„So, so“, sagte Gurlitt.
„Und die schönsten Frauen der Welt. Das ganze Schiff ist ein Blumengarten. Ja, wahrhaftig: es ist ein schwimmender Palast.“
„So, so“, sagte Gurlitt.
„Wissen Sie, wie man das Schiff nennt?“
„Nein.“
„Die Yacht der Sieben Sünden. Es macht nur ‚wilde‘ Fahrten; es ist ein Schiff für Millionäre — und für Hochstapler. Die nächste Fahrt geht, glaube ich, nach Amerika. Nehmen Sie noch einen Cocktail?“
Gurlitt schüttelte den Kopf und legte einen Schein auf den Tisch. „Es ist gut.“
Der Mixer betrachtete die Note erstaunt; auf Gurlitts abwehrende Handbewegung machte er eine tiefe betroffene Verbeugung.
Aus dem kleinen Saal kam Tanzmusik; der scharfe Rhythmus der Jazzband schnitt sich verheissungsvoll in das Stimmengewirr. Ein paar Bekannte grüssten; er ging langsam an den Tischen vorüber; dort war die schlanke Braune; sie grüsste lächend herüber. Vor einer Woche noch hätte ihm ihr Gruss ein leises, vielleicht uneingestandenes, Herzklopfen verursacht. Vor einer Woche noch wäre er um das Rund der Tanzfläche herumgeschlendert, um eine Anknüpfung zu suchen; leicht genug wäre es gewesen. Heute, in dieser seltsamen Stimmung, in dieser letzten Stunde, zwischen hier und dort, war alles gleich.
Léonie fiel ihm ein; er schrak fast zusammen. Merkwürdig: ein Mann konnte sich wegen einer Frau erschiessen — und dabei das Lächeln einer andern suchen.
Die Braune blickte aufmerksam zu ihm hinüber; er sah an ihr vorbei, fast ohne es zu wollen; dann ging er in den Speisesaal.
Der Kellner begrüsste ihn; er war häufiger Gast in diesen Räumen. „Ein Ecktisch“, flüsterte der Kellner; „ich habe ihn für Sie freigehalten.“
Gurlitt nickte. Er warf einen Rundblick durch den Raum. Der Saal war noch halb leer; ein paar Amerikaner, ruhig, sicher, souverän, sassen an den Tischen gegenüber dem Orchester. Ihre Frauen, schlank, dekolletiert, mit dem unbefangenen Lächeln der Amerikanerinnen, musterten ihn; er bemerkte, dass sie von ihm sprachen. Eine von ihnen, es war die Schönste, lächelte mit einem halben Lächeln zu ihm hinüber. Dort, schräg rechts, war der Tisch des peruanischen Gesandten; die junge exotische Schönheit mit den grossen Ohrringen, die an der Seite des Attachés sass, war eine berühmte südamerikanische Primadonna. An dem kleinen Tisch, nahe dem Eingang zum Ballsaal, sass ein unscheinbar aussehender Herr; er sprach mit dem Geschäftsführer, der sich bei jedem zweiten Wort verneigte. Es war ein ehemals regierender König.
Eben ging die Tür auf; ein grosser, dunkler Exote trat ein; zu seiner Rechten eine schlanke, blonde Frau: der Präsident von Venezuela.
Der Kellner brachte den Sekt. Er löste behutsam den Draht und warf ihn mit dem Stanniol in den Kübel; dann drehte er mit einer zärtlichen Bewegung den Korken aus dem Hals und schenkte vorsichtig ein. „Der Herr wünscht nicht zu essen?“
Gurlitt blickte flüchtig auf die Karte. „Bringen Sie mir Natives. Und Welsh Rarebits.“
Der Kellner schenkte ein und verschwand mit einer flüchtigen Verbeugung.
