Gesammelte Werke. Ernst Wichert. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ernst Wichert
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027237517
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sie wieder zu sich kam, hörte sie in der Nähe Männerstimmen. Sie richtete den schweren Kopf ein wenig auf und versuchte unter den tiefen Ästen der jungen Bäume hinweg ins Freie zu blicken. Drei Männer gingen an dem Eichenkamp vorüber und blieben von Zeit zu Zeit im Gespräch stehen. Der eine war der Waldmeister – sie hatte ihn schon an der Stimme erkannt; der andere dicht neben ihm – kein Zweifel, es war Georg von Wirsberg, der Komtur. Einige Schritte hinter ihnen ging noch ein dritter. Sie erinnerte sich, ihn am Tage zuvor auf dem Wege nach dem Walde zu Pferde angetroffen zu haben. Er hatte sie in gebrochenem Deutsch nach dem Waldhause gefragt.

      Ihr seid des Hochmeisters Todfeind, sagte der Komtur, das ist mir genug. Nach der Ursache frage ich nicht. Was geht mich's an, aus welchem Grunde Ihr ihm das Leben nicht gönnt und ob Ihr ein gutes Recht habt, ihn zu hassen oder nicht. Zwei Männer können leicht entgegengesetzte Wege gehen und doch auf dasselbe Ziel lossteuern. Ich habe wenig gegen des Hochmeisters Person, aber wo er steht, darf er nicht länger stehen. Deshalb bin ich sein Feind und suche Bündnis mit seinen Feinden. Wollt Ihr mir Euren Arm leihen, Waldmeister?

      Ihr habt Euch die rechte Zeit ausgesucht. Herr Komtur, knurrte Gundrat. Vor ein paar Stunden ist mir wieder alles frisch ins Gedächtnis gekommen, und mein Herz ist voll Grimm. Hätte damals mein Bolzen seine Stirn getroffen, ich hätte meinen Frieden gehabt. Und ob sie mich mit glühenden Zangen gezwackt und aufs Rad geflochten hätten, bereut hätt' ich's nicht! Da aber meine Hand zitterte und der Schuß fehlging, da mußte ich wohl glauben, daß ihn der Teufel noch ein Stück Weges forttraben lassen wolle. Ich hab' ihn nicht aufgesucht. Läuft er mir aber noch einmal vorüber, so werde ich ihn besser treffen.

      Und warum habt Ihr ihn nicht aufgesucht? fragte der Komtur. Läßt sich ein Mann, der seine Rache haben will, durch ein zufälliges Fehlschlagen abschrecken? Lange könnt Ihr warten, bis in diesem Walde der Hochmeister wieder einmal jagt. Mich dünkt, solange er noch einen Rest von Verstand hat, wird er ihn meiden. Was soll also das Zögern? Steht Ihr so mit ihm, daß er Euch in der Welt im Wege ist, warum es darauf ankommen lassen, ob er Euch auf den Fuß tritt? Fort mit ihm – und je eher je lieber.

      Gundrat maß ihn mit einem scheuen Blick. Ihr ratet mir –

      Was raten! Braucht Ihr Rat? Ich sage nur, was ich in Eurer Stelle täte. Plauen hält jetzt in der Marienburg Hof. Er ist jedermann zugänglich. Leicht könnt Ihr bis auf drei Schritte in seine Nähe kommen. Ich will Euch mit irgendeinem Auftrag zu ihm senden. Seht Ihr ihn dann von Angesicht, so zweifle ich nicht, daß Ihr wissen werdet, was ein Mann zu tun hat.

      Der Waldmeister ballte die Faust und drohte in die Luft. Ich will ihn niederschießen wie einen Spatz, rief er, und sie mögen mich dann auf der Stelle hängen.

      Sie werden Euch nicht auf der Stelle hängen, erwiderte der Komtur lächelnd, dafür laßt mich sorgen. Aber mit dem Niederschießen ist's nichts, Waldmeister. Man läßt niemand ein mit einer Armbrust auf der Schulter. Ihr müßtet einen scharfen Dolch unter dem Wams verborgen halten und Euch auf ihn werfen, wenn er den Brief liest, den ich Euch für ihn mitgebe. Noch besser aber wär's, Ihr paßtet die Zeit ab, wo man ihm den Frühtrunk bringt, und schüttet ihm, wenn er beschäftigt ist, ein Pulver in den Wein –

      Pfui! Gift und Dolch! rief Gundrat unwillig. Das ist gut für Weiber und Räubergesindel. Ich bin ein Weidmann, und was ich tue, soll eines Weidmanns Tun sein. Läßt man mich nicht mit Waffen zu ihm ein, so hindert mich nichts, ihn draußen am Tor zu erwarten. Fünfzig Schritt mögen zwischen uns bleiben, und ich treffe ihn doch, wenn nicht ein Engel vor ihn hintritt und ihn deckt.

      Besser wär's, Ihr wähltet das Sichere, meinte der Komtur. Aber ich kann Euch nicht Vorschriften machen. Nur tut bald, was Ihr zu tun gedenkt, damit unsere Pläne gut zusammenlaufen. In kurzem geht der Hochmeister wieder auf Reisen – dann hättet Ihr weite Wege. Ich will's in Obacht nehmen, sagte Gundrat zögernd. Was geht Ihr mich an? Tu ich's, so tu ich's meinetwegen.

