»Hat der Tod Saids nicht Anlaß zu weiteren Nachforschungen gegeben?«
»Nein! Seine Leiche ist bis zur völligen Unkenntlichkeit verbrannt. Schade, sehr schade um den Mann.«
»Haben Sie sich jetzt ein klares Bild über die Vorgänge jener letzten bedeutungsvollen Tage machen können?«
»Ich denke: ja! Sie wissen, es war uns verhältnismäßig leicht gelungen, Said unter dem Namen Sniders als technischen Hilfsarbeiter letzten Grades in Montgomery-Hall unterzubringen. Monatelang warteten wir vergeblich auf Nachricht von ihm. Auf die Nachricht, daß es ihm gelungen wäre, Elias Montgomery seine Erfindung abzusehen, den Apparat selbst nachzukonstruieren.
Jetzt, da sich die besten englischen Physiker in wochenlangen Versuchen vergeblich bemüht haben, das Geheimnis Montgomerys zu ergründen, kommt mir unser eigener Plan naiv vor. Said war wohl ein guter Techniker, aber seine physikalischen Kenntnisse lassen sich mit denen der englischen Gelehrten nicht vergleichen. War es ein Fehler, so ist er jedenfalls zu entschuldigen. Die Auswahl bei uns ist naturgemäß nicht groß. Die weiteren Ereignisse müssen sich folgendermaßen abgespielt haben.
Durch einen Zufall kam Said an jenem Tage zuerst in das Laboratorium Montgomerys. Er sah den Erfinder tot neben dem Apparat liegen. Nun bewies er einen hohen Grad von Umsicht. Ohne den Bewohnern des Schlosses Nachricht von dem Tode des Erfinders zu geben, telegrafierte er mir sofort in unserem Geheimcode das Ereignis. Ich gab es schnellstens in die Heimat weiter und wies darauf hin, daß Said bestimmt hoffte, den Tod des Erfinders bis in die Börsenstunden hinein geheimhalten zu können. Edhem Pascha faßte den Wink richtig auf und entrierte jenes berühmte, selbst für die Londoner Börse außergewöhnliche Manöver.«
»So ging der Gedanke dazu von Ihnen aus, Exzellenz? Ich gratuliere. Die Idee war glänzend.«
Der Botschafter zuckte die Achseln.
»Mag sein. Diese Vermehrung des Staatsschatzes ist ein bedeutendes Aktivum für den Kalifen. Seine nächste Depesche erkannte das auch an, wies aber gleichzeitig darauf hin, daß der Besitz des Apparates selbst nicht durch hundert solcher Börsentransaktionen aufgewogen werden könne.«
»Darüber besteht wohl kein Zweifel, Exzellenz. Aber wie erklären Sie sich weiter den Tod Saids?«
»Es gibt nur eine Erklärung. Bei der allgemeinen Verwirrung, die nach dem Bekanntwerden von Montgomerys Tod im Schlosse ausbrach, hatte Said unzweifelhaft die Absicht, den Apparat kurzerhand fortzunehmen… damit aus Montgomery-Hall zu fliehen. Dazu mußte er zuerst die Sicherungsanlagen wirkungslos machen. Den Versuch, dies zu tun, hat er mit seinem Leben bezahlt.«
»Ihre Worte machen mich besorgt, Exzellenz. Was Said nicht gelang, der monatelang in Montgomery-Hall gelebt hat, wie sollte es mir und Halil Rifaat gelingen?«
»Es wird gelingen, Baronin! Schon einfach deshalb, weil Sie dabei sind. Nein, nein, es ist so! Das ist keine Schmeichelei. Ich stelle zum Beweis für meine Worte die Frage: Ist uns schon jemals ein Unternehmen fehlgeschlagen, bei dem Ihre kleine Hand im Spiele war?… Sie schweigen, Baronin… und doch sagt mir die Sprache Ihrer Augen, daß sie mir recht geben.«
»Und der Kalif… ist der Kalif Abdurrhaman derselben Meinung?«
Der Botschafter machte eine bejahende Verbeugung. Jolanthe von Karsküll hatte sich erhoben. Einen Augenblick stand sie, die junonische Gestalt hochaufgereckt, stumm. Das Auge wie verloren in weite Fernen gerichtet. Dann, als habe sie Mühe, sich in die Wirklichkeit zurückzufinden, sprach sie. Langsam… stockend… mit Unterbrechungen.
»Wenn es gelingt, Exzellenz… wenn uns der letzte große Wurf gelingt… wäre es möglich… ginge es, daß… ich selbst den Preis dieses Kampfes… die Beute dieses Unternehmens unserem Herrn…?«
»Unmöglich!« Der Botschafter hob beschwörend die Hände empor. »Unmöglich, Baronin. Ihr Verschwinden nach solch einem Ereignis… es wäre möglich, daß der Schimmer eines Verdachtes… nein!… Das darf nicht sein. Auf keinen Fall. Es tut mir sehr leid, Ihnen diese Bitte abschlagen zu müssen, wenn ich auch…«
»Sie haben recht, Exzellenz. Mein Wunsch war töricht. Ich begreife selbst nicht… auf Wiedersehen denn.«
Der Botschafter drückte seine Lippen auf ihre Rechte und geleitete sie zu der offenen Wand. Noch einmal eine tiefe Verneigung des Mauren. Das Knacken einer Feder, das Rauschen eines Verschlusses. Jolanthe von Karsküll stand wieder allein in ihrem Boudoir.
