Gesammelte Werke. Ernst Wichert. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ernst Wichert
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027237517
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verdursten. Erbarme dich meiner! Gib mir ein Zeichen deiner Huld und sei frei. Den Mann, dem du deine Liebe schenkst, wirst du nicht verraten!

      Er sank in die Knie nieder und hob flehend die Hände zu ihr auf. Natalia maß ihn mit einem Blick der Verachtung. Steh auf, antwortete sie rauh. Jedes deiner Worte ist mir eine Beleidigung. Ich hasse, ich verabscheue dich. Aus meinen Augen, Jämmerlicher!

      Da erfaßte ein krampfhaftes Zittern seine ganze Gestalt. Von wilder Leidenschaft gepackt, sprang er plötzlich dicht vor ihr auf, umfaßte sie, riß sie an sich und suchte mit seinen brennenden Lippen ihre Wange und ihren Mund. Mit allen Kräften wehrte sie ihn von sich ab, aber er war der Stärkere. Um Hilfe zu rufen, war vergebens. Schon mußte sie seine heißen Küsse leiden. Da machte sie eine letzte gewaltsame Anstrengung. Sich rasch wendend, bekam sie ein wenig Luft, griff mit der Hand zwischen den Gürtel nach der Waffe und stieß sie einen Augenblick darauf gegen seine Brust. Mit einem Aufschrei ließ er ab von ihr, taumelte und sank rücklings zu Boden. Aus seinem Wams drang ein Strom roten Blutes.

      Er griff mit der Hand nach der Stelle, wo er getroffen war. Schlange – Schlange – stöhnte er, und dann: Verruchte Hexe – womit hast du mir's angetan? Ah – das ist – mein Tod!

      Natalia stand noch eine Sekunde lang wie zu neuem Angriff gerüstet. Die Hand mit dem kleinen Dolche hatte sich bis zur Brusthöhe gehoben, die Spitze von sich abgekehrt. Sie atmete hastig; die Lippen waren von den festverbissenen Zähnen zurückgezogen, die Augen sprühten Blitze gegen das Opfer ihres Zorns. Als sie sah, daß er sich vom Boden nicht erhob, ließ die Anspannung nach. Die Hand, die den Dolch hielt, fing ein wenig an zu zittern; langsam sank sie hinab bis zum Gürtel, hinter dem dann die Waffe verschwand. Hast du deinen Teil, Unhold? murmelte sie. Beklage dich nicht. Ich riet dir, mich in Frieden ziehen zu lassen. Ohne sich um den ganz Hilflosen weiter zu kümmern, nahm sie eilig einen der langen weißen Rittermäntel auf, die in Packen auf den Holzgestellen an der Wand lagen, und warf ihn um die Schultern. Auf den Kopf setzte sie das dazu gehörige weiße Barett mit dem schwarzen Kreuz, es tief über die Stirn drückend. So schritt sie der Tür zu.

      Der Komtur machte Anstrengungen, sich aufzurichten, ihre Flucht zu hindern. Aber der Schmerz warf ihn wieder zu Boden. Er versuchte zu schreien, brachte aber nur einen röchelnden Ton hervor. Natalia schlüpfte aus der Tür und schloß sie gleich wieder. Dann ihre ganze Willensstärke zusammennehmend, schritt sie langsam und hochaufgerichtet den oberen Hallengang entlang, die Treppe hinab und durch das Portal auf die Außenmauer zu, in der sich zwischen zwei Wachttürmen das Tor befand. Es war inzwischen so dunkel geworden, daß man auf einige Entfernung die Gegenstände nicht genau zu erkennen vermochte. Die Wächter ließen sich täuschen. Sie waren an nächtliche Ausgänge der Kreuzherren gewöhnt. Ohne den Befehl abzuwarten, öffneten sie das Pförtchen und ließen die Fallbrücke hinab. Wenige Minuten später war Natalia jenseit des Grabens und in Sicherheit.

      Sie setzte den Weg in ihrer Verkleidung noch eine Strecke fort. Erst als sie die Stadt hinter sich hatte und in ein Wäldchen eintrat, warf sie Mantel und Mütze in die Büsche und eilte nun in rascherem Schritt in der Richtung auf Buchwalde zu.

      In der Nacht kam sie dort an, von den Hofhunden wütend angefallen, aber bald erkannt und dann mit frohem Gebell bis zum Tor des alten Hauses begleitet. Sie wußte, daß Hans dort seine Schlafstelle hatte, klopfte an seine Tür und trat ein, ohne seine Aufforderung abzuwarten.

