Der Nachtportier sah missmutig an ihm vorüber; als Gurlitt stehen blieb, musterte er ihn mit einem verachtungsvollen Blick.
„Herr Harrendorf? Ja, der wohnt hier. Was soll’s?“
„Ich möchte ihn sprechen.“
Der andere riss die Augen auf. „Jetzt?“
„Jetzt.“
„Sagen Sie mal, ist das Ihr Ernst? Sie verlangen, dass ich Herrn Harrendorf —“ er zog die Uhr, „dass ich Herrn Harrendorf um halb fünf in der Frühe aus dem Schlaf stören soll?“
„Sagen Sie Herrn Harrendorf nur: hier wäre Doktor Gurlitt.“
Der Portier blickte, durch Gurlitts Ton unsicher gemacht, auf das Telephon. „Auf Ihre Verantwortung?“
„Selbstverständlich.“
Achselzuckend drückte jener auf den Knopf und nahm den Hörer ab. Ein Summen kam aus dem Apparat, das aufreizend, wie ein seltsamer Fremdkörper, in der völligen Stille stand.
„Er meldet sich nicht.“
„Dann werde ich hinaufgehen und bei ihm klopfen.“
„Das ist ausgeschlossen. Wir können unter keinen Umständen erlauben, dass ein Fremder unsere Gäste mitten in der Nacht stört. Was Sie Herrn Harrendorf zu sagen haben, dürfte schliesslich Zeit haben bis morgen früh.“
„Es hat keine Zeit.“
„Warten Sie. Er meldet sich.“
Der verzerrte Widerhall einer Stimme kam aus der Membran.
„Hier ist ein Herr ... er sagt, er muss Herrn Harrendorf sofort sprechen.“
Eine Pause entstand; dann kamen ein paar Worte, offenbar eine Frage.
Der Portier wandte sich um. „Welchen Namen sagten Sie?“
„Doktor Kilian Gurlitt.“
Der Portier wiederholte den Namen ins Telephon; wieder kam eine Antwort.
„Herr Harrendorf sagt, dass er Ihren Namen nicht kennt.“
Kilian musste fast lächeln. Herr Harrendorf trieb die Vorsicht ein bisschen weit!
„Ob es sehr dringlich wäre?“
„Ich muss ihn sofort sprechen.“
Endlich kam die Antwort. Der Portier wandte sich um:
„Herr Harrendorf erwartet Sie. Im ersten Stock: Zimmer achtundvierzig.“
Gurlitt ging die Treppe hinauf, Furcht, Zweifel und Hoffnung im Herzen. Noch konnte alles gut werden. Vielleicht hatte Harrendorf den Brief noch in Händen; im allerschlimmsten Falle: man konnte Briefe zurückhalten; noch waren es drei Stunden bis zur ersten Post. Jener musste begreifen, dass man anderen Sinnes wurde, wenn sich herausstellte, dass alles auf einem Irrtum beruht hatte. Freilich: das Geld ... Nun wohl, er würde Harrendorf freistellen, sofort mit ihm zu Costa zu fahren. Was er wohl sagen würde, der arme Alfons! Ein paar Stunden lang ein reicher Mann — nun war es wieder aus mit der Herrlichkeit!
Dort war die Nummer achtundvierzig. Der Etagenkellner kam herbei, verschlafen, gähnend. Er schien informiert zu sein; er öffnete die Tür und liess Gurlitt in das Vorzimmer, das offenbar zu Harrendorfs Appartements gehörte, eintreten.
Von nebenan, durch den Spalt der Tür, schimmerte Lichtschein. Ein Geräusch, als wenn jemand hastig Toilette macht. Der Raum war erfüllt von abgestandenem Zigarettendampf.
Dann ging die Tür auf.
Vor Kilian Gurlitt stand ein Fremder.
„Was wünschen Sie?“ fragte er, ziemlich unfreundlich.
Unsicher antwortete Gurlitt:
„Ich möchte Herrn Harrendorf sprechen.“
„Der bin ich. Was gibt es?“
„Verzeihung —“ Gurlitts Blick wanderte über die Züge des Fremden, über seine Augen, die ihn misstrauisch betrachteten — „Verzeihung, ich meine: Herrn Holger Harrendorf.“
„Mein Name ist Holger Harrendorf.“
„Aber das ist doch nicht ... das ist doch nicht möglich; ich habe ... heute abend ... in diesem Hotel — vor wenigen Stunden habe ich die Bekanntschaft eines Herrn Holger Harrendorf gemacht, mit dem ich einen seltsamen ... einen Vertrag geschlossen habe, den ich rückgängig machen muss.“
„Zum Teufel,“ sagte der andere ärgerlich, „ich bin Holger Harrendorf. Ich sagte es Ihnen doch — Was ist das für ein Mann, der sich meinen Namen beigelegt hat?“
„Ein ... ein ... Ich weiss es nicht ... er hat mir einen grossen Betrag ausbezahlt.“
„Hören Sie mal“, der andere richtete sich auf und warf einen Blick auf das Telephon. „Dahinter scheint mir etwas zu stecken, was vermutlich die Behörden interessieren wird. Wer sind Sie? Was für einen Vertrag haben Sie mit diesem Manne geschlossen?“
„Ich sehe ...“ Gurlitt merkte, dass er vor Erregung stotterte, „... es muss ein Irrtum ... ich bitte um Entschuldigung ...“
„Dieser Herr Holger Harrendorf ist ein Betrüger. Ich denke, es wird am besten sein, man wird gleich einmal ...“ damit griff er nach dem Telephon.
„Nein, nein,“ sagte Gurlitt, „ich werde versuchen, jenen andern Holger Harrendorf zu finden. Bitte entschuldigen Sie die Störung.“
Damit schloss er hastig die Tür hinter sich und ging mit schnellen Schritten den Gang hinunter.
Fahles Grau kroch schon über die teppichbelegten Treppen. Gurlitt ging mechanisch, Stufe um Stufe, hinunter; es hämmerte in seinem Blut, in seinem Hirn hämmerte es; alles raste durcheinander, Gedanken, Ängste, die Übermüdung dieser furchtbaren Nacht.
Unten stand der Portier. Er sah ihm argwöhnisch entgegen. Sagte ihm der Instinkt seines Metiers, dass der Mann, der hier an ihm vorüberging, ein schweres und beklemmendes Geheimnis mit sich trug? Hatte Harrendorf vielleicht telephonisch eine Weisung gegeben? Er dankte nicht, als Gurlitt grüssend an ihm vorüberschritt.
Draussen lag fröstelnd die Kühle des frühen Morgens. Gurlitt schlug den Rockkragen in die Höhe; er ging dem Brandenburger Tor zu, unschlüssig, fast ohne zu wissen, was er tat. Nur mit dem einen Gedanken, der ihn erfüllte, der von ihm Besitz nahm, der seinen Körper und seine Sinne durchdrang: in einem Netz gefangen zu sein, aus dem es kein Entrinnen gab — einem Netz, das sich bei jedem Atemzuge, den er tat, fester um ihn schloss.
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