Gesammelte Werke. Ernst Wichert. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ernst Wichert
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027237517
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nur an den Fremden dachte. Als sich dann aber die Tür öffnete und Niklas den Komtur Georg von Wirsberg hereinzog, da waren's nur drei oder vier Eingeweihte, die nicht von ihren Stühlen aufsprangen und zu den Waffen griffen. Der Komtur – der Komtur – unsere Heimlichkeit ist verraten! ging es von Mund zu Mund.

      Herr Niklas von Renys aber führte, ohne sich durch diesen Empfang irren zu lassen, den Gast bis an den runden Tisch und wies ihm einen Sessel. Auf meine Bürgschaft! sagte er mit scharfer Betonung, indem er einen zuversichtlichen Blick im Kreise herumstreifen ließ.

      Der Komtur setzte sich nicht sogleich, sondern stützte die Hand auf den Tisch und sprach: Mit eurer Vergunst, edle Herren, ich komme als ein Freund und hoffe noch besser so erkannt zu werden. Mir als einem Bruder des Deutschen Hauses ist nicht gestattet, dem Bunde beizutreten, aber wenn ich ein Landesritter wäre, so seid versichert, daß ich längst mein Siegel an euren Brief gehängt hätte. Denn auch mir liegt am meisten Recht und Gerechtigkeit am Herzen und daß niemand vergewaltigt werde. In vielem stimmen unsere Klagen und Beschwerden überein, und deshalb komme ich, euch freiheraus ein Bündnis anzubieten zu Trutz und Schutz. Helft ihr mir, so hoffe ich, euch gesamt wohl helfen zu können.

      Gut gesprochen! rief Hans von Polkau, ihm die Hand schüttelnd. Was springt ihr auf und blickt wie auf ein Gespenst? Das ist ehrlich Fleisch und Blut. Herrscht im Lande Unzufriedenheit über des Ordens Regiment, in den Schlössern gibt's unter denen, die den weißen Mantel und das Kreuz tragen, Männer genug, auf deren Beistand wir rechnen dürfen, wenn's zum Äußersten kommt. Bestätigt mir's, Herr Komtur.

      Es ist wahrlich so, antwortete Wirsberg. Ihr nennt uns die Herrschaft, weil der Orden im Lande gebietet. Aber wir, die wir ihm angehören, sind selbst geknechtet und müssen uns jedem ungerechten Befehl der Machthaber fügen. Selten gilt Verdienst und Würdigkeit, sondern die aus großen Häusern kommen und Briefe mitbringen von der hochgeborenen Vetterschaft, die rücken schnell zu Ämtern und Würden auf, halten hinterher zusammen, nehmen sich den Vorteil und lassen den Kleinen alle Sorge und Mühe. Die Eingeborenen des Landes aber, die nach Fug und Recht den ersten Anspruch haben sollten auf die Ritterschaft Mariens, hält man ängstlich fern von den Häusern, damit kein Verkehr sei zwischen dem Orden und dem Lande, außer von solchen, die herrschen, mit solchen, die dienen. So sind die einander am meisten fremd, die in guter Freundschaft und Eintracht zum gemeinen Besten wirken sollten, und überall herrscht Argwohn, Haß und Neid, daß nun keiner dem andern traut und jeder im geheimen bedenkt, wie er sich der Not entschlage. Große Gewalttat ist geschehen zu Danzig durch des Herrn Hochmeisters Bruder, und er hat ihn nicht gestraft, sondern die Stadt noch tiefer gedemütigt. Darum ist nun ein gerechtes Geschrei in der ganzen Hansa, und wenn es wieder zum Kriege kommt, wird sich's wohl zeigen, daß man unsere Wechsel für schlecht Papier hält, Ritter und Knechte im Lande werden bedrückt mit schweren Kriegsdiensten und ungerechtem Schoß, da sie doch den Frieden wünschen und solcher Gewaltherrschaft abstreben. Deshalb tut's not, daß alle ehrlichen und redlichen Leute zusammenhalten und mit vereinter Kraft dem drohenden Verderben einen Riegel vorschieben.

      Diese Reden gefielen den meisten sehr, besonders da sie aus dem Munde eines Mannes kamen, der selbst zu den Gebietigern des Ordens zählte. Gab er sich so frei und offen, so meinten sie noch weniger ein Versteck nötig zu haben, und so fehlte es denn weder an lautem Beifall noch an Fragen, wie und wozu man helfen könne.

      Der Komtur schob sich bequem im Sessel zurecht, streckte ein Bein über das andere und stützte das Kinn in die rechte Hand. Man muß bei der Spitze anfangen, sagte er, dem Körper ein anderes Haupt aufsetzen, dessen Gedanken unsere Gedanken sind. Den Hochmeister freilich wählt die Brüderschaft. Wenn er aber gewählt und mit dem Ringe geschmückt ist, ernennt er die obersten Gebietiger, die in seinem beständigen Rat sind, und die Komture und die Pfleger und Vögte, versetzt auch die Brüder aus dem einen Hause in das andere, wie es ihm gut dünkt, und führte das weltliche Regiment als ein rechter Landesfürst, der keinem der Untertanen Rechenschaft schuldig ist. Im Haupt also sammelt sich alle Macht. Ist da guter Wille, so mögen die Glieder des Körpers sich wohlfühlen. Regiert aber da oben Eigensinn und böse Laune, so ist niemand im Lande so gering, daß er den Druck nicht übel empfindet. Wenn er nun über sich greift und sich Luft schaffen will, so faßt er einen, der selbst gedrückt wird und unter seiner Last seufzt. Es nützt ihm wenig, daß er in der Nähe mit den Armen um sich schlägt: er trifft nicht den, der das Unheil anrichtet. Rütteln sich aber viele zugleich und werfen das Haupt ab, so ist allen rasch geholfen. Mögen sie dann sorglich verfahren, sich ein anderes Haupt zu verschaffen, das ihren Willen tut.

