»Das Ministerium hat daher einstimmig beschlossen, der europäischen Bundesregierung ihre Bereitwilligkeit zu erklären, den Apparat Montgomerys durch andere von den Regierungen in Vorschlag zu bringende Physiker untersuchen zu lassen. Es kämen da die Sachverständigen der Riggers-Werke in Betracht. Ich hoffe, daß der Staatsrat zu diesem Vorschlag des Ministeriums sein Einverständnis geben wird.«
Eine überaus lebhafte Debatte begann. Stundenlang stritt man in heftigem Für und Wider.
Eine ungeheure Blamage. Ein vernichtendes Armutszeugnis. Immer wieder kam der Ruf aus dem Mund der Redner. Je weiter die Zeit vorrückte, desto unsicherer wurde der Erfolg einer Abstimmung.
Noch einmal erhob sich der Ministerpräsident, um die Argumente der Gegner zu widerlegen. Kaum hatte er seine Rede begonnen, als ihm durch einen Sekretär eine Depesche überbracht wurde. Er hielt kurz inne und überflog die wenigen Worte.
Was war das? Was war von solcher Wichtigkeit, daß man ihn damit in seiner Rede störte?
Die ganze Versammlung starrte auf den Präsidenten, der… ja, was war mit dem? Irgendeine persönliche Angelegenheit? Das Gesicht des Ministers war so weiß wie das Blatt in seiner zitternden Hand. Seine Lippen bewegten sich tonlos. Mechanisch tupfte er mit dem Taschentuch über die Stirn, als wäre es ihm zu heiß. Immer wieder irrten seine Augen verstört über die Depesche.
Eine peinliche Pause. Was hatte er, was stand in der Depesche?
Endlich! Der Präsident gab sich einen Ruck.
»Meine Herren!« Seine Stimme stotterte, als hätte er sie noch nicht in der Gewalt. »Meine Herren… eine Mystifikation… die Nachricht hier… aus Montgomery-Hall… der Apparat… er ist… er soll verschwunden… gestohlen sein! Ich kann es nicht…«
Als hätte der Blitz in die Versammlung geschlagen, war die Wirkung dieser Worte. Sie saßen alle starr, schauten mit schreckensbleichen Gesichtern auf den Minister. Dann… ein Aufruhr, allgemeiner Tumult.
Sie sprangen von ihren Sitzen, stürzten auf den Präsidenten zu, umringten ihn, bestürmten ihn mit Fragen…
Einer riß ihm die Depesche aus der Hand. Zehn Hände streckten sich danach, um sie ihm zu entreißen. Doch der entfaltete das Papier und las mit lauter Stimme.
»Montgomery-Hall, den 18. Juni, 10 Uhr vormittags.
Leutnant Steffenson und Mac Ivor öffneten um 9:30 Uhr das Laboratorium. Die Tür ordnungsgemäß verschlossen und gesichert. Im Laboratorium alles in Ordnung. Der Apparat Montgomerys verschwunden. Sämtliche Sicherungen des Schlosses revidiert. Alle eingestellt, in Ordnung. Unmöglich, daß der Apparat aus dem Schloß entfernt ist. Alle Räume des Schlosses durchsucht, nichts gefunden. Die Nachforschungen werden fortgesetzt. Leutnant Steffenson, Mac Ivor.«
Der Ministerpräsident hatte seine Fassung wiedergewonnen.
»Meine Herren!« Seine Stimme schallte durch das Getöse und den Wirrwarr im Saal. »Meine Herren, wollen Sie sich auf Ihre Plätze begeben. Die Angelegenheit erfordert, daß wir mit größter Ruhe und Überlegung die Schritte beraten, die zu tun sind. Vorerst verpflichte ichSie alle zur strengsten Verschwiegenheit. Die Öffentlichkeit darf nichts erfahren, bevor der Tatbestand nicht völlig klargestellt ist.
Zur Sache selbst beantrage ich, daß eine sofort zu wählende Kommission sich im Flugschiff nach Montgomery-Hall begibt. Scotland Yard stellt dazu drei ausgewählte Detektive. Die Professoren Syndham und Farland werden aufgefordert, sich anzuschließen. Keiner jedoch erfährt den Zweck vor dem Betreten des Schlosses.«
Der Antrag wurde ohne Debatte angenommen. Unverzüglich wurde zu seiner Ausführung geschritten.
Dreimal vierundzwanzig Stunden später. Alle Lautsprecher der Welt schrien es der Menschheit in die Ohren:
Montgomerys Apparat aus Montgomery-Hall verschwunden!
Die Welt hielt den Atem an. Schwer war es zu sagen, welche Nachricht stärker in ihrer äußerlichen Wirkung, die von Montgomerys Tode oder die vom Verschwinden des Apparates. Rätselhaft war das Vorkommnis. Immer unlöslicher wurde das Rätsel, je mehr man nach einer Erklärung suchte, je länger die Untersuchung sich hinzog.
