Selbsthass oder Dankbarkeit, Angst oder Vertrauen, das ist eine Wahl, die ich treffen kann. Zerfällt die Welt in Sinnloses oder Sinnvolles, in ein Schweigen des Nichts oder in ein Schweigen des Seins. Ich kann eine Entscheidung treffen, ob ich das Geschenk Gottes annehme oder erblinde im Schatten der Leere und der Nichtigkeit aller Dinge.
Im biblischen Text werden uns hierzu die Augen ein Stück weit geöffnet. Er ermutigt uns zu einer bedingungslosen Bejahung im Sinn von Dankbarkeit und Vertrauen, hinter der das sichtbar und ansprechbar wird, was in der Sprache der Religion Gott heißt. Um nicht in die Sinnlosigkeit des Daseins hineinzufallen, spricht die Bibel von Gott als unserer letzten endgültigen großen Bejahung. Die Möglichkeit, sich dem anzuvertrauen, besteht für uns alle, unabhängig, ob wir mit schweren psychischen Defiziten aufgrund unserer fehlgeleiteten frühkindlichen Entwicklung beladen sind oder nicht. Eine tiefenpsychologische Auseinandersetzung mit unserem eigenen Lebensschicksal, die auch das Geschenk unserer eigenen Existenz beinhaltet, kann sich als machtvoll über Blindheit und Stummheit erweisen.
Bernd Deininger
Schwer zu verstehen • Matthäus 13,1–23
Kann man Menschen, die in ihren Ängsten gefangen sind, erreichen? Wie viele Menschen gibt es, die die Augen vor ihrer eigenen Lebensgeschichte verschließen, weil sie Angst haben, dort mit Wahrheiten und Tatsachen konfrontiert zu werden, mit denen sie glauben, nicht umgehen zu können? Das wären zwei wichtige Fragen, auf die das Gleichnis vom Sämann, das Jesus erzählt, zu antworten versucht.
In dem Gleichnis vom Sämann soll dargestellt werden, wie Menschen in Verzweiflung und Resignation hineingeraten und dann dazu neigen, ihr Leben völlig infrage zu stellen und aufzugeben. Gerade jene, die an einer depressiven Erkrankung leiden, sind mit den oben genannten Symptomen konfrontiert. Für viele Menschen genügt es allerdings schon, wenn sie in eine Krisensituation hineingeraten, dass sich daraus eine depressive Episode entwickelt, die das Leben über lange Zeit begleitet und zu einer melancholischen und lebensverneinenden Haltung führt. Das Beeindruckende ist, dass in den Bildern des Gleichnisses vom Sämann diese depressiven Symptome zur Sprache kommen, die sich sonst nur schwer beschreiben lassen.
Wenn wir mit Menschen zu tun haben, die unter einer Depression oder einer depressiven Entwicklung leiden, versuchen wir häufig, sie zu trösten. Allerdings besteht der Trost oft darin, den anderen aufzufordern, sich zusammenzureißen und den Kopf nicht hängen zu lassen. Auch neigen wir dazu, an frühere Zeiten zu erinnern, in denen die Depression noch nicht spürbar war, an schöne Dinge, die der andere erlebt hat, an Fähigkeiten und positive Charaktereigenschaften, die bei dem betreffenden Menschen vorhanden, doch jetzt scheinbar verloren sind. Die Erfahrung zeigt aber, dass gerade diese Art des Trostes wenig ausrichtet, im Gegenteil: der betreffende Mensch fühlt sich unter Druck und eigentlich wird dadurch alles nur schlimmer: Der Verzweifelte fühlt sich zudem noch unverstanden.
Im Gleichnis wird der Sämann in seinem Zorn und seiner Angst dargestellt, denn er sieht sich außerstande, den Schwarm der Vögel, die ihm seine Körner wegfressen, zu verjagen. Er weiß, dass er hilflos ist und dass die Vögel täglich wiederkommen. Zudem gibt es viele Steine im Acker, und sooft er den Boden auch umpflügt: Sie werden immer vorhanden sein.
Es gibt viele Lebenssituationen, in denen wir mit Enttäuschungen und dem Gefühl von Resignation konfrontiert sind, weil wir Dinge nicht ändern können. Zum Beispiel im Bereich unserer Beziehungen: dass wir enttäuscht werden vom anderen und wir erstaunt feststellen, dass wir Anteile am anderen, die wir als negativ empfinden, so noch nicht gesehen haben. Oder im Bereich gesellschaftlicher und politischer Entscheidungen: dass wir damit nicht einverstanden sind und nicht klarkommen. Das kann dann durchaus dazu führen, dass die Welt sich einengt und der Blick auf das, was verloren ist, was kaputtgemacht wurde und erstickt ist, überhandnimmt. Dann ist es tatsächlich zum Verzweifeln. Auch in dem Gleichnis wirkt es so, als ob diese Sicht auf die Dinge, die so ausführlich geschildert wird, durchaus ihre Berechtigung hätte. Der Grund ist aber, dass es zunächst darum geht, ein Gefühl in Gang zu bringen, es also durchaus in Ordnung ist, wenn der Einzelne Gründe findet beziehungsweise ihm seine Lebenserfahrung zeigt, dass er für Traurigkeit und Resignation durchaus Verständnis erwarten darf.