      Hans hatte sich nach Entfernung des letzten Gastes auf sein Lager geworfen. Der Schlaf aber wollte nicht kommen. Sein Gewissen war schwer beunruhigt durch die Beschlüsse des Eidechsenbundes, denen er zwar nicht zugestimmt hatte, an die man ihn aber sicher gebunden hielt. Er erinnerte sich wieder der Warnungen des Schwetzer Komturs. Worauf anders dachten die Genossen als auf den schimpflichsten Landesverrat? Und einen wie tiefen Blick hatte er in die innersten Verhältnisse der Ordensbrüderschaft selbst getan! Dieser Komtur, der mit den Feinden gemeinsame Sache machte, das Vertrauen seines Meisters so schnöde mißbrauchte, den Landesschoß unterschlug, Söldner ins Land zog, um sie gegen des Ordens Haupthaus zu führen, seine Burg den Polenfreunden übergeben wollte! Der Kopf wirbelte ihm. Nie hätte er solche Niedertracht auch nur für denkbar gehalten. Und sollte er dazu schweigen? Dieser Hochmeister, den er verehrte wie keinen anderen Mann, war in Gefahr, seine Herrschaft zu verlieren, und er sollte ihn nicht einmal warnen? Aber sein Eid! Freilich galt er nur den Verpflichtungen, die der Bundesbrief auferlegte, die von solcher Verräterei nichts wußten. Aber war's nicht auch Verrat der Bundesgenossen, wenn er ihre Heimlichkeiten anzeigte? Hätte es nur ein Mittel gegeben, ihre finsteren Pläne zu durchkreuzen, ohne ihre Personen zu gefährden.

      Nun fuhr er vom Lager auf und rief erschreckt: Wer ist da?

      Ich bin's – Natalia, antwortete sie, die Hand auf seine Schulter legend.

      Du, Kind – und so spät in der Nacht? Was willst du?

      Ich habe Grund, dich zu wecken.

      Du weckst mich nicht. Vergebens bin ich bemüht, einzuschlafen – schwere Sorge hält mich wach. Aber was hast du?

      War der Komtur im Buchenwalde?

      Niklas von Renys hat ihn bei den Eidechsen eingeführt. Was da beraten ist –

      Und woher kam er?

      Das weiß ich nicht.

      Ich aber weiß es und will dir's sagen. Er hat dort einen Mörder gedungen für den Hochmeister.

      Natalia! Der Komtur von Rheden hat –

      Einen Mörder gedungen für den Hochmeister. Ich bin nicht verstört: ich berichte, was ich mit eigenen Ohren vernommen habe. Sie erzählte, was ihr begegnet war im Walde und im Schloß. Nur von Heinrichs Brief sagte sie nichts. Und nun tu, was dir gut scheint, schloß sie. Es ist möglich, daß ich den Komtur nicht tödlich getroffen habe – der Arm konnte sich nicht frei bewegen. Dann wird er auf Rache sinnen, vielleicht auch dich verfolgen, weil er dich fürchtet wegen des Schimpfes, den er deiner Schwester angetan hat. Sei auf der Hut! Ich kam in der Nacht, dich von dem Geschehenen in Kenntnis zu sehen, weil ich noch vor Morgen fort muß.

      Er griff hastig nach ihrer Hand. Wohin, Natalia?

      Das muß mein Geheimnis bleiben. Mein Weg ist nicht gar weit, und doch weiß ich nicht, ob ich jemals zurückkehre.

      Schwester –!

      Frage nicht, ich kann dir nichts weiter sagen. Vielleicht – vielleicht wird noch alles gut. Du weißt, ich habe nun einmal meinen eigenen Sinn – da redet niemand mit Erfolg ab noch zu. Sollten wir einander nicht wiedersehen, Hans –

      Ich lasse dich nicht fort, Natalia. Was für Tollheiten spuken dir durch den Kopf?

      Willst du mich morgen im Brunnen unter der Linde finden? Wer will mich halten, wenn ich gehen will? Lebe wohl und grüße die Mutter. Noch eine Bitte hätte ich freilich –. Mein Pferd ist im Walde gefallen – ich brauche ein ander Pferd. Gib mir's aus deinem Stall; ich will sehen, daß ich dir's zurückschicke, wenn ich's nicht mehr reiten kann.

      Wähle, welches dir gefällt.

      Und noch eins: mein Erbteil ist noch in deiner Hand. Ich weiß, daß du mich jetzt nicht befriedigen kannst. Aber schieße mir eine Summe vor – so viel du allenfalls entbehren kannst. Ich brauche Reisegeld.

      Hans bückte sich und zog einen Kasten unter dem Bett vor, der dicht mit Eisen beschlagen und mit einem Schloß wohl verwahrt war. Er öffnete ihn, griff mit der Hand hinein und zog einen halbgefüllten ledernen Beutel heraus. Reitest

      du nach der Marienburg? fragte er indessen.

      Nein, antwortete sie ohne Bedenken.

      Laß uns teilen, sagte er nach einer Weile. Auch ich brauche Reisegeld. Wir haben dazu kein Licht nötig. In diesem Beutel sind ungarische Gulden. Ich schütte sie auf die Decke. Und nun halte deine Hand hin: der erste für dich, der zweite für mich und so fort.

      Zwanzigmal legte er die Goldstücke hierhin und dorthin. Darauf schloß sie die Hand und sagte: Es ist genug. Sie bückte sich und küßte seine Stirn. Dann verließ sie eilig das Gemach.

      Hans war nun mit sich einig, was er zu tun hatte. An