Der Vorfall wurde mir sofort gemeldet. Die Versuche wurden wiederholt und bestätigten die erste Feststellung. Mein nächster Weg ging zu der Bank, von der wir den Goldbarren bezogen hatten. Goldbarren sind keine allzu häufige Handelsware, und sehr schnell konnte festgestellt werden, daß der Barren vor 46 Tagen bei der Diskontobank in Hannover verkauft worden war. Ich betraute Sie mit der Ermittlung des Verkäufers.
Nun, Herr von Iversen, wir haben viele Jahre hindurch Millionen in die Aufgabe gesteckt, das Problem der Atomenergie zu ergründen. Eisenecker hat lange bei den Versuchen mitgearbeitet. Ich nehme es als sicher an, daß er sich die bei uns gesammelten Erfahrungen bei seinen eigenen Arbeiten in weitestgehendem Maße zu Nutze gemacht hat… daß er seine vertraglichen Abmachungen uns gegenüber verletzt hat. Er hat zwar, das habe ich nebenher feststellen können, bisher kein Patent angemeldet, aber es ist doch zu erwarten, daß er dies tun wird. Da heißt es eben für mich, die Interessen der Riggers-Werke unbedingt zu wahren. Daher mein Auftrag für Sie, alle Schritte Eiseneckers aufs schärfste zu überwachen. Sind Sie jetzt nach meinen Mitteilungen dazu bereit?«
Iversen blies nachdenklich den Rauch seiner Zigarre in die Luft.
»Noch eine Frage. Ich bin zwar absoluter Laie auf diesem Gebiet. Aber es ist doch nie die Rede davon gewesen, daß Elias Montgomery in der Lage war, Gold zu machen. Sollte Eisenecker nicht vielleicht doch einen anderen Weg eingeschlagen haben… als Montgomery… und als die Riggers-Werke?«
Iversen sah Harder fragend an. Ein Schatten der Betroffenheit zuckte blitzschnell über das Gesicht des Generaldirektors. Er räusperte sich kurz.
»Es ist kaum möglich, Herr von Iversen, Ihnen – Sie sagen ja selbst, daß Sie Laie sind – eine bündige wissenschaftliche Erklärung zu geben. Es möge Ihnen genügen, daß gerade auf physikalischem Gebiete eine ganze Anzahl bedeutender Erfindungen so nebenher gemacht worden sind, während man ein ganz anderes Ziel im Auge hatte. So ist es hier auch mit Eisenecker gewesen.«
»Gut, jetzt bin ich bereit, Ihren Auftrag anzunehmen.«
In der Begleitung des Generaldirektors verließ Malte von Iversen den Raum.
Mit klopfendem Herzen hatte Mette der Unterredung gelauscht. Jetzt ging sie mit müden Schritten zu einer Ruhebank und vergrub ihr Gesicht in die Kissen. Die Wunde, im Laufe der Jahre verharscht, blutete von neuem. Als fühle sie körperlichen Schmerz, preßte sie die Hand auf das pochende Herz. Wirre Erinnerungen durchkreuzten ihre Sinne… war’s nicht doch Feigheit gewesen… die letzte dumpfe Regung der Alltagsseele, die vor dem Äußersten zurückschreckt?
Ihre Gedanken flogen zurück, eine lange Zeitspanne bis zu jenem Sommer vor fünf Jahren. Der einzige Sommer des Glücks in ihrem Leben.
Vor fünf Jahren war es, auf Warnum, dem Eiland da draußen in der Nordsee. Die neuen Anlagen der Riggers-Werke dort gingen der Vollendung entgegen. Ihr Vater, dem es zu langsam ging, blieb fast den ganzen Sommer auf der Insel, um den Bau zu beschleunigen und die Erfolge der ersten Versuche zu sehen. Sie wohnte mit ihm in dem einfachen Direktionsgebäude.
Hier lockte die See. Schwimmen, Segeln ihre Leidenschaft von jeher. Schrankenlos gab sie sich ihr hin. Ein starker Sturm. Mit Mühe und Not hatte sie den rettenden Strand erreicht. Da verbot ihr der Vater, allein nur mit dem kleinen Fischerjungen auszufahren. Ein junger Physiker des Laboratoriums, in allen Segelkünsten erfahren, sollte sie auf größeren Fahrten stets begleiten.
»Erst sehen!« hatte sie lachend dem Vater geantwortet.
Am nächsten Morgen war ihr Eisenecker vorgestellt worden. Die hohe, kräftige Gestalt in elegantem Segeldreß. Unter der blauen Seemannsmütze der schmale Kopf. Das scharfgeschnittene Gesicht. Die klaren stahlblauen Augen.
Dieser Kraftmensch mit den eleganten Umgangsformen des Weltmannes… das war einer von den Laboratoriumswürmern, wie sie die dort beschäftigten Herren scherzend nannte? Weit eher hätte sie ihn für einen Seeoffizier gehalten, für den Nachkommen irgendeines berühmten mittelalterlichen Seehelden.