Eine Sitzung in den Riggers-Werken zu Berlin. Der Generaldirektor Harder hatte alle Herren telegrafisch hierherbestellt, die auf der kleinen Nordseeinsel Warnum dort draußen am großen Problem der Atomenergie arbeiteten. Da saßen sie um den großen Konferenztisch herum, die geschicktesten Physiker, die klügsten Köpfe der RiggersWerke, die sich seit einem Jahrzehnt mit dem weltbewegenden Problem der Atomenergie herumschlugen. Gesichter, in die unablässiges Forschen und Spüren… in die durchsonnene Tage und durchwachte Nächte, in die so viele Enttäuschungen ihre unverlöschlichen Runen eingegraben hatten.
Schon damals, als die Nachrichten von den ersten Erfolgen Montgomerys nach Deutschland drangen, waren die Sitzungen der Riggers-Werke in recht erregten Formen verlaufen. Da gab’s oft mutlose Stimmen in der Versammlung, die fragten, wozu überhaupt noch einen Draht schalten, eine Klemme festschrauben, wenn ein anderer das Problem schon gelöst hat. Bedurfte es doch einer ganz besonderen Hingabe, auf dem einmal beschrittenen Wege weiterzugehen, weiterzuarbeiten und ein Ziel zu erstreben, das jener schon erreicht hatte. Die Kunde vom Tode Montgomerys, die Nachricht, daß seine Erben die Erbschaft nicht zu heben vermochten, war hier mit einem Gefühl der Erleichterung aufgenommen worden. Jetzt hatten die Riggers-Werke auf dem Gebiete der Atomenergie wieder die Spitze. Jetzt konnten sie vielleicht als die ersten das Ziel erreichen, das der übrigen Welt unerreichbar war.
Schon seit einer Stunde waren sie versammelt und erwarteten mit immer noch steigender Spannung das Erscheinen ihres Generaldirektors. Jetzt riß der Diener die Tür auf. Harder trat ein. Mit einem kurzen Nicken begrüßte er die Versammelten und nahm am Konferenztisch Platz.
»Meine Herren, in Erwartung einer wichtigen Nachricht habe ich mich verspätet. Bitte, entschuldigen Sie das. Meine Zeit ist jetzt so stark in Anspruch genommen, daß ich nicht selbst nach Warnum kommen konnte, sondern Sie hierher bitten mußte.
Es handelt sich in diesen Tagen in erster Linie um unsere Stellung zu der englischen Erfindung und… zu der englischen Regierung…«
Gespannt blickten die hier Versammelten auf ihren Chef. Da war es ja wieder. Jenes Thema, das sich in dem einen Namen Montgomery zusammenfassen ließ, und das ihnen allen schon so viele Tage voller Aufregungen, so viele Stunden inneren Zweifels gebracht hatte. Der Generaldirektor sprach weiter.
»Sie wissen, daß die Presse es der englischen Regierung seit dem Tode Montgomerys sehr nahegelegt hat, Physiker der Riggers-Werke zum Studium und zur Inbetriebsetzung des Apparates heranzuziehen. Ich kann Ihnen weiter sagen, daß auch unsere Regierung mit einem derartigen Schritt an die englische Regierung herangetreten ist. Heute morgen kam die Antwort: Nein!
Meine Herren, die Gründe dafür sind durchsichtig genug. England steht auf dem Standpunkt daß der Apparat Montgomerys nur durch englische Physiker in Betrieb gesetzt werden darf. Es betrachtet jede fremde Mitarbeit als eine Schmälerung ihres Erfinderruhmes. Nach dem bisher Erlebten bin ich überzeugt, daß die europäische Presse, wenigstens die des Festlandes, diesen Standpunkt auf das schärfste bekämpfen wird. Die Antwort der englischen Regierung wird im Laufe des heutigen Tages bekanntgegeben, und wir werden danach mit einer Hochflut von Pressestimmen gegen die Eigenbrötelei der Einzelstaaten des europäischen Staatenbundes zu rechnen haben.
Natürlich, meine Herren, in meiner Eigenschaft als Leiter der Riggers-Werke bedauere ich diese Entscheidung durchaus nicht…«
Fragende Blicke aus der Versammlung richteten sich auf den Generaldirektor. Der fuhr fort.
»Ich halte es für durchaus möglich… ja für wahrscheinlich, daß es uns gelingen könnte, den Apparat Montgomerys in Tätigkeit zu setzen.