45. Viele haben von dir die Aeußerung gehört90 Aus diesen Worten ersieht man deutlich, daß Cicero in diesem Paradoxon vorzüglich den Marcus Licinius Crassus im Sinne gehabt hat. Im J. 60 v. Chr. schloß er mit Cäsar und Pompejus das Triumvirat, und im J. 54 kam er in einem Kriege gegen die Parther um. Er war unermeßlich reich, weßhalb er auch den Beinamen »der Reiche« erhielt, und höchst habsüchtig. Ueber den hier erwähnten Ausspruch vgl. Plutarch. Cicer. 25. Crass. 2. Cicer. Offic I. 8, 25. Plinius N. H. XXXIII. 10, 47., Niemand sei reich, der nicht ein Heer von seinen Einkünften unterhalten könne. Und dieses vermag das Römische Volk bei so großen Staatseinkünften schon lange nur mit Mühe. Also dieses vorausgesetzt, wirst du niemals reich sein, bevor dir von deinen Besitzungen nicht so viel einkommen wird, daß du davon sechs Legionen91 Die Stärke der Legionen war zu verschiedenen Zeiten verschieden. In damaliger Zeit bestand eine Legion etwa aus 4200 Mann Fußvolk und 300 Reitern außer den Hülfstruppen der Bundesgenossen. und viele Hülfstruppen an Reiterei und Fußvolk fortwährend unterhalten kannst. Nun gestehst du also, daß du nicht reich bist, da dir zur Befriedigung deiner Wünsche so Viel mangelt. Und so hast du denn auch diese deine Armut oder vielmehr Dürftigkeit und Bettelhaftigkeit nicht undeutlich zu erkennen gegeben.
II. 46. Denn sowie wir einsehen, daß diejenigen, welche auf anständige Weise durch Handel, durch Verdingung von Arbeitern, durch Uebernahme von Staatspachtungen Gewinn suchen, des Erwerbes bedürfen; so muß, wer sieht, wie in deinem Hause Scharen ebenso von Angeklagten wie von Angebern92 indicum; andere Handschriften haben judicum, alsdann muß accusatorum von accusator abgeleitet werden. vereinigt sind, wie schuldige, aber reiche Angeklagte unter deinem Beistande die Bestechung des Gerichtes versuchen, wie du dir Lohn für Anwaltsdienste ausbedingst93 Nach dem Cincischen Gesetze, das von dem Volkstribun Marcus Cincius Alimentus im J. 205 v. Chr. gegeben war, war es den Anwälten verboten für Rechtsvertheidigungen Geld oder Geschenke anzunehmen (ne quis ob causam orandam pecuniam donumve acciperet). S. Orelli Index Leg. p. 151. Freilich wurde dieses Gesetz oft überschritten., wie du dich in Zusammenkünften von Bewerbern um Staatsämter mit Geldsummen verbürgst94 Nach Lang's Muthmaßung: intercessiones statt der handschriftlichen offenbar verderbten Lesart intercidas, die Halm beibehalten, aber mit dem Zeichen der Verderbniß versehen hat. Plutarch im Leben Cäsar's Kap. 11 erzählt, Crassus habe sich für Cäsar mit 830 Talenten verbürgt, als dieser als Prätor nach Spanien gehen wollte und von seinen Gläubigern zurückgehalten wurde. Auf ähnliche Weise mag dieß von Crassus auch bei Bewerbern um Staatsämter gethan worden sein., wie du Freigelassene aussendest, um Provinzen durch Wucher auszusaugen und zu plündern; wer die Vertreibung der Nachbarn95 Aus ihrem Landbesitze. Vgl. Flor. 3, 14: depulsam agris suis plebem miseratus est (Gracchus) u. Cicer. pro Milon. 27, 74., die Räubereien auf dem Lande, die Verbindungen mit Sklaven, mit Freigelassenen und Schutzbefohlenen, die leerstehenden Besitzungen, die Achtserklärung der Begüterten, die Verwüstungen von Municipien, jene Aernte der Sullanischen Zeit96 Nachdem Lucius Cornelius Sulla seinen Gegner Marius bekämpft hatte, übte er gegen Alle, die der Partei des Marius angehört hatten, die abscheulichsten Grausamkeiten aus, und zwar nicht allein in Rom, sondern in allen Städten Italiens, wo sich Marianer aufhielten. Zu vielen Tausenden wurden sie ermordet oder geächtet und ihre Güter eingezogen. S. Plutarch. Sulla c. 30–33. Crassus, der ein thätiger Anhänger des Sulla war, benutzte diese Zeit, um sich zu bereichern, indem er große Güter der Geächteten und Ermordeten wohlfeil kaufte oder sich schenken ließ. S. Plutarch. Crass. c. 6., die unterschobenen Vermächtnisse, die Ermordung so vieler Menschen sich vergegenwärtigt; wer endlich weiß, wie Alles käuflich war, Wahlen97 dilectum (oder nach anderen Handschriften delectum) erklären die meisten Herausgeber von der Aushebung der Soldaten, die jedoch hier, wo nur von gerichtlichen Dingen die Rede ist, ganz unpassend sein würde. Richtig bezieht es Borgers auf die Zahl der Richter; denn die Macht des Geldes bei Bestechung der Gerichte soll erwähnt werden. Er vergleicht Cicer. Phil. 5, 5: dilectus autem et notatio judicum etiam in nostris civibus haberi solet. Halm billigt in den Anmerkungen die Muthmaßung von P. Manutius und Madvig: edictum, dergleichen plötzliche edicta in dem I. Buche der Verrinen Kap.40 ff. erwähnt würden., Beschlüsse, die Stimme Anderer und die eigene, der Gerichtsplatz, das Haus, das Reden und Schweigen: wer sollte da nicht der Ansicht sein, daß dieser eingestehe, er bedürfe des Erwerbes? Wer aber eines Erwerbes bedarf, wie dürfte ich den je in Wahrheit reich nennen?