      Und das ist gefunden! rief Niklas von Renys. Kommt Georg von Wirsberg an die Spitze, so erleben wir noch gute Tage. Was kümmert's uns, ob der Deutsche Orden unter dem römischen Kaiser oder unter dem König von Polen steht oder sein eigener Herr ist! Wir wollen geschützt sein in unserem Eigentum und in unseren Rechten. Der König ist uns sehr gnädig gesinnt. Verdienen wir uns seinen Dank, indem wir vor allem dazu tätig sind, daß ein friedfertiger Hochmeister mit ihm verhandelt. Tritt er das Kulmer Land an Polen ab, mir soll's recht sein!

      Auch mir – auch mir –! stimmt dieser und jener zu. Einige aber verhielten sich jetzt schweigend.

      Wisset auch, fuhr der Komtur fort, daß Heinrich von Plauen einen tiefen Groll hat gegen den Eidechsenbund. Ich hab's aus seinem eigenen Munde, daß er seine Mitglieder insgesamt für Verräter und treulose Wichte achtet. Laßt ihn zu Kräften kommen und mit seinen Feinden außerhalb Landes fertig werden, so ist sein nächstes, daß er euren Brief zerreißt.

      Diese Worte weckten einen wahren Sturm der Entrüstung. Man wollte wissen, wie man so bösen Anschlägen begegne. Ich will mich euch vertrauen, sagte Wirsberg. Drei Ritterkonvente sind auf meiner Seite: alles Gold und Silber, das der Orden für den König von Polen im Lande zusammengebracht hat, liegt unter meiner Obhut im Schlosse zu Rheden. Viertausend Spieße sind unterwegs zu meiner Verfügung. Die Könige von Böhmen und Polen wollen mir wohl. Bin ich des Landes sicher, so zweifle ich nicht an einem schnellen Siege. Noch ist nichts geschehen, das nicht leicht rückgängig gemacht werden könnte. Sagt mir also, wessen ich mich bei euch versehen kann!

      Da hoben sie die Hände und schrien durcheinander: Schlagt los – schlagt los – die Eidechsen werden Euch nicht im Stiche lassen. Es lebe der König, unser gnädigster Herr!

      Hans von der Buche war feuerrot geworden: er fühlte sein Blut in den Adern wallen und kochen. Tagt hier der Bund der Eidechsen? fragte er. Die Lade ist geschlossen.

      Niklas von Renys hob den Kasten, mit beiden Händen in die eisernen Ringe der Beschläge greifend, auf den Tisch und setzte ihn so kräftig nieder, daß die Tischplatte dröhnte. Er riß den Deckel auf und legte die Rolle mit dem Bundesbrief vor sich hin, daneben aber sein Schwert. Die Eidechsen tagen, rief er, unser Freund soll's wissen als ein Wissender.

      Wer ihm seine Hand zu leihen gedenkt, der lege, gleich mir, sein Schwert zu diesem Brief.

      Hört mich an, bat Hans von der Buche und schob die Arme seiner Nachbarn zurück. Ich bin der Jüngste im Bunde, und es steht mir wohl an, zu fragen und zu lernen. Wozu verpflichten wir uns? Ist nicht in diesem Brief die Herrschaft ausgenommen? Und gegen wen wollt ihr das Schwert ergreifen als gegen die Herrschaft? Das ist unserem Eide zuwider und bringt uns Schande!

      Niklas von Renys lachte unbändig auf. Hört den Milchbart! Hier sitzen drei von den Ältesten des Bundes, die seine Stifter waren. Will er klüger und gewitzter sein als sie? Den Brief in Ehren! Aber handelt's sich um eine Sache, von der da die Rede ist? Ward einer von uns angegriffen und ruft er die anderen zum Beistand auf, daß die sich entschuldigen mögen, die Herrschaft sei ausgenommen? Bei der Herrschaft ist Streit, das ward nicht vorgesehen in unserem Briefe. Bei uns steht's, welchem Teil wir beispringen wollen, wenn's zum Kampfe kommt. Und ich hoffe, wir sind auch da gute Gesellen und beschließen einträchtiglich.

      Ja – ja – ja! riefen sie in der Runde und schlugen mit den Schwertern auf die Tischplatte. Es entstand ein wüster Lärm, bei dem keiner mehr sein eigen Wort hörte. Drei und vier zugleich fuhren gegen Hans von der Buche los und suchten ihn zu bedeuten, was der Eidechsen Pflicht sei. Er sah ein, daß er gegen so viele vergeblich ankämpfen und sich durch seinen Widerspruch nur in Gefahr bringen würde, schwieg deshalb oder sagte, er habe nur seine schuldigen Bedenken vorgebracht. Das nahm man