D. Widerlegung des vierten Grundes: das Greisenalter ist nicht mehr weit vom Tode.
a) Der Tod ist zu verachten, wenn er den Geist gänzlich vernichtet, oder er ist zu wünschen, wenn dieser nach dem Tode fortbesteht. – b) Der Tod ist aber jedem Alter gemein. Hofft der Jüngling auf ein langes Leben, so handelt er unweise, indem er Ungewisses für Gewisses hält. Der Begriff von lang ist beziehlich, und eine kurze Lebenszeit ist lang genug zu einem guten Leben. Die Frucht des Greisenalters besteht in der reichen Erinnerung der vorher erworbenen Güter. – c) Der Tod ist naturgemäß; was aber naturgemäß ist, muß man für ein Gut halten (Kap. XIX.). – d) Das Greisenalter hat keine bestimmte Gränze, und man lebt in demselben gut, so lange man seine Berufspflicht erfüllen kann. – e) Das ist der beste Tod, wenn bei ungeschwächter Geisteskraft und gesunden Sinnen die Natur selbst das Werk, das sie zusammengefügt hat, auch wieder auflöst. – f) Man muß sich von Jugend auf vorbereiten den Tod zu verachten. – g) Sowie die Beschäftigungen jedes Alters absterben, so auch die des Greisenalters, und wenn dieß erfolgt, so bringt die Sättigung des Lebens den Zeitpunkt herbei, der uns zum Tode reif macht (Kap. XX.).
IV. Schluß. Betrachtungen über die Unsterblichkeit der Seele. Gründe für dieselbe nach Plato (Kap. XXI.). Rede des sterbenden Cyrus an seine Söhne (Kap. XXII.). Beispiele aus der Römischen Geschichte von Männern, von denen wir annehmen müssen, daß sie von dem Glauben an Unsterblichkeit durchdrungen gewesen sind. – Solche Betrachtungen sind geeignet uns das Alter nicht allein leicht, sondern auch erfreulich zu machen (Kap. XXIII.).
Cato Maior de Senectute (Cato oder Von dem Greisenalter)
I.
1.
O Titus 27, wenn ich dir Hülfe gewähr' und die Sorge dir lind're,
Die jetzt, haftend im Inneren, schmerzlich dich ängstigt und martert;
Wird mir wol eine Belohnung dafür sein 28?
Ich darf ja wol dich, mein Atticus 29, mit denselben Versen anreden, mit denen den Flamininus anredet
Jener Mann 30 von geringem Vermögen, doch treuer Gesinnung;
wiewol ich gewiß weiß, daß nicht, wie Flamininus,
Du dich abhärmest, o Titus, Nächte und Tage mit Sorgen.
Ich kenne ja die Mäßigung deines Gemüthes und deinen Gleichmuth und weiß, daß du nicht allein den Beinamen von Athen heimgebracht hast, sondern auch seine Bildung und Einsicht. Und doch vermuthe ich, daß du, wie ich selbst, von den nämlichen Ereignissen 31 zuweilen sehr heftig beunruhigt wirst. Aber die Tröstung dafür ist zu wichtig und daher auf eine andere Zeit zu verschieben. Für jetzt halte ich es für angemessen Einiges über das Greisenalter niederzuschreiben und dir zu widmen. 2. Denn es ist mein Wunsch, daß die uns beiden gemeinsame Last des schon drückenden oder wenigstens herannahenden Alters 32 sowol dir als mir selbst erleichtert werde, wiewol ich gewiß weiß, daß du wenigstens sie, wie Alles, mit Mäßigung und Weisheit erträgst und ertragen wirst. Allein da ich über das Alter Etwas schreiben wollte, so tratest du mir als der Mann entgegen, welcher dieses Geschenkes würdig wäre, aus dem wir beiden gemeinschaftlich Nutzen ziehen konnten. Mir wenigstens war die Abfassung dieser Schrift so angenehm, daß sie mir nicht nur alle Beschwerlichkeiten des Alters abgestreift, sondern milde sogar und angenehm das Alter gemacht hat. Niemals wird man daher die Philosophie würdig genug preisen können, da Jeder, der ihr Folge leistet, die ganze Lebenszeit ohne Beschwerde hinbringen kann.
3. Doch über andere Gegenstände der Philosophie haben wir schon Vieles gesprochen und werden noch oft darüber sprechen; der Gegenstand der gegenwärtigen Schrift aber, die wir dir gewidmet haben, ist das Greisenalter. Die ganze folgende Unterredung nun haben wir nicht dem Tithonus 33 zugetheilt, wie Aristo aus Keos 34, – denn in einer bloßen Dichtung würde zu wenig Gewicht liegen – sondern dem Greise Marcus Cato 35, damit der Vortrag größeres Gewicht habe. Neben ihm führen wir Lälius und Scipio ein, wie sie ihre Bewunderung aussprechen, daß er das Alter so leicht ertrage, und lassen diesen ihnen hierauf antworten. Solltest du aber meinen, Cato rede hier gelehrter, als er es in seinen Schriften zu thun pflegt; so mußt du dieses der Griechischen Litteratur zuschreiben, mit der er sich bekanntlich in hohem Alter sehr eifrig beschäftigt hat. Doch wozu bedarf es noch weiterer Worte? Denn sogleich wird der Vortrag des Cato selbst unsere ganze Ansicht über das Greisenalter entwickeln.
II.
Scipio.
4. Oftmals pflege ich mit unserem Gajus Lälius hier deine ausgezeichnete und vollkommene Weisheit, Marcus Cato, sowol in allen anderen Dingen zu bewundern, als auch ganz besonders darin, daß du, wie ich bemerkt habe, das Alter niemals beschwerlich findest, das doch recht vielen Greisen so verhaßt ist, daß sie sagen, sie trügen eine Bürde, die schwerer sei als der Aetna 36
‘Α νεότας μοι φίλον άχθος δὲ τὸ γη̃ρας αιεὶ
Βαρύτερον Αίτνας σκοπέλων επὶ κρατὶ κει̃ται.
Cato.
Eine nicht eben schwierige Sache scheint ihr, Scipio und Lälius, zu bewundern. Wer freilich kein Hülfsmittel zu einem guten und glückseligen Leben in sich selbst hat, für den ist jedes Lebensalter beschwerlich; wer hingegen alle Güter in sich selbst sucht, dem kann Nichts als ein Uebel erscheinen, was ein nothwendiges Naturgesetz mit sich bringt. Hierher gehört insbesondere das Greisenalter, das zwar Alle zu erreichen wünschen, sobald sie es aber erreicht haben, anschuldigen