Gurlitt trank das Glas in einem Zuge leer. Welch belebende Macht dieser seltsame Wein hatte! Er spürte noch das Brennen des eiskalten Tranks im Halse; zugleich fühlte er, wie aus der Kälte des rinnenden Weins eine unbegreifliche Wärme aufstieg, die, eine machtvolle Welle, sein Blut erfüllte. Wie frei und leicht plötzlich alles wurde! Alle Dinge waren unbeschwert, die Musik, die durch die pendelnden Glastüren kam, wurde zärtlicher; das Lächeln in den Zügen der Frauen schien ihm mit einem Schlage wärmer, persönlicher.
Er nahm die Flasche und schenkte von neuem ein. Und trank.
Ja, ein paar Glas Sekt: das hatte ihm gefehlt. Die Dinge ergaben sich von selbst, die Hemmungen waren fortgespült, lichter kreisten die Gedanken, alles schien vereinfacht, in die Nähe gerückt. Alles war leicht ...
Nicht leicht genug zwar um ihn vergessen zu lassen, dass dies alles ein Rausch war. Aber leicht genug: für den Entschluss zu der einen letzten einfachen Tat.
Wieder trank er. Und während er das Glas niedersetzte, geschah es plötzlich:
Jemand sagte:
„Herr Gurlitt, nicht wahr?“
Er blickte auf. Vor ihm stand jener Fremde.
„Herr Gurlitt, nicht wahr?“
„Was wünschen Sie von mir?“
„Ich möchte etwas mit Ihnen besprechen.“
„Ich wüsste nicht ...“
„Haben Sie zehn Minuten Zeit für mich?“
Wieder fragte Gurlitt mit einem kühlen Blick in das Gesicht des andern:
„Wer sind Sie?“
Der Fremde, der im Frack war, sagte, während er den Stuhl heranzog:
„Mein Name wird Ihnen zwar nichts sagen. Aber ich begreife schon, dass Sie wissen möchten, wer ich bin. Ich heisse Holger Harrendorf.“
„Sie verfolgen mich seit einer Stunde.“
Der Fremde nickte. „Ja, Herr Gurlitt. Ich ... es ist nicht das richtige Wort. Ich suche Sie. Rund heraus gesagt.“
Der Kellner erschien mit den Austern. Er warf einen fragenden, ein wenig unfreundlichen Blick auf den Hinzugekommenen.
Der wies lässig auf die Sektflasche im Kübel: „Bringen Sie mir dasselbe.“
„Auch Austern?“
„Auch Austern.“
„Auch Welsh Rarebits?“
„Auch Welsh Rarebits.“
Während der Kellner eilfertig verschwand, sagte der Fremde, indem er ihm mit einem halben Blick nachsah:
„Was ich Ihnen zu sagen habe, Herr Gurlitt, ist seltsam genug. Ich würde vielleicht nicht daran denken, mit Ihnen über diese Dinge zu sprechen — aber ich glaube: diese Nacht ist für Sie ohnehin so ungewöhnlich, dass es ..., dass es ...“
„... dass es auf ein bisschen mehr nicht mehr ankommt?“ fragte Gurlitt, fast lächelnd.
„Ja, Herr Gurlitt.“
„Woher wissen Sie, dass diese Nacht für mich ungewöhnlich ist?“
Der andere sah ihm ins Gesicht. Langsam hob er die Hand; und indem er seinem Gegenüber in die Augen blickte, sagte er leise:
„Ich weiss alles.“
Gurlitt runzelte die Stirn. „Und woher?“ fragte er kurz und scharf.
In das Gesicht des andern trat ein begütigendes Lächeln. „Es steht Ihnen frei, mir diese Unterredung abzuschlagen. Das brauche ich kaum zu betonen. Es steht Ihnen frei, sie mir zu gewähren. Das alles ist in Ihrem Belieben. Sie können jede Frage stellen, Herr Gurlitt — Sie sollen auf jede Frage Antwort haben. Sie werden Fragen stellen. Nur um das eine muss ich Sie bitten: fragen Sie mich nicht, woher ich das weiss — was ich weiss. Diese eine einzige Frage, Herr Gurlitt, kann ich Ihnen nicht beantworten.“
Der andere zuckte die Achseln. „Das ist ein schlechter Scherz.“
Harrendorf