Eigenartig wirkten sich die afrikanischen und amerikanischen Verhältnisse aufeinander aus. In Amerika waren die Dinge anders gegangen als in Afrika. Die Kunde von jener märchenhaften, kaum zu glaubenden Vernichtung der großen gelben Armee hatte in Amerika dem an sich schon gut organisierten Widerstand der weißen Bevölkerung verstärkte Schlagkraft verliehen. Restlos, blutig und bitter war hier die Niederlage der aufständischen Schwarzen, für absehbare Zeit jede Hoffnung auf volle Gleichberechtigung mit der weißen Rasse erstickt. Unter solchen Verhältnissen mußten aber die Aussichten und Möglichkeiten, sich in Afrika erfolgreich und vollkommen frei betätigen zu können, für die regeren Elemente der schwarzen amerikanischen Bevölkerung einen großen Anreiz zur Auswanderung bieten. Es war hauptsächlich die jüngere Generation, die der Reiz der neuen Verhältnisse und des besseren Fortkommens nach Afrika lockte, während die Alten und Stumpfgewordenen in der Union blieben.
Die so nach der Niederschlagung des amerikanischen Aufstandes sofort stark einsetzende Auswanderung versprach der amerikanischen Union in absehbarer Zeit eine Entlastung vom Druck der schwarzen Bevölkerung. Freilich bedeutete diese Auswanderung auch einen starken Aderlaß an Kapital und an billigen schwarzen Arbeitskräften. Eine Wirtschaftskrise für die Union war unvermeidlich. Doch ihr Ende ließ sich voraussehen, da die Isenbrandtschen Erfindungen auch im Gebiete der amerikanischen Union neue und bessere Lebensmöglichkeiten für die weiße Rasse schaffen konnten.
Doch dieser Verlauf der Dinge ergab sich erst in Wochen und Monaten. Im Anfang war die schwarze Bewegung auch in der amerikanischen Union gefährlich genug, und erst nach schweren und erbitterten Kämpfen konnte die Ordnung wiederhergestellt werden. Besonders gefährlich wurde sie da, wo das plündernde und raubende schwarze Proletariat durch weißes Gesindel ähnlicher Qualität indirekt unterstützt wurde.
In Frisko war die Bewegung zunächst verhältnismäßig harmlos verlaufen. Die Organisation des Weißen Ordens hatte hier dank umfangreicher Vorbeugungsmaßnahmen sofort mit aller Schärfe und großem Erfolge eingegriffen. So wurde es möglich, die regulären Truppen von dort nach und nach fortzunehmen und in bedrohteren Staaten zu verwenden. Aber der Schutz der Stadt lag jetzt fast ausschließlich in den Händen der freiwilligen weißen Organisation.
Es war in den ersten Tagen des August. Eine schwüle, drückende Hitze lag über Frisko. Selbst auf dem hochgelegenen San Matteo vermochte die leichte Seebrise nur wenig Kühlung zu bringen.
Auf der meerwärts gewandten Terrasse von Garvin Palace saßen Francis Garvin und Helen unter einem leichten Leinenzelt. Helens Hände spielten mit dem Papierstreifen des Wellentelegraphen. Das Schlagen einer Standuhr ließ sie aufhorchen.
»Vier Uhr, Pa! Wellington muß schon in Frisko sein.«
»Er muß jede Minute kommen!«
»Mir scheint, Pa, deine Ungeduld nach Wellington ist größer als meine. Die Tatsache, daß sein Name jetzt in aller Munde ist, daß die Zeitungen auch außer der Chikago-Preß fast täglich über ihn schreiben, scheint dir gewaltig zu imponieren.«
»Gewiß, Deary! Das gestehe ich unumwunden ein. Ich hätte das, was er hier in den letzten schweren Zeiten geleistet, nicht von ihm erwartet. In ihm ist eben noch mehr als das übliche, in jedem Journalisten steckende Stück von einem Politiker, Diplomaten und Militär vorhanden. Ich sehe nicht ein, weshalb er nicht auch später noch eine Rolle in der Politik der Union spielen sollte. Er hat den Kopf zu Größerem!«
»Nur nicht! Pa … nur nicht! … Ich will keinen Politiker zum Mann. Die haben alle keine Zeit, an ihre Frau und ihre Familie zu denken.«
»Du bist eigennützig, Helen! Was ich sagte, war mein voller Ernst. Es wäre schade und für unser Land zu bedauern, wenn Wellington Fox seine große Begabung nicht voll auswirken lassen könnte.«
»Aber Pa, ist das so? … Du übertreibst wohl ein bißchen?«
»Keineswegs, Helen! Ohne seine Fähigkeit, die Fäden, die sich vom Gelben Reich über die ganze Erde spannten, zu entdecken, hinter die Geheimnisse der feindlichen Organisationen, auch der Schwarzen, zu kommen, wäre die Gefahr überraschend über uns hereingebrochen. Und ohne seine Tatkraft und Geschicklichkeit bei der Organisierung unseres Widerstandes wäre der Kampf wohl nicht so schnell beendet worden.«
»Hör auf, Pa, mit deinen Lobpreisungen. Ich erröte für Wellington. Er würde dich sicher auslachen, wenn er dich so hörte. Doch halt! Ein Auto! … Ich sehe ein Auto in den Park einfahren.
