12. Viele herrliche Züge habe ich an diesem Manne kennen gelernt; aber Nichts verdient größere Bewunderung als die Fassung, mit der er den Tod seines Sohnes 58, eines angesehenen Mannes und Consulars, ertrug. Seine Lobrede auf ihn befindet sich in unseren Händen. Wenn wir sie lesen, wie gering erscheint uns da nicht jeder Philosoph!
Aber nicht nur im Lichte des öffentlichen Lebens und vor den Augen seiner Mitbürger war er groß; nein, daheim und in seiner Familie war er noch vorzüglicher. Welche Unterhaltung! welche Lehren! wie groß seine Kunde des Alterthums, seine Kenntniß im Augurrechte. Auch besaß er für einen Römer viel wissenschaftliche Bildung. Alle Kriege hatte er im Gedächtnisse, nicht bloß einheimische, sondern auch auswärtige. Seine Unterhaltung benutzte ich damals so eifrig, als wenn ich schon ahnete, was auch wirklich eintraf, daß nach seinem Tode sich Niemand finden würde, von dem ich lernen könnte.
V.
13. Wozu also so viele Worte hier über den Maximus? In der That nur deßhalb, weil ihr einseht, daß es eine Sünde wäre, wenn man behaupten wollte, ein solches Greisenalter sei elend gewesen. Freilich können nicht Alle Männer sein, wie Scipio 59 oder Maximus: Männer, welche sich Eroberungen von Städten, Land- und Seeschlachten, Kriege, welche sie führten, Triumphzüge vergegenwärtigen können. Aber auch ein in Ruhe, in Sittenreinheit und mit Anstand geführtes Leben hat ein friedsames und sanftes Alter. Ein solches genoß, wie uns berichtet wird, Plato 60, der im neunundachtzigsten Jahre beim Schreiben starb; ein solches Isokrates 61, der nach seiner eigenen Erklärung 62 das Buch, das die Aufschrift Panathenaikus führt, im vierundneunzigsten Jahre schrieb und dann noch fünf Jahre lebte. Auch sein Lehrer, der Leontiner Gorgias 63, lebte volle hundertundsieben Jahre und ließ nie in seinem Eifer und in seiner Arbeit nach. Als man ihn einmal fragte, warum er so lange am Leben bleiben wolle, erwiderte er: »Ich habe keinen Grund das Alter anzuschuldigen.« 14. Eine vortreffliche und eines gebildeten Mannes würdige Antwort. Denn ihre Fehler und ihre Schuld schieben die Thoren auf das Greisenalter. So machte es der Mann nicht, dessen ich kurz zuvor Erwähnung that, Ennius:
Wie ein muthiges Roß, das, in dem Olympischen Wettkampf
Einst oft siegreich, jetzt ausruht vom Alter geschwächet.
Mit dem Alter eines muthigen und siegreichen Rosses vergleicht er das seinige. Ihr könnt euch auf ihn noch gut besinnen. Denn seit seinem Tode bis zur Wahl der gegenwärtigen Consuln, Titus Flamininus und Manius Acilius 64, sind es einundzwanzig Jahre; jener aber starb unter dem Consulate des Cäpio und Philippus 65, – Letzterer bekleidete dieses Amt zum zweiten Male, – als ich in einem Alter von fünfundsechzig Jahren den Voconischen 66 Gesetzvorschlag mit lauter Stimme und starker Brust empfohlen hatte. In einem Alter von siebzig Jahren – denn so lange lebte Ennius – ertrug er zwei Bürden, welche für die drückendsten gelten, Armut und Alter, so leicht, daß er fast Wohlgefallen daran zu finden schien.
15. Wenn ich die Sache nun in meinem Geiste überlege, so finde ich vier Gründe, weßhalb das Greisenalter unglücklich erscheint:
erstlich, weil es von Verrichtung der Geschäfte abruft;
zweitens, weil es den Körper schwächer macht;
drittens, weil es fast aller Vergnügungen beraubt;
viertens, weil es nicht mehr weit vom Tode entfernt ist.
Wie richtig und wie gerecht ein jeder dieser Gründe sei, wollen wir nun, wenn es beliebt, sehen.
VI.
Von Verrichtung der Geschäfte zieht das Greisenalter ab. Von welchen? Etwa von denen, welche in der Jugend und mit Leibeskräften verrichtet werden? Gibt es nun keine Geschäfte für den Greis, welche selbst bei schwachem Körper doch mit dem Geiste besorgt werden können? Nichts that also Quintus Maximus 67? nichts Lucius Paullus 68, dein Vater, der Schwiegervater meines trefflichen Sohnes? Die anderen Greise, ein Fabricius 69, ein Curius 70, ein Coruncanius 71, thaten sie Nichts, wenn sie den Staat durch ihren Rath und ihren Einfluß vertheidigten?
16. Bei Appius Claudius 72 kam zu dem Greisenalter auch noch die Blindheit; und dennoch war er es, der, als die Meinung des Senates sich zum Abschlusse des Friedens und Bündnisses mit Pyrrhus hinneigte, kein Bedenken trug die Worte zu sagen, welche Ennius in folgende Verse gebracht hat:
Wohin hat sich eure Gesinnung so sinnlos gewendet,
Die vordem beständig sich aufrecht zu halten vermochte?
Und so das Folgende in den nachdrücklichsten Worten. Das Gedicht ist euch ja bekannt; doch auch die Rede des Appius selbst ist noch vorhanden. Und dieß that er siebzehn Jahre nach seinem zweiten Consulate, nachdem zwischen beiden Consulaten zehn Jahre verflossen waren, und er vor seinem ersten Consulate Censor gewesen war. Hieraus erhellt, daß er im Kriege des Pyrrhus recht bejahrt war; gleichwol haben uns dieses unsere Väter von ihm berichtet.
17. Man sagt also damit Nichts, wenn man behauptet, das Greisenalter befasse sich nicht mit Verrichtung von Geschäften, und die Sache verhält sich ähnlich, wie wenn man behaupten wollte, der Steuermann thue bei der Schiffahrt Nichts, weil, während Andere auf die Mastbäume stiegen, Andere in den Gängen umherliefen, Andere das Grundwasser ausschöpften, jener, das Steuer haltend, ruhig auf dem Schiffshintertheile sitze. Freilich thut er nicht das, was die jungen Leute thun; aber wahrlich ungleich Wichtigeres und Besseres thut er. 18. Es ist nicht Leibesstärke oder körperliche Behendigkeit und Schnelligkeit, womit man große Dinge ausführt, sondern