Die Yacht der sieben Sünden - Thriller. Paul Rosenhayn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Paul Rosenhayn
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726629354
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auf. „Sie meinen, ich soll etwas ... in das Jenseits ... mit hinübernehmen?“

      Der andere nickte. „Ja. Ein Geheimnis.“

      Die Augen der beiden trafen sich. Harrendorfs Blick irrte zur Seite.

      „Wollen Sie das tun?“

      Wieder sah Gurlitt auf; wieder wich der andere seinem Blicke aus. „Ein okkultes Experiment?“

      Harrendorf lächelte und schüttelte den Kopf. „Etwas ganz Reales. Ich muss deutlicher werden. Ein Geheimnis, das Sie mit ins Grab nehmen sollen.“

      Gurlitt ballte die Hand auf der Tischplatte; irgendwo, aus dem Unterbewusstsein vielleicht, stiegen seltsame und argwöhnische Gedanken auf. „Ein Verbrechen?“ fragte er leise, mehr vor sich hin.

      „Können Sie sich vorstellen,“ Harrendorf senkte den Kopf, „können Sie sich vorstellen, dass ein ehrlicher und rechtschaffener Mann in eine Zwangslage gerät, aus der es keinen andern Ausweg gibt als ein Verbrechen?“

      „Vielleicht.“

      „Können Sie sich denken, dass, wenn dieses Verbrechen nicht geschieht, unabsehbares Unglück droht?“

      „Was für ein Verbrechen, Herr Harrendorf?“

      „Leuchtet es Ihnen ein, dass eine solche Tat moralisch eine Notwendigkeit ist — juristisch indessen ein Verbrechen bleibt?“

      Gurlitt hob den Kopf und sah seinem Gegenüber ins Gesicht. „Ein Mord ...?“

      „Ja“, sagte der andere leise.

      „Ich soll einen Mord begehen?“

      Wieder schüttelte jener den Kopf. „Die Tat ist geschehen. Sie sollen sie auf sich nehmen.“

      Gurlitt fühlte, dass ihn jemand ansah; er wandte den Kopf; drüben ging Alfons Costa, der junge Komponist. Mit seiner Freundin. Die beiden grüssten lachend herüber; dann ging die Tür zum Tanzsaal auf, ein Tango schmeichelte herüber; pendelnd fielen die Türen wieder zusammen.

      „Wer hat den Mord begangen?“ fragte Gurlitt.

      Der andere sah ihn an, mit einem halben Lächeln, das langsam in einen leeren und starren Ausdruck überging.

      „Ich.“

      „Sie?“ Gurlitt richtete sich auf, abweisend, in einem jähen Erschrecken. „Sie, Herr Harrendorf?“ Indem er einen hastigen Blick auf sein Gegenüber warf, setzte er hinzu: „Wer sind Sie?“

      Der andere machte eine hilflose Handbewegung. „Was würde es nützen, wenn ich Ihnen jetzt antworten würde: ich bin der Kaufmann Harrendorf aus Hamburg? Oder der Plantagenbesitzer Harrendorf aus Brasilien? Würde das irgend etwas erklären? Ich kann Ihnen nur wiederholen: man hat mich gehetzt, man hat mich in eine Falle gelockt; die äussere Konstellation der Dinge spricht gegen mich, so geschickt hat man es eingefädelt, ich habe jahrelang gegeben und beschwichtigt und gebeten, ich habe mehr getan als ein Mensch wohl sonst tun kann — aber immer noch hatte ich nicht genug getan; er verlangte alles, mit einem Wort, mit einem Schlage: alles. Da schoss ich ihn nieder.“

      Gurlitt schüttelte den Kopf. „Was habe ich mit Ihrer Tat zu schaffen, Herr Harrendorf? Jeder muss für sich einstehen; jeder hat mit seinem Leben genug zu tun, mit seinen Schmerzen, mit seinen Hoffnungen. Nein, ich kann Ihnen nicht helfen.“

      Eine lange Pause entstand. Herr Harrendorf liess seine Augen durch den Saal schweifen, nachdenkliche, kluge, ein wenig müde Augen.

      „Vielleicht wissen Sie,“ sagte er nach einer Weile, fast flüsternd, „vielleicht wissen Sie jemanden, den Sie glücklich machen möchten. Dem mit einer Geldsumme geholfen wäre?“

      „Nein.“

      „... haben Sie keinen Freund, dem es schlecht geht, keine Geliebte? Keine alte Mutter? Sie können den Betrag bestimmen.“ Harrendorf fasste in die Brusttasche. „Wissen Sie keinen, für den Hunderttausend Mark ein neues Leben bedeuten würden?“

      „Nein“, sagte Gurlitt. „Ich will einen ehrlichen Namen hinterlassen.“

      Der andere machte eine resignierte Handbewegung. „Dann muss ich um Verzeihung bitten.“

      Er erhob sich, zögernd — vielleicht in einer letzten Hoffnung.