      Aber vergeßt nicht, zischelte Wirsberg, daß ich Gewalt über Euch habe. Ich kenne jetzt den Schützen, der auf des Hochmeisters Haupt angelegt hat, und den Zeugen. Ein Wort und –

      Der Alte lachte laut auf. Und habe ich weniger Gewalt über Euch? Ich denke, es ist nicht für jedermanns Ohr, was Ihr mich heut habt hören lassen. Und wer weiß, wem von uns beiden das Leben lieber ist!

      Der Komtur wurde bleich und blickte nach dem Polen um, der in einiger Entfernung stand und nur die Hunde des Waldmeisters zu beobachten schien, die im Gebüsch herumschnupperten. Es fragt sich nur, wem von uns man Glauben schenken würde, sagte er leise. Aber was bedarf's unter uns solcher Drohungen? Wir wissen, was wir wollen.

      Im nächsten Augenblick schlug einer von den Hunden des Waldmeisters grimmig an. Er hatte das gefallene Pferd gefunden und wollte sich durch Natalias Winke und Zeichen nicht beschwichtigen lassen. Liszek spürte nach, und Gundrat wurde aufmerksam. Was gibt's da? fragte der Komtur.

      Wir werden's sogleich erfahren, antwortete der Alte. Er rief dem Hunde zu, der nun aber noch wütender bellte. So bog er denn mit den Armen die Zweige voneinander und bahnte sich einen Weg in das Eichengestrüpp. Bald war er zur Stelle. Ihr hier, Fräulein, rief er verwundert, und in solchem Zustande? Was ist Euch widerfahren?

      Mit dem Pferde gestürzt, sagte Natalia: helft mir den Fuß unter dem schweren Körper hervorziehen. Ich fürchte, er ist gebrochen.

      Hierher! rief der Waldmeister, indem er sogleich kräftig Hand anlegte. Liszek war schon an seiner Seite. Die beiden Männer knieten zu beiden Seiten des Mädchens auf den Boden nieder, stemmten die Schultern gegen den Rücken des Tieres und hoben an. Nun zieht das Bein zurück, riet der Alte, wenn es auch schmerzt. Wir können die Last nicht von der Stelle bewegen.

      Natalia griff hinter sich in die Äste, um einen Halt zu gewinnen, und schob sich mit Anwendung aller Kraft über den Boden hin. Der Fuß schleifte wie ein totes Glied nach. Sie richtete sich, gestützt von dem Polen, ein wenig auf und rieb ihn mit den Händen. Er hat auf weichem Moos gelegen und wird hoffentlich unversehrt sein, meinte Gundrat. Laßt nur erst wieder das warme Blut durch die Adern fließen, so werdet Ihr ihn rühren können.

      Nun trat auch der Komtur heran. Er war nicht wenig überrascht, das Fräulein hier zu finden, bedauerte den Unfall mit zierlichen Worten und überlegte zugleich, was weiter zu tun sei. Hatte Natalia etwas von seinem Gespräch mit dem Waldmeister gehört? Wie versicherte man sich ihres Schweigens? Hier im Walde konnte sie nicht bleiben. Der Versuch, aufzustehen und einige Schritte, auf den Alten gestützt, zu gehen, mißlang. Man konnte sie nach dem Waldhause tragen. Aber was dann? Sie selbst schien kaum einen eigenen Willen zu haben, gab auf alle Fragen keine Antwort und rieb nur, vornübergebückt auf einem Steine sitzend, den Fuß. Fühlt Ihr Euch kräftig genug zum Reiten? erkundigte sich der Komtur, gern würde ich Euch mein Pferd abtreten.

      Dieser Vorschlag mußte ihr wohl der Beachtung wert erscheinen. Sie wandte den Kopf und antwortete: Ich nehm's an. Laßt das Pferd hierher bringen. Der Komtur schickte Liszek nach der nahen Waldhütte. Es verging keine Viertelstunde, bis er mit den beiden Pferden zurückkam, die dort angebunden waren.

      Wirsberg wollte ihr in den Sattel helfen, aber sie lehnte seinen Beistand ab und ließ sich von dem Waldmeister aufs Pferd heben. Der Kopf war ihr schwer von dem Fall gegen den Stein, und sie mußte eine Weile die Augen schließen und sich an den Mähnenhaaren festhalten, weil sie ein Schwindel befiel. Der Fuß schmerzte heftig, war aber nicht gebrochen und schon ein wenig beweglich. Der Komtur bestieg das zweite Pferd und befahl Liszek, zu Fuß zu folgen. Es wäre mir lieber, Ihr ließet mich allein, sagte Natalia. Ich kann nur im Schritt reiten, und Ihr habt vermutlich Eile.

      Das könnte ich im ganzen Leben nicht verantworten, entgegnete er galant, Euch in solchem Zustande ohne Begleitung zu lassen. Gestattet, daß mein Diener durch den Wald Euer Pferd am Zügel führe.

      Er gab Liszek einen Wink, und dieser faßte sofort die Riemen unter der Kinnkette zusammen und schritt voran. Langsam ging's nun weiter dem Ausgange des Waldes zu. Der Komtur, der gern gewußt hätte, ob sie etwas von seinen Anschlägen erfahren habe, sprach davon, daß er ein leidenschaftlicher Jäger sei und bei dem Waldmeister habe anfragen wollen, wie der Wildbestand am Melno-See beschaffen sei, um nächstens dort sein Glück zu versuchen.