Gesammelte Werke von Cicero. Марк Туллий Цицерон. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Марк Туллий Цицерон
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027209569
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Aegypten durchwandert und die persischen Magier aufgesucht? Weshalb hätte er so viele barbarische Länder zu Fuss durchreist und so viele Meere durchschifft? Weshalb hätte auch Demokrit dies gethan? welcher, mag es wahr sein oder nicht, sich sogar des Augenlichts beraubt haben soll, um seinen Geist nicht von seinen Untersuchungen abzuziehen, jedenfalls aber deshalb sein Vermögen vernachlässigte, seine Felder nicht bestellte und dabei nur nach dem glücklichen Leben forschte? Wenngleich er dasselbe in der Erkenntniss zu finden meinte, so wollte er doch durch diese Erforschung der Natur es erreichen, guten Muths zu sein. Denn er nennt das höchste Gut euthymian und oft auch athambian, d.h. eine von Furcht freie Seele. (§ 88.) Dies klingt zwar erhaben, aber ist nicht erschöpfend; denn er hat nur Weniges über die Tugend gelehrt und auch das nicht deutlich genug; vielmehr ist dies erst später, und zwar zuerst von Sokrates in dieser Stadt geschehen, und dann ist es an diesem Orte hier fortgeführt worden und man hat nicht gezweifelt, dass auf die Tugend alle Hoffnung zu einem guten und damit auch glücklichen Leben gesetzt werden müsse. Zeno nahm dies von den Unsrigen auf und zwar so, wie man bei den Klagen die Formel zu fassen pflegt, »er that dasselbe, nur auf andere Weise«. Du hast dies eben an ihm gebilligt und allenfalls hat er den Widerspruch vermieden, indem er den Dingen andere Namen gab, während wir demselben nicht entgehen. Zeno leugnet, dass des Metellus Leben glücklicher als das des Regulus gewesen, indess sei es doch vorzüglicher gewesen; es sei nicht mehr zu begehren, aber mehr anzunehmen; und wenn man die Wahl habe, sei das Leben des Metellus zu wählen und das des Regulus abzulehnen. Ich nenne das, was er vorzüglicher und mehr zu wählen nennt, das Glücklichere, ohne im Geringsten diesem Leben mehr als die Stoiker zuzusprechen. (§ 89.) Der ganze Unterschied ist nur, dass ich die gewohnten Dinge mit den gewohnten Worten bezeichne, während Jene neue Worte wählen, um dasselbe zu sagen. So wie im Senate immer Einer ist, der einen Dolmetscher braucht, so kann man auch Jene ohne Dolmetscher nicht anhören. Ich nenne alles Naturgemässe ein Gut und das Entgegengesetzte ein Uebel; und nicht ich allein, sondern auch Du, Chrysipp, thust es auf dem Markte und zu Hause; nur in dem Hörsaale thust Du es nicht. Aber wozu? Meinst Du, die Philosophen müssten anders sprechen, wie die übrigen Menschen? Ueber den Werth der Dinge mögen die Gelehrten und Ungelehrten verschieden denken, aber wenn die Gelehrten über den Werth der Dinge einig geworden sind, so sollten sie, auch wenn sie Menschen sein wollen, in der gebräuchlichen Weise sich ausdrücken. Doch mögen sie nach ihrem Belieben Worte schmieden, wenn nur die Dinge bleiben.

      Kap. XXX. (§ 90.) Ich komme nun zu dem Vorwurf, dass wir uns widersprechen, damit ich nicht immer höre, ich schweife von dem Gegenstande ab. Du setzest den Widerspruch in die Worte, ich glaubte, er läge in der Sache. Wenn es vollständig begriffen ist, wobei die besten Stoiker uns zur Seite stehen, dass die Kraft der Tugend so gross ist, dass Alles daneben nicht einmal sichtbar werde; wenn ich Alles, was Jene wenigstens für Vortheile erklären, und was zu nehmen, zu wählen und vorgezogen sein soll; Dinge, die sie so definiren, dass sie sehr hoch zu schätzen seien; wenn ich also diese Dinge, welche die Stoiker mit so viel Namen belegen, die theils neu und ausgesonnen sind, wie jenes »Vorgezogene« und »Abgewiesene«, theils gleichbedeutend sind; denn welcher Unterschied ist zwischen Begehren und Wählen? Mir scheint wenigstens der Ausdruck, dass man wählt und eine Auswahl statthat, noch der bessere zu sein; wenn ich also Alles dies Güter nenne, so kommt es nur darauf an, für wie gross ich sie halte; und wenn ich sie begehrenswerth nenne, wie sehr sie es sein sollen. Wenn ich aber sie nicht für begehrenswerther erkläre, als Du, indem Du sie für mehr zu wählen erklärst und ich das, was ich Güter nenne, nicht höher im Werthe stelle, als Der, der sie »Vorgezogene« nennt, so muss dies Alles verdunkelt und unerkennbar gemacht werden und in den Strahlen der Tugend wie in denen der Sonne verschwinden. (§ 91.) Aber, sagt man, ein Leben, was ein Uebel enthält, kann nicht glücklich sein. Also kann auch ein Kornfeld mit seinen dichten und gefüllten Aehren nicht gesegnet sein, wenn einige wilde Haferstauden sich darin finden, und ein Handel kann nicht gewinnbringend genannt werden, wenn neben den grössten Gewinnen ein kleiner Schaden mit untergelaufen ist. Oder gilt dies zwar überall, nur nicht beim Leben? Wird nicht nach seinem grössten Theile das Ganze beurtheilt? und kann man zweifeln, dass die Tugend in den menschlichen Angelegenheiten so sehr die grösste Stelle einnimmt, dass sie das Uebrige verdunkelt? Deshalb wage ich es, auch das übrige Naturgemässe Güter zu nennen; ich mag es nicht um seinen alten Namen bringen und will keinen neuen ersinnen, aber die Pracht der Tugend werde ich gleichsam in die andere Schale der Wage legen. (§ 92.) Glaube mir, diese Schale würde Erde und Meer herabdrücken. Jede Sache wird nach dem benannt, was sie am meisten enthält und sich am weitesten erstreckt. Gesetzt, es lebe Jemand vergnügt, ist da, weil er einmal traurig gewesen, das vergnügte Leben verloren? Ist dies doch bei dem M. Crassus nicht geschehen; obgleich er, wie Lucilius sagt, nur einmal in seinem Leben gelacht haben soll, so ist er doch, wie derselbe berichtet, deshalb nicht minder agelastos genannt worden. Den Polykrates aus Samos nannte man glücklich; Alles war ihm nach Willen gegangen, nur der Ring, an dem er sich erfreute, war in das Meer gefallen; also wäre dieser wegen dieses einen Unfalls ein Unglücklicher und dann wieder ein Glücklicher gewesen, als derselbe Ring in den Eingeweiden eines Fisches wiedergefunden wurde? Dieser Mann war also, wenn er kein Weiser war, was sicherlich nicht der Fall war, da er ein Tyrann war, niemals glücklich; und war er ein Weiser, so war er auch dann nicht unglücklich, als er von Orötes, dem Feldherrn des Darius, an das Kreuz geschlagen wurde. Aber er war doch von schweren Uebeln betroffen! – Wer leugnet dies? aber diese Uebel wurden durch die Grösse der Tugend erdrückt. –