47. Nun liegt ferner der vom Reichthume gewährte Genuß in seiner Fülle; die Fülle zeigt sich aber in Hinlänglichkeit und Ueberfluß der Dinge. Weil du nun aber dieses nie erreichst, so besitzest du nie die Fähigkeit reich zu werden. Weil du aber mein Vermögen gering achtest, und mit Recht; – es ist ja nach der Meinung der großen Menge nur mittelmäßig, nach der deinigen gar keines, nach der meinigen das rechte Maß haltend; – so will ich über mich schweigen und nur von der Sache selbst reden.
48. Wenn wir den Werth einer Handlung abwägen und abschätzen sollten, würden wir wol das Gold des Pyrrhus höher schätzen, das er dem Fabricius98 S. zu Cato Kap. 6, §. 15. anbot, oder die Enthaltsamkeit des Fabricius, der dieses Gold zurückwies? das Gold der Samniten oder die Antwort des Manius Curius99 S. Cato Kap. 16, §§. 55 u. 56. u. die Anm. zu Cato Kap. 6, §. 15.? die Hinterlassenschaft des Lucius Paullus oder die Freigebigkeit des Africanus100 S. zu Lälius Kap. 3, §. 11., der von dieser Hinterlassenschaft seinem Bruder Quintus Maximus seinen Antheil überließ?
Wahrlich diese Handlungen, welche aus den höchsten Tugenden entsprangen, muß man höher schätzen als die Vortheile, die das Geld gewährt. Wer also – wenn anders Einer in dem Grade für reicher zu halten ist, als er das besitzt, was den höchsten Werth hat, – dürfte zweifeln, daß in der Tugend der Reichthum bestehe, weil kein Besitz, keine Menge Goldes und Silbers höher als die Tugend zu schätzen ist?
III. 49. O ihr unsterblichen Götter! die Menschen begreifen nicht, welch großes Einkommen die Sparsamkeit sei. Ich komme nämlich jetzt auf die großen Aufwand Machenden und verlasse diesen Gewinnsüchtigen. Jener101 Cicero geht von dem Plurale sumptuosos (die Aufwand Machenden) zu dem Singulare ille (jener) über. gewinnt von seinen Landgütern sechsmalhunderttausend Sestertien102 Zu Cicero's Zeit galt der Sestertius etwa 15 Pfennige; also machen 600,000 Sestertien nach unserem Gelde etwa 30,000 Thaler, und 100,000 Sestertien 5000 Thaler., ich nur hunderttausend von den meinigen; für jenen, der sich vergoldete Zimmerdecken in seinen Landhäusern und marmorne Fußböden machen läßt und Bildsäulen und Gemälde, Hausgeräthe und Kleidungsstücke ohne Maß begehrt, ist jener Ertrag nicht nur zu seinem Aufwande103 Halm liest mit den meisten alten Ausgaben: non modo ad sumptum ille est fructus; die meisten Handschriften haben: non modo ad fructum ille est sumptus; der cod. Vossianus nr. 10: non modo fructus ille ad sumptus; hierauf gestützt liest Moser (s. dessen XII Excurs. p. 365 sqq.): non modo fructus ille est ad sumptus, sed etiam ad fenus exiguus; aber in dieser Lesart ist die Wortstellung höchst störend, nach welcher fructus einen Gegensatz