Ein Beispiel: Ein 45-jähriger Mann kam in meine Praxis, weil er unter Panikanfällen und morgendlichen depressiven Verstimmungen litt. Er erzählte mir, dass er unerwünscht gewesen war als Kind und seine Mutter eigentlich eine Abtreibung vornehmen lassen wollte, weil sein biologischer Vater sie verlassen hatte, als die Mutter ihm sagte, dass sie schwanger geworden war. Die Oma, von der er das erfahren hatte, überredete ihre Tochter, das Kind zu behalten und sagte ihr, sie würde sich schon darum kümmern. Nach seiner Geburt ging die Mutter nach einigen Wochen wieder zur Arbeit, da sie für ihn und für sich selbst ihren Lebensunterhalt verdienen musste. In der ersten Zeit wuchs er also bei der Großmutter auf. Als er zwei Jahre alt war, fand die Mutter einen neuen Partner gefunden, den sie heiratete. Die Mutter nahm den Jungen dann zu sich. Schon von Anfang an entwertete ihn der Stiefvater, er hat es ihm nie recht machen können, es gab keine Liebe und Anerkennung. Schon sehr früh spürte er viel Neid und Hass vonseiten des Stiefvaters, da er ihn wohl mit seinem Leben und seiner Existenz daran erinnerte, dass bereits ein anderer Mann seine Frau geschwängert hatte, was er nur schwer verarbeiten konnte. Die Mutter unterwarf sich dem Stiefvater völlig und schien dankbar zu sein, dass er sie mit einem Kind noch als Partnerin genommen hatte. Gegenüber ihrem Mann nahm sie ihren Sohn nie in Schutz und behandelte ihn letztendlich wie einen Fremdkörper. Sie war hilflos, arbeitete viel, um es auch ihrem Mann recht zu machen, und bekam mit ihm zwei Kinder. Seine Halbschwestern wurden ihm in allen Bereichen vorgezogen.
Er erinnerte sich daran, dass er nie altersgemäß spielen durfte. Die Halbschwestern waren vier und sechs Jahre jünger als er, und es war für ihn eine Pflicht, sich um die jüngeren Geschwister zu kümmern und auf sie aufzupassen. Das Spielen mit Gleichaltrigen wurde ihm immer wieder verwehrt. Schon im Grundschulalter musste er Tätigkeiten verrichten, die eigentlich in den Aufgabenbereich eines Erwachsenen fallen. Er ging zum Einkaufen, hielt die Wohnung in Ordnung und verzichtete völlig auf eigene Wünsche und Bedürfnisse.
Nach einer Auseinandersetzung zwischen der Oma und dem Stiefvater, bei der die Großmutter darauf hinwies, dass er vernachlässigt würde, verbot der Stiefvater den Kontakt mit der Oma, sodass für meinen Patienten eine wichtige Stütze und der einzige Mensch, der ihm etwas Liebe gegeben hatte, wegfiel.
Er erinnert sich noch an die ersten Jahre in der Grundschule, wo er häufig träumte, dass er es einmal zu etwas bringen, den Stiefvater in allen Bereichen überbieten und großes Ansehen erlangen würde. Mit diesen Träumen im Kopf und der Hilfe eines Pfarrers schaffte er es, gute Noten zu bekommen, sodass er auf Druck des Pfarrers das Gymnasium besuchte. Er war immer ehrgeizig und fleißig, hatte das Gymnasium mit guten Leistungen durchlaufen und danach ein Maschinenbaustudium aufgenommen. Er wurde tatsächlich ein erfolgreicher Ingenieur. An seinem Arbeitsplatz war er immer einer der eifrigsten und fleißigsten Mitarbeiter, ließ sich alle schwierigen Arbeiten aufladen, passte sich immer an und vermied Konflikte. Im Privatleben fand er eine Frau, die er verwöhnte und der er ein luxuriöses Leben ermöglichte, der er sich aber völlig unterordnete. Zudem hatte er viele Freunde, mit denen er luxuriöse Urlaube verbrachte und illustre Partys feierte.
Dann geriet das Unternehmen in eine wirtschaftliche Krise, er verlor seinen Arbeitsplatz, die Branche, in der er tätig war, war nicht mehr gefragt, er lebte finanziell am Limit. Nach einigen Monaten verließ ihn seine Frau, da er ihr materiell nichts mehr bieten konnte, und zog zu einem erfolgreichen Arzt. Die Freunde, mit denen er vorher viel