Wellington ist darin. Ich erkenne ihn. Er winkt mit dem Taschentuch. Der dort neben ihm ist sicher sein Freund Lowdale, den er sich aus Turkestan eingeladen hat. Er wurde in den Kämpfen mit den Kirgisen schon früh verwundet.«
»Lowdale?« fragte Mr. Garvin. »Der Name … Ist das jener Lowdale, der einst Florence …«
»Ja, Pa!«
»Dann ist es wohl gut, daß sie eben fort ist. Ein Zusammentreffen hier wäre sicher für alle peinlich gewesen.«
»Ja, Pa! … Doch da sind sie schon.«
Sie eilte dem Wagen zu. Mit einem großen Sprung stand Wellington Fox auf ebener Erde. Dann fing er sie in seinen Armen auf, und ein halbes Dutzend Küsse bekräftigte die Freude des Wiedersehens.
»Immer wieder wie ein Brausewind!« schalt Helen, während sie sich aus seinen Armen losmachte. »Verzeihen Sie ihm, Mr. Lowdale!«
Sie reichte dem Gaste die Hand, während Wellington Fox zu Francis Garvin trat und angelegentlich mit ihm sprach.
»Willkommen in Garvins Palace! Ich will Sie gleich mit meinem Vater bekanntmachen, der … was ist denn, Pa?«
Die eben noch so heiteren Züge Garvins zeigten plötzlich einen tiefen Ernst.
»Schlimme Nachrichten, Helen! Unsere Freude wird nur kurz sein.«
»Was ist, Wellington?«
Sie eilte zu ihrem Verlobten und drängte sich an ihn.
»Unruhen in der Stadt, Helen! Der Pöbel aller Farben … hauptsächlich der Schwarzen, ist mobil. Irgend jemand hat es verstanden, die schwarze Plebs unter Vorspiegelung politischer Ziele noch einmal zum Kampfe gegen die Weißen aufzuhetzen. In Wirklichkeit handelt es sich darum, daß einige Drahtzieher, ehe sie den heißen Boden der Union verlassen, sich noch die Taschen füllen wollen.
Schwere Stunden … vielleicht Tage … stehen bevor. Ich riet deinem Vater, sich mit dir sofort für alle Fälle auf eure Jacht zu begeben.«
»Und du?« fragte Helen besorgt.
»Ich … ich, Helen … wenn’s wo etwas Interessantes zu sehen gibt, muß ich doch der Chikago-Preß Meldungen schicken können.«
»Ach, Wellington! Wenn du nur deshalb hierbliebst, wäre ich ohne Sorge. Aber leider wirst du das nicht tun«, ihre Stimme zitterte, sie kämpfte mit unterdrückten Tränen. »Ganz sicher wirst du immer da sein, wo es am schlimmsten zugeht …«
»… und kräftig mittun! Der Tanz wird gleich beginnen. Ich kam nur hierher, um euch zu warnen und dich zu küssen. Unser Wagen wartet, um uns sofort nach der Stadt zurückzubringen. Im Hafenviertel wird es inzwischen schon losgegangen sein. Der Hauptstoß richtet sich gegen Nob Hill, das Millionärsviertel …«
»Nob Hill?« Sie drückte erschrocken die Hand aufs Herz. »Oh, die arme Florence! Vor kurzem noch war sie hier. Eine Viertelstunde früher hättet ihr sie hier getroffen.«
»Verfl…!« preßte Fox durch die Zähne und warf einen Blick auf seinen Begleiter.
Averil Lowdale war erblaßt. Trotz seiner äußeren Unbewegtheit war seine Aufregung unverkennbar. Ein düsteres Feuer brannte in seinen Augen.
Fox hatte ihn sofort begriffen.
»Du siehst, Helen, daß wir sofort zurück müssen.«
Er wandte sich zu Francis