»Ich werde Ihrem Wunsch willfahren, Mr. Fox, obwohl es mir schwer fällt, vor dieser Kanaille aus Garvins Palace zu fliehen.«
»Danke, Mr. Garvin! Leb wohl, Helen!«
Er zog sie an sich und küßte ihr die Tränen von den Wangen.
»Keine Angst, Helen! Du hast mich so oft Unkraut gescholten, daß du jetzt auch an das Sprichwort von jenem edlen Kraut glauben mußt.«
»Wellington! … Wellington!«
Helen sah unter Tränen lächelnd ihrem Verlobten nach. Dann hörte sie den Wagen anfahren. Noch ein Winken der Insassen, und dann war er um eine Wegbiegung verschwunden.
Während die Hauptmasse des aufgehetzten Pöbels sich noch in wechselvollem Kampfe mit den weißen Stoßtrupps beim Plündern der Läden in den großen Geschäftsstraßen aufhielt, war eine offenbar besonders gut dressierte Gruppe, die unter einem außergewöhnlich gerissenen Führer zu stehen schien, bereits ohne Zeitverlust und ganz überraschend durch unbewachte Seitenstraßen in das Viertel von Nob Hill eingebrochen. Bereits hatten sie fast ungehindert, nur mit vereinzeltem Widerstand der Bewohner kämpfend, eine Reihe reicher Privathäuser ausgeräumt. Die Kostbarkeit ihrer Beute sprach für die Richtigkeit ihres Planes, der nach den Anweisungen des Führers streng systematisch durchgeführt wurde.
Erst als sie sich dem Hause von John Dewey näherten, weigerten sich die Farbigen aus der Bande, hier mitzumachen. Nach kurzem, erregtem Wortwechsel trennte sich die Gesellschaft. Die meisten Farbigen zogen weiter, während der Rest mit dem weißen Gesindel in Deweys Haus eindrang.
Das verschlossene Tor war schnell erbrochen. In der großen Halle des Erdgeschosses trat ihnen John Dewey entgegen, während eine kleine Gruppe Bedienter sich ängstlich im Hintergrunde verhielt.
»Was soll das? … Was wollen Sie hier?«
Drohend aufgerichtet stand er vor den Eindringlingen. Seine Augen schossen zornige Blitze.
Einen Augenblick stutzte der Haufe.
»Einen kleinen Zehrpfennig für die Reise!« erscholl es da aus dem Hintergrunde.
Dewey richtete seine Augen auf den Sprecher.
»Was? … Sie, Mr. Cameron? … Sie hier unter diesen Räubern, Plünderern?«
»Sehr wohl, Mr. Dewey!«
Collin Cameron war ein paar Schritte vorgetreten und stand dicht vor dem Hausherrn. Mit einem kalten Hohnlächeln weidete er sich an der grenzenlosen Überraschung Deweys. Die Maske des Gentlemans war von ihm abgefallen. Sein Gesicht war das des großen Verbrechers.
»Sehr wohl, Mr. Dewey! Nachdem unsere gemeinsamen Transaktionen nicht den gewünschten Erfolg gehabt haben, sehe ich mich genötigt, meinen Teil am Geschäfte zu liquidieren. Da von dem bankrotten Haupthause in Peking nichts zu erwarten ist, muß ich mich an den noch zahlungsfähigen Sozius … an das Haus Dewey halten … Da ich für Schecks in meiner augenblicklichen Lage keine Verwendung habe, möchte ich Sie ersuchen, die Rechnung in bar zu begleichen.«
John Dewey stand starr. Mit einem Blick unsäglicher Verachtung maß er den Gegner. Collin Cameron hielt den Blick kühl lächelnd aus.
»Mit Rücksicht auf unsere früheren angenehmen Beziehungen bin ich bereit, die Angelegenheit kulant zu erledigen. Ich wünsche nichts, als den Schmuckkasten Ihrer Tochter … Sie selbst waren ja stets ein Verächter des glitzernden Tandes … Aber auch auf diesen Kasten würde ich sogar verzichten, wenn Sie mir den Preis dafür, den ich billig mit zehn Millionen Dollar taxiere, in bar erlegen … Sie sehen, ich bin bescheiden.«
Dewey hatte die höhnische Suada Collin Camerons zunächst mit beherrschter Ruhe angehört. Erst als der Name seines Kindes fiel, stieg eine dunkle Röte in sein Gesicht. In dem Augenblick, in dem Collin Cameron seine Worte mit einer ironischen Verbeugung schloß, stürmte er mit geballten Fäusten auf ihn los.
»Hund! … Hund, du …!«
Ein schallender Schlag seiner Rechten traf die Wange Collin Camerons.
