Gesammelte Werke. Ernst Wichert. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ernst Wichert
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027237517
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einzulenken, um Strafe abzuwenden. Der Brief wurde am Schloßtor abgegeben. Es war am Ostersonntag.

      Nun fertigte der Komtur einen Boten an seinen Bruder ab. Er schrieb ihm, um welcher merklichen Ursachen willen er die beiden Bürgermeister und den Ratsherrn Groß gefangengenommen und gerichtet habe, daß also der Befehl zu spät komme. Er fügte eine Schrift bei, die sich in Letzkaus Wams gefunden hatte, um die Gefährlichkeit seