„Was denn eigentlich?“ fragte Gurlitt.
„Ja so. Du weisst es ja noch gar nicht. Also denke dir: vielleicht hast du schon mal etwas von dem Dampfer ‚Yoshiwara‘ gehört.“
„Allerdings. Vor einer Stunde noch. Der Mixer hat mir Wunderdinge von diesem Schiff erzählt. Ich weiss über alle Einzelheiten Bescheid. Eine frühere Yacht des Fürsten von Monaco. Vierundzwanzigkausend tons. Weiss angestrichen. Mit dem Beinamen ‚Die Yacht der Sieben Sünden‘.“
„Wenn alles klappt, werde ich auf der ‚Yoshiwara‘ Musikdirektor.“
„Musikdirektor — auf einem Schiff?“
„Die ‚Yoshiwara‘ ist eben eine Klasse für sich. Zwei Kapellen: eine Jazzband und ein Symphonieorchester.“
„Und welches sollst du leiten?“
„Beide. Das ist es eben.“
Der Kellner kam mit dem Sekt. Costa zog zwei Strohhalme aus dem Behälter und rührte zärtlich erst Roses Glas, dann Kilians Sekt, dann den seinen um. „Wenn das perfekt wird, Kilian —,“ er hob mit glücklichem Lächeln das Glas, „dann lade ich dich und die Rose zu unserer ersten Fahrt ein. Auf meine Kosten. Du musst wissen, die ‚Yoshiwara‘ ist kein Schiff; sie ist kein Dampfer, der die Leute von hier nach dort bringt; sie ist ein Märchentraum. Ein Paradies auf dem Ozean.“
„Und wohin fährt sie?“
„Jede Fahrt ist eine Unternehmung für sich. Die nächste Reise geht nach dem Mittelmeer. Denke dir: eine schwimmende kleine Stadt, Licht, Musik, Frauen, Sonne und Meer. Dein Wohl, mein Junge!“
„Ich wünsche dir ...“
„Um Gottes willen! Wünsch mir Hals- und Beinbruch!“
Die drei tranken. Mittendrin rief Costa, indem er hinüberwies: „Dort geht Lucius!“ und fort war er.
Die beiden blickten ihm lächelnd nach; er redete eifrig auf einen kleinen stattlichen Herrn ein, der es ein wenig eilig zu haben schien.
„Was will er von ihm?“ fragte Gurlitt.
Sie zuckte die Achseln. „Geld“, sagte sie, mit einer Stimme, die ihn aufblicken liess.
Plötzlich sah er, dass das Lächeln aus ihrem Gesicht geschwunden war.
„Ein Schuldner?“ fragte er verwundert.
Rose schüttelte den Kopf.
„Braucht er denn Geld?“
Sie sah ihm ins Gesicht. „Er braucht immer Geld. Wir haben nicht einen Pfennig.“
Er schüttelte den Kopf. Dort drüben stand Alfons, lachend wie immer; seine unverwüstliche Laune schien auch den andern in ihren Bann geschlagen zu haben; jedenfalls war der abweisende Ausdruck aus seinem Gesicht verschwunden.
„Seit drei Monaten sind wir die Miete schuldig. Ich kann nicht mehr das Notwendigste kaufen. Keiner borgt uns mehr.“
Der Zigarettenboy ging vorüber. Er winkte ihn heran und warf dem Jungen ein Geldstück aufs Tablett. „Wollen Sie rauchen?“
„Nein, danke.“
„Nehmen Sie es mir nicht übel, Rose: warum müsst ihr ins Adlon gehen, wenn es so steht?“
In ihrer Stimme stieg ein Schluchzen auf. „Es ist das einzige, was ihm den Lebensmut erhält; wenn er das nicht mehr hat, diese Atmosphäre hier, die Musik, den Tanz, die gutangezogenen Menschen, dann, fürchte ich, ist es ganz vorbei.“
„Und wovon lebt ihr?“
„Er komponiert Chansons. Hier und da ein paar Mark; es reicht immer gerade von einem Tag auf den andern. Wenn er doch nur einmal einen richtigen Auftrag bekäme! Ich meine: etwas was eine grössere Summe Geldes einbringt. Er ist doch so begabt, nicht wahr Herr Gurlitt? Er ist doch der Begabteste von allen!“
„Ja“, sagte Gurlitt. Er wusste nicht, wie es kam; in diesem Augenblick musste er an den Fremden denken; an jenen Herrn Harrendorf.
„... damit er die Möglichkeit hätte, seine Oper zu Ende zu komponieren. Wenn es ein Erfolg wird — und es wird sicher ein Riesenerfolg — dann wäre er aus allem heraus.“
„Und Euer Mäzen?“
Ihr Gesicht verdüsterte sich; schweigend machte sie eine resignierte Handbewegung.
„Und die Anstellung? Auf der ‚Yoshiwara‘?“
„Er kommt“, sagte sie. „Die Anstellung auf der ‚Yoshiwara‘ ... Luftschlösser, Herr Doktor. Alfons ist ein Kind: wenn er etwas gern haben möchte, so redet er sich ein, er brauche nur danach zu greifen.“
Costa trat an den Tisch, strahlender als je. „Denkt euch, er hat mir dreissig Mark gegeben. Ich hatte nämlich eine kleine geschäftliche Besprechung mit ihm, musst du wissen. Komm, wir bestellen noch ...“
„Nein“, sagte Gurlitt, die Brieftasche ziehend. Und indem er einen Blick mit Rose wechselte, setzte er hinzu: „Ich muss sowieso gehen. Ich habe noch zu arbeiten.“
Er zahlte und ging mit schnellen Schritten durch den Saal. In der Tür wandte er sich noch einmal um. Die beiden sassen lebhaft plaudernd an ihrem Tischchen. Roses Miene hatte sich wieder aufgehellt, sie hörte seinem begeisterten Optimismus mit einem lächelnden Entzücken zu, das fast etwas Mütterliches hatte.
Die Tür schloss sich hinter ihm; fröstelnd kam durch den Korridor der kühle Atem der Nacht.
Seltsam, wie klar jetzt alles war! Trotz allem: kein Bedauern, das in ihm aufstieg, kein Gedanke an alles was er zurückliess; nur die letzte alles andere verdrängende Erkenntnis: nun muss es geschehen!
Wer doch diesem armen Teufel Costa helfen könnte! Wieder fiel ihm jener Herr Holger Harrendorf ein. Wie hatte er doch gesagt? „Wenn Sie jemanden glücklich machen möchten — Sie brauchen den Betrag nur zu bestimmen.“ Was hinderte ihn eigentlich, Ja zu sagen? Der Wunsch, einen ehrlichen Namen zu hinterlassen? Niemandem war damit gedient, er besass keine Angehörigen; seine Frau führte ihren Bühnennamen. Vielleicht würde es sogar für sie eine fabelhafte Reklame bedeuten, aber das alles war Unsinn, war belanglos, war nebensächlich. Diesem armen, hungrigen, ewig begeisterten, ewig bedrängten Costa musste geholfen werden.
Welch eine lächerliche Sentimentalität, dass er abgelehnt hatte! Wenn jetzt Herr Harrendorf vor ihm stände, er würde gewiss nicht Nein sagen.
Aber so war es: immer kamen die richtigen Gedanken zur falschen Zeit. Nun mochte er längst wieder abgereist sein — Gurlitt hatte das Gefühl, dass dieser Mann aus einem fremden Lande gekommen war — innerlich vielleicht immer noch ein bisschen verwundert über den sentimentalen Deutschen, der im Tode noch auf Reputation hielt.
Während er durch die Halle ging, drängte sich ihm plötzlich ein merkwürdiges Gefühl auf. Er wusste auf einmal: in der nächsten Sekunde wirst du diesem Harrendorf begegnen.
Über dem Raume lag die unbehagliche Stimmung, die den Hotelhallen der ganzen Welt um diese Nachtzeit das Gepräge gibt: ein Gemisch aus Nervosität, Hast und Übermüdung. Gruppen standen herum, Damen und Herren in Gesellschaftskleidung, dazwischen hastige Boys. An der Rezeption standen ein paar Engländerinnen, mit dem Clerk eifrig über eine Fahrplanangelegenheit diskutierend. Er ging vorbei, dem Ausgang zu ...
Aus dem Ledersessel zur Rechten erhob sich ein Herr.
Gurlitt wandte den Kopf. Es war Holger Harrendorf.
„Sie