollen Säckel! Der Peter Helzinger ist ihr Bürgermeister, der regieret wie ein König, hält Halsgericht und zieht Steuern ein und kommandieret und maltraitieret, ohne dass man ihm solch Handwerk legen kann. Denn die drei Ratsherrn, die unter ihm stehn, sind in seiner Hand, weil sie auch Kaufleute und bei ihm verschuldet sind. Die tun es ihm nach im wüsten Treiben, denn der Peter Helzinger ist ein Säufer, Schlemmer und Liederjahn, der nicht Pflicht und Gewissen kennt in seiner Roheit. Ein Vetter aber von ihm ist ein Dominikaner,“ — die Stimme des Sprechers ward furchtbar und seine Augen rollten — „einer jener kölnischen Dunkelmänner, so den Rhagius Ästicampianus vertrieben, und durch ihn haben sich etliche der Ordensbrüder nach Zwingenberg gezogen. Wo die aber hausen, da ist ein schlimm Regiment. Die drei Ratsherrn heissen Michel Raak, auch ein Wüstling, und Tobias Frommstädter, der alles andere ist, als fromm, und zum Schluss der Konrad Pfalz, ein weisser Rabe unter den Aasgeiern. Dieser ist ein braver Mann, der gerechten Weg geht und manches armen Teufels Retter geworden ist, aber er fährt mit drei Schiffen des Helzingers, und so kann er ihm nicht aufbegehren, sondern muss sich unter sein Regiment ducken.“ —

      „Und Ihr waret selber in der Stadt und habt all diese Leute kennen gelernt?“

      Abermals ein scharfes, bitteres Auflachen. „Nicht allein diese Leute, sondern gar mancherlei Menschen habe ich kennen gelernt! Und weil ich sie ganz und gar kennen lernte, darum ... hab’ ich jenen Hund dort lieb gewonnen! Solch eines armseligen Viehes Treue schätzet man erst dann, wenn man im Verkehr mit der Schöpfung Herrn gestanden.“

      Zinkra seufzte schwer auf. „Solches ist ein hartes, aber gerechtes Wort. — Doch sprecht, lieber Herr, wie weit ist es wohl des Weges bis zur Stadt? Mag mein Büblein sie in einer kurzen Tageswanderung erreichen?“

      Homus Eremitus hatte das Haupt wieder tief zur Brust sinken lassen und nickte nachdenklich vor sich hin, — ein Sonnenstrahl fiel durch die Luke und schien dem einsamen Mann behaglich wärmend auf die knöchernen Hände, welche regungslos verschlungen im Schosse ruhten. „Wenn man den Weg über den Berg kennt, ist man längstens in einer Stunden am Ziel. Des Meister Sebaldus Baccalaureus Mangold bringet mir an jedem Samstag einen Rucksack heraus, Brot, Fleisch, Käs, Papier und Tinte, der wieget oft ein Beträchtliches, und dennoch ist der Bursch nicht länger denn ein und eine halbe Stunde auf der Wanderung. Die Forsten, die sich von hier bis an die Stadtmauer erstrecken, sind Zwingenbergisch Besitztum, und die Weinberge, die sich bis hinab an den Rheinstrom ziehen, gehören auch in die Stadtmarken. Die Bürger von Zwingenberg sind reiche Leute, und sie sitzen so kecklich und trutzig hinter ihren Wällen, als sei in Nürnberg niemals eine Feldschlange gegossen, als habe nimmer eine „Mette“ zu Braunschweig gestanden! Seit man mit Kugeln nach den Mauern schiesst, ist der Übermut der festen Städte bald gebrochen. Aber sie gebaren sich nicht mehr als Krämer und Handelsmänner, sondern spielen sich als Edelleut auf und treiben ritterlich Gewerke. Da tobet es oft im Tann von ihren Jagden, sie sprengen daher zu Ross, und der grobe Peter Helzinger hat seine Lust am morden, denn eine kunstgerechte Jagd und eine edle Beiz’ kennen sie nicht; sie schlagen und stechen zusammen, was die Bracken wund gebissen!“

      „Und der Herr Konrad Pfalz tut ein solches auch?“ — fragte ein erregtes Stimmchen hinter dem Sprecher.