Im selben Augenblick war Dewey von einem Dutzend kräftiger Arme gepackt und zu Boden geschleudert. In rasender Wut hatte Collin Cameron eine Schußwaffe gezogen und zielte auf den Daliegenden. Im letzten Augenblick besann er sich und steckte sie mit einem Fluche wieder zu sich.
»Vorwärts!« rief er seinen Kumpanen zu. »Nehmt, was ihr findet!«
Mit schnellen Sprüngen eilte er allen voran die Treppe empor. Während die meisten seiner Begleitung sich in den ausgedehnten Räumen zerstreuten, schritt er mit sicherer Ortskenntnis nach den Zimmern von Florence.
Durch den Lärm aufmerksam geworden, trat sie ihm an der Tür entgegen. Fassungslos sah sie auf Collin Cameron und die wüsten Gestalten seiner Begleitung.
»Was ist? … Was geht hier vor? … Wo ist mein Vater?«
Mit tiefem Erblassen wandte sie sich an den durch sein elegantes Äußere von der übrigen Bande so merkwürdig abstechenden Cameron.
»Ihren Schmuckkasten, Miß Dewey … Etwas schnell, wenn ich bitten darf. Wir sind in Eile!«
»Mein Vater! … Wo ist mein Vater? … Sie haben ihn getötet!«
Mit einem Schreckensschrei suchte sie an Collin Cameron vorbeizukommen, um nach unten zu eilen.
»Halt! Hiergeblieben! Ihrem Vater ist nichts geschehen … Zeigen Sie uns, wo Sie Ihren Schmuck verwahren, und alles ist in Ordnung!«
Mit einem lauten Schrei »Vater!« taumelte Florence zurück.
Wie im Nebel sah sie plötzlich Collin Cameron von hinten niedergerissen werden. Sie fühlte, wie ein Arm sie umschlang. Eine ihr so wohlbekannte Stimme drang an ihr Ohr.
»Florence! Ich bin bei dir! … Hierher, Kameraden! … Hierher!«
Vom Erdgeschoß drang der Knall mehrerer Schüsse nach oben. Für die Plünderer in den Räumen ein Signal, schleunigst die Flucht zu ergreifen. Auch Collin Camerons Begleiter waren im Augenblick verschwunden, ohne sich um den Führer zu kümmern, der halb betäubt am Boden lag. In den unteren Räumen und im Garten entspann sich zwischen den flüchtenden Banditen und dem vordringenden weißen Stoßtrupp ein reguläres Feuergefecht. Alle Aufmerksamkeit der Befreier konzentrierte sich hierhin.
Der Lärm dieses Kampfes drang auch nach oben und weckte Collin Cameron aus seiner Betäubung. Er öffnete die Augen und sah um sich. Schnell hatte er die Situation erfaßt. Er kannte das Haus von früher her gut und wußte, daß von Florences Zimmern ein offener Balkon direkte Verbindung mit dem Garten hatte. Einmal aus dem Hause, würde er sich unter die weißen Stoßtrupps mischen und sich bei Gelegenheit unbemerkt entfernen.
Er erhob sich und trat durch die Tür in das benachbarte Zimmer. Blitzschnell glitt sein Blick überall prüfend umher. Vielleicht konnte er den Aufbewahrungsort des Schmuckes doch noch im letzten Augenblick entdecken. Da sah er durch die halbgeöffnete Tür im dritten Raum die Gestalt eines Mannes, der in seinen Armen Florence Dewey hielt.
Er stutzte und blieb lautlos stehen. Da … ein Zittern ging durch seine Glieder. Er erkannte Averil Lowdale, den Sohn des Mannes, der ihm die Lordschaft Lowdale geraubt.
Nur einen kurzen Moment, und er hatte die Ruhe wiedergewonnen, hob die Schußwaffe, zielte sorgsam und drückte ab. Mit einem Sprunge war er an der Balkontreppe. Mit wenigen Sätzen stand er im Garten und eilte um das Haus der Straße zu.
Da knallte es hinter ihm. Er fühlte, wie eine Kugel seinen Rücken streifte. In rasender Eile stürmte er weiter. Noch mehr Schüsse hinter ihm, doch keine Kugel traf ihn mehr.
*
Dort, wo die Havel das Spandauer Gemünd verläßt und sich zum mächtigen See weitet, lag an den Hängen des Ostufers das Besitztum Georg Isenbrandts. Gleich von der Uferstraße aus stieg das Gelände hier scharf in die Höhe, und das geräumige Landhaus lag wohl fünfzig Meter höher als der Fluß. Ein weiter Garten, mit alten Laubbäumen dicht bestanden, erstreckte