Sekundenlang hatte sie die Augen zur Seite gewandt, kaum fähig, ihre Überraschung zu verbergen. Fast befangen war sie neben ihm her zur Anlegestelle geschritten. Und dann waren sie gefahren… der Wind war schwach geworden. Das Steuer festgemacht, hatten sie sich von der leichten Brise treiben lassen. Er hatte ihr von seinen Reisen und Arbeiten in fremden Erdteilen erzählt. In lebhafter Unterhaltung waren die Morgenstunden wie im Nu vergangen…
Und der Sommer war verstrichen.
Die letzte Fahrt. Schon beim Absegeln hatte der Himmel ein drohendes Gesicht gezeigt. Doch keiner dachte an Umkehren. Noch ehe sie die Insel ganz aus dem Gesicht verloren, war das Unwetter losgebrochen. Der Sturm kam vom Lande her. Unmöglich, dabei gegen Warnum hin anzukreuzen. Einzige Zuflucht Barsum, das in der Windrichtung lag. In wilder Sturmfahrt waren sie auf den Strand zugeschossen. Mit eherner Ruhe hatte Eisenecker das kleine Fahrzeug durch die Brandung gebracht, es auf dem Rücken einer großen Woge auf den Strand gesetzt. Ehe die nächste kam, hatte er Mette aus dem Boot gerissen und in schnellem Lauf ein Stück landeinwärts getragen.
Da stand er keuchend. Sie wollte sich aus seinen Armen lösen. Er hielt sie fest, riß sie an sich. Sie hatte sich seinem herrischen Ansturm willenlos hingegeben, hatte sich in seiner Umklammerung zurückgebogen, als er sie küßte, und alles um sich herum vergessen…
Sie waren zur nächsten Fischerhütte gegangen, hatten sich am Feuer trocknen lassen.
Als das Wetter nachließ, waren sie ins Freie getreten. Als sie allein waren, als er sie wieder an sich ziehen wollte, hatte sie ihn sanft abgedrängt. Und dann hatte Mette mit leiser Stimme, fast ohne Aufregung gesprochen.
Von dem anderen da unten im Süden, der ihr Wort hatte… Jugendfreund… Herzenswunsch der beiderseitigen Eltern… am Sterbebett der Mutter hatte sie dem zum Verlöbnis die Hand gereicht… seit Monaten war er im Süden, reiste von einem Sanatorium zum anderen, Heilung zu suchen.
Eisenecker war stehengeblieben, hatte sie angestarrt, als müsse er sich überzeugen, daß sie es wirklich war, die diese Worte sprach. Einen kurzen Augenblick hatte er die blitzartige und stechende Empfindung, daß er fliehen… daß er, ohne einen weiteren Blick auf Mette zu tun, davonstürzen müsse. Dann hatte er sich zu ihr umgewandt, ein unbändiges Feuer loderte aus seinen Augen. Die geballten Fäuste gegen sie erhoben, als wolle er sie niederschlagen.
»Ein Spielzeug war ich dir!… Ein Spielzeug deiner Laune, das man wegwirft, wenn es nicht mehr paßt! Das, das war ich dir?«
Mette hatte sich an ihn geklammert und den Kopf an seine Schulter gelegt, ihm ihre Seelenpein verraten, ihn hineinschauen lassen in ihr zuckendes, sich abringendes Herz.
Da kam er wieder zur Besinnung. Qual und Wut wichen aus seinen Mienen. Fest drückte er die Zitternde an sich. Liebkosend glitt seine Hand über ihr feuchtes Haar.
»Mette, warum sollen wir uns opfern? Für wen? Du liebst den anderen nicht… kannst ihn nicht lieben. Und doch willst du…«
»Er liebt mich mit der eigensinnigen Leidenschaft des Schwerkranken. Nähme ich mein Wort zurück, er würde sterben…«
Stumm, mit fahlem Gesicht, war er von ihr zurückgewichen.
»Wenn ich gehe, ist alles aus.«
»Friedrich!«
»Feige, grausam bist du!«
»Friedrich, bist du bei Sinnen? Ich habe dich lieber als jeden anderen Menschen in der Welt! Schon seit jenem ersten Tage, wo wir zusammen fuhren…«
»Geh, ich glaube dir nicht!«
Da schrie sie in ihrer Seelennot laut auf, warf die Arme um ihn, preßte ihn mit aller Gewalt fest an sich.
»Ich habe dich lieb bis in den Tod, du… du… doch an ihn muß ich denken, an ihn, der mir vertraut. Kann das Bild des Kranken nicht aus meiner Seele bannen. Seinen Tod auf dem Gewissen, keine frohe Stunde würde ich an deiner Seite verleben.«
Nach