      Erstaunt wandte dieser das Haupt und schaute Jung-Irregang mit grossen Augen lauschend auf seinem Lager empor gerichtet. Da ging zum erstenmal ein Lächeln über sein finsteres Gesicht, wie ein Röslein, das über dunkle Wellen gleitet, und er erhob sich, streichelte des Kindes Lockenhaupt und sprach: „So der Pfalz mit zur Jagd reitet, ist’s zum Heil und Segen für manch gehetztes Wild. Siehst du den freundlichen Herrn, du kleiner Hansnarr, so lupfe dein Käpplein mit Ehrfurcht, denn er verdient’s. — Und nun speise deinen Kleinen, fremd Weib, und so du ihn waschen willst, geh’ zum Bach. Ich tue ein Gleiches, und dann will ich zum Tann. So die Menschen ihre Universitäten und Kirchtürme vor einem freien Geiste schliessen, muss man den Steinen und Blumen der Freiheit Worte künden: Seid getrost, die ihr in Finsternis gelegen, es hebet sich bald ein Licht empor, das einer bessern Menschheit Leuchte wird!“ — und Homus Eremitus hob die Hände wie ein Prophet, und der Sonnenschein fiel über sein Haupt und verklärte sein begeistert Angesicht.

      VI.

      Eine fiebrische Unruhe trieb die Zigeunerin hinaus in die Welt, ihrem schwebenden Unstern entgegen. Wohl hatte der Einsiedler im Borkenhaus mit wehmütigem Lächeln klein Irregangs heitere Liedlein gehört und seine Purzelbäume angeschaut, und er hatte das Bübchen gar auf die Knie gehoben und zu seiner Mutter gesagt: „So du der Ruhe pflegen willst und die wunden Füsse heilen, so bleib mit dem Bürschlein so lange Zeit bei mir zu Gaste, als dir immer behagen mag. Das Brot im Kasten nährt uns drei, und so der Samstag kommt und mit ihm der brave Mangold, so werde ich ihn zu deinem Führer machen, auf dass er dich sicher geleite. Willst du vor den Mauern auf deinen Mann warten, so ist’s wohlgetan, plaget dich aber der Hunger, dass du in die Stadt hinein musst, so soll der Meister Sebaldus seine Hände über dich halten; des will ich ihm in einem Briefe Weisung geben.“

      Zinkra aber schüttelte traurig das Haupt und sprach: „Die Wälder sind gross und dicht, und wenn der Goykos unsere Spur verliert, sind wir auf immerdar zersprengt. Unser Weg führte uns nach Zwingenberg und Gernsheim, und wenn er uns auf dieser Strasse sucht, so muss er uns bereit finden, denn wir haben Vorsprung.“ — Und die Heimatlose küsste des freundlichen Wirtes Mantel und dankte ihm und befahl ihn in Gottes Schutz, und da Homus Eremitus ihr noch einen Mundvorrat gegeben und den Weg so genau beschrieben hatte, als er selber ihn anzugeben wusste, schieden sie. — Er reichte der Geächteten mit festem Druck die Hand, und da er seine Rechte auf des Irregang lockig Haupt legte, sprach er leise: „Werde ein Mann, du Büblein, und so du hörest, dass man einen Holzstoss schüret für einen Propheten, der aus der Asche des Johann Huss erstanden, so nimm die Axt zur Hand und klopf’ an die Klause des Homus Eremitus! dann wird ein Wolf herfür treten und wird mit dir kämpfen im grossen Hauf aller derer, die die Freiheit gesäuget!“

      Irregang nickte mit ernsthaftem Gesichtchen, und der Einsiedler stand vor seiner Tür und schaute den fahrenden Leuten nach, wie sie im Sonnengold durch den herbstlichen Wald davon schritten. Zinkra wandte sich und grüsste zurück, und da sie des Mannes flammend Adlerauge auf ihrem Knaben ruhen sah, da ging es ihr wie eine