      Kap. XXXI. (§ 93.) Willst Du den Peripatetikern nicht einmal gestatten, dass sie sagen, das Leben aller guten, d.h. der weisen und mit allen Tugenden geschmückten Menschen habe in all seinen Theilen immer mehr des Guten als des Ueblen? – Wer sagt dies? – Doch wohl die Stoiker. – Keineswegs, sondern gerade Die, welche Alles nach der Lust und dem Schmerz bemessen; verkünden sie nicht, dass der Weise immer mehr von dem habe, was er wolle, als von dem, was er nicht wolle? – Wenn also schon diese so viel auf die Tugend geben, welche offen bekennen, dass sie um der Tugend willen, wenn sie keine Lust gewährte, keine Hand rühren werden, was sollen wir da thun, die den kleinsten Vorzug der Seele allen Gütern des Körpers so voranstellen, dass letztere ganz aus dem Gesicht verschwinden? Wer von uns hat es gewagt, von dem Weisen zu behaupten, dass er die ganze Tugend für immer bei Seite weisen würde, wenn es möglich wäre, dadurch von allen Schmerzen sich zu befreien? Wer von uns, die sich nicht scheuen, das, was die Stoiker Beschwernisse nennen, Uebel zu nennen, hat wohl gesagt, dass es besser sei, etwas Schlechtes mit Lust zu vollbringen, als etwas Sittliches mit Schmerzen? (§ 94.) Uns scheint, dass der Herakleotische Dionysius wegen seiner Augenschmerzen in schmählicher Weise von den Stoikern abgefallen ist. Nicht als ob er von Zeno gelernt hätte, dass diese Schmerzen ihn nicht schmerzen könnten; aber wohl hatte er gehört und nur nicht gelernt, dass der Schmerz kein Uebel sei, weil er nichts Unsittliches sei, und dass ein Mann ihn ertragen müsse. Wenn er ein Peripatetiker gewesen, so würde er denselben treu geblieben sein, welche den Schmerz für ein Uebel erklären, aber ebenso wie die Stoiker lehren, dass sein rauher Druck muthig ertragen werden müsse. Auch Dein Arcesilaus gehört zu uns, wenn er auch im Streiten hartnäckig war; denn er war ein Schüler des Polemo. Als er an heftigen Fussgichtschmerzen litt und von Karneades, einem Freund Epikur's, besucht wurde, rief er diesem, als er betrübt wieder fortging, zu: Bleibe, ich bitte Dich; Nichts dringt von dort hierher, und dabei zeigte er auf die Füsse und die Brust. Trotz dem hätte er aber lieber keine Schmerzen gehabt.

      Kap. XXXII. (§ 95.) Das ist also unsere Lehre. Sie scheint Dir widersprechend; denn wenn auch nach ihr wegen der himmlischen und gleichsam göttlichen Vortrefflichkeit der Tugend Elend und Noth da nicht sein kann, wo die Tugend besteht und Grosses und höchst Löbliches durch sie vollführt wird, so kann doch Mühe und Beschwerlichkeit dabei eintreten, und ich trage daher kein Bedenken, alle Weisen für glücklich zu erklären, aber doch so, dass der eine glücklicher als der andere sein kann. – Gleichwohl wirst Du, mein Piso, sagte ich, diesen Satz noch stärker begründen müssen, und sollte Dir dies gelingen, so sollst Du nicht blos meinen Vetter Cicero, sondern auch mich selbst mir abtrünnig machen. – (§ 96.) Hierauf sagte Quintus: Ich für meine Person halte den Satz schon für genügend dargethan und ich freue mich, dass diejenige Philosophie, deren Hausrath ich schon höher schätze, als alle Besitzungen der andern, (so reich schien sie mir, dass ich Alles