Die Regierung hatte einen schweren Stand. Die Zentralregierung, die Regierungen der Einzelstaaten, die gesamte Presse luden ihr die Verantwortung auf. Das Kabinett trat, dem allseitigen Druck weichend, zurück.
Der europäische Staatsrat trat zu einer Sondersitzung zusammen. Nur einen Punkt hatte die Tagesordnung: Der Diebstahl des Apparates.
Hier sprach man nicht mehr von einem Verschwinden. Man setzte ohne weiteres voraus, daß der Apparat von interessierter Seite entwendet worden sei… trotz aller Sicherungen und trotz aller Wachen gestohlen worden sei. Es regnete Vorwürfe gegen die Vertreter und die Regierung, die die Erfindung für sich behalten wollte. Nach einer heftigen Rede des französischen Delegierten erhielt der deutsche Vertreter das Wort. Er machte der englischen Regierung den Vorwurf der Fahrlässigkeit. Sicherungen und Schutzmaßregeln, die einen Diebstahl nicht unmöglich machten, seien eben keine ausreichenden Maßnahmen. Ausgeschlossen sei es, daß etwa ein europäischer Staat an dem Diebstahl beteiligt sein könne. Zweifellos sei der Apparat von einer Europafeindlichen Seite entwendet worden. Unausdenkbar wären die Folgen, wenn es dieser Stelle auch noch gelänge, den Apparat in Tätigkeit zu setzen. Der Redner fuhr fort:
»Die Hoffnung Europas klammerte sich an diesen Apparat. Bot er doch die Möglichkeit, dem Kontinent das alte Übergewicht wieder zu schaffen. Jetzt ist nicht nur das Übergewicht, sondern auch das Gleichgewicht dahin. Dieser Apparat, diese Riesenenergie… es war das, was uns helfen konnte. Es versprach uns neue Lebensmöglichkeiten, Gelegenheit, unseren Menschenüberfluß unterzubringen. Es hätte uns auch die Möglichkeit gegeben, einen neuen Waffengang gegen die Eindringlinge in Spanien mit der Aussicht auf besseren Erfolg zu versuchen, die iberische Halbinsel für Europa zurückzugewinnen.
Meine Herren, stellen Sie sich vor, der Apparat wäre in maurischen Händen. Der Gedanke wäre nicht auszudenken. Unsere an sich schon übermächtigen Feinde im Besitz des Apparates, es wäre das Ende Europas.«
Gewaltig war der Eindruck dieser Rede auf die Versammlung. In aller Schärfe war hier ausgesprochen, welche fürchterliche Gefahr der Besitz des Apparates für ganz Europa bedeutete. Der englische Vertreter nahm das Wort, um die Erregung zu dämpfen. Er gab zur Entschuldigung seiner Regierung eine genaue amtliche Darstellung der Verhältnisse und Sicherheitsmaßnahmen in Montgomery-Hall. Er verwies auf die bisher freilich leider negativen Ergebnisse der Polizei, und er schloß: »Mag’s gestohlen haben, wer will, in Betrieb wird den Apparat niemand setzen können. Was der Blüte unserer Wissenschaft nicht gelang, wird auch keinem anderen gelingen.«
Ein Murren ging bei diesen Worten durch die Versammlung. Noch einmal nahm der deutsche Vertreter das Wort.
»Ich kann die Ansicht meines Kollegen nicht teilen. Die deutsche Regierung hat es als einen Affront empfunden, daß man ihr Anerbieten, deutsche Gelehrte zur Mitarbeit heranzuziehen, glatt ablehnte. Ich spreche ja kein Geheimnis aus, wenn ich sage, daß auch bei uns auf dem gleichen Gebiet gearbeitet wird. Die Versuche der Riggers-Werke sind noch weit vom Abschluß entfernt. Man hat bei uns erst bedeutend später mit diesen Arbeiten begonnen. Aber trotzdem hätte es das Interesse Europas erfordert, daß man mindestens einige Physiker der Riggers-Werke zur Lösung der Aufgabe mitherangezogen hätte. Ich glaube, daß eine Lösung des Problemes mit vereinten Kräften wahrscheinlicher gewesen wäre, und ich kann England den Vorwurf nicht ersparen, daß es durch sein Verhalten diese Möglichkeit vereitelt hat.
Dieser gestohlene Apparat ist jedenfalls zu Lebzeiten Montgomerys in Betrieb gewesen. Die Möglichkeit, ihn wieder in Betrieb zu setzen, besteht. Wehe unserem armen Europa, wenn das von feindlicher Hand geschieht.«
Die Sitzung des Staatsrates ging ihrem Ende zu. Blitzartig hatte sie die schwere Gefahr erhellt, die ganz Europa aus der gegenwärtigen Situation erwachsen konnte, wahrscheinlich erwachsen mußte. Wirksame Mittel zur Abhilfe konnten auch die in diesem Rat versammelten