      „Nein“, sagte Gurlitt.

      Der andere ging durch den breiten. Mittelgang, wie ein etwas gelangweilter Besucher einer mondänen, im Grunde belanglosen Stätte. Einen Augenblick kam Gurlitt der Gedanke: der dort geht ist ein Mörder — du hast die Pflicht, die Behörden ... Dann, mit einer lächelnden Resignation, begriff er, wie sinnlos alle diese Dinge der Menschen waren, wenn man drauf und dran war, sie von sich zu werfen. Er zog nervös die Uhr — ohne zu erfassen, welche Zeit sie zeigte. Welch ein seltsames Erlebnis das gewesen war! Welch überraschende Episode unmittelbar vor dem Schluss aller Dinge! Ein Mörder ... Welch ein Anerbieten! Was würde Léonie wohl gesagt haben, seine Frau, wenn es bekannt wurde: Kilian Gurlitt ist gar nicht in den Tod gegangen aus Verzweiflung, aus verschmähter Liebe — Kilian Gurlitt ist gestorben, weil er eine schwere Schuld auf sich geladen hatte! Während er diese Dinge zu Ende dachte, erkannte er plötzlich den seltsamen Reiz, der um diese Vorstellungen kreiste. Vielleicht dass Léonie ihre Stirn gefurcht hätte, ihre schöne, weisse, reine Stirn; vielleicht dass diese Tat, die gar nicht die seine war, ihm in ihren Augen ein letztes Relief gegeben hätte! Er musste fast lächeln über sich.

      Dort drinnen war Costa. Alfons, der liebste von allen seinen Freunden.

      Er rief den Kellner heran und zahlte. Dann ging er hinüber in den Saal, Costa noch einmal zu sehen.

      Eben war ein Tanz zu Ende; Alfons kam mit Rose, seiner schönen Freundin, quer durch den Saal. Er lachte, während er mit ihr sprach. Alfons Costa lachte immer.

      Rose war die erste, die Gurlitt bemerkte.

      Die beiden kamen auf ihn zu; Costa hatte tausend Neuigkeiten.

      „Das ist grossartig, dass du kommst! Wir haben da hinten — siehst du, dort — einen kleinen Ecktisch, nein, nicht dort“; wieder lachte er, „da drüben, wo der Kellner eben besorgt Umschau hält. Er glaubt, wir sind verschwunden. Komm mit, wir haben noch etwas Graves in der Flasche.“ Schon hängte er sich in den Arm des Freundes; Rose eilte voran.

      Wie graziös sie war! Leuchtend hob sich ihr schmaler Hals von dem dunklen Pagenkopf ab. Ein Bohémien aus dem Romanischen Café hatte einmal von ihr gesagt: sie sähe aus wie ein Offenbachsches Allegretto.

      Ein Foxtrott klang auf; die Tische lichteten sich. Die drei nahmen Platz.

      „Es ist grossartig, dass du kommst“; Costa winkte dem Kellner mit den Augen: „Ein Glas — ich habe dir so viel zu erzählen. Ich rief bei dir an, gegen Abend; du warst nicht zu Hause. Wie geht es dir, mein Junge? Hast du Zigaretten bei dir? Komm, gib her, ich bestelle nachher neue. Was macht deine Arbeit? Neulich traf ich übrigens deinen Verleger; er war nicht gut auf dich zu sprechen, du beantwortest seine Briefe nicht, behauptet er. Warum schreibst du ihm nicht? Wie kann man einem Verleger nicht antworten, denk an den nächsten Vorschuss! Was macht übrigens die Geschichte mit deiner Frau? Hast du Nachricht aus Oberhof? Oder schweigt sie noch immer hartnäckig? Wir haben oft von dir gesprochen, die Rose und ich, nicht wahr, Rose? Weisst du, was die Rose gestern sagte? Sie sagte, du würdest dir etwas antun —“, er lacht auf. „Sowas gibt’s doch gar nicht. Gell, Kilian? Wegen einer Frau, Kilian! Denk bloss an, was so ein Mädel daherredet. Hier, endlich, da ist es. Stellen Sie nur hierher, Herr Ober. Danke schön, ich schenke selbst ein. Warte. Prosit, Kilian, du bist mir doch der Liebste von allen! Das war der Rest der Flasche“, fuhr er fort, sich unruhig umsehend. „Man könnte vielleicht ...“

      Gurlitt schluckte den Graves herunter und verzog den Mund. „Lass nur. Ober, bringen Sie Sekt. Halbtrocken.“

      „Du hast mich noch gar nicht gefragt, warum ich bei dir angerufen habe.“

      „Ich dachte, du würdest es mir von selbst sagen.“

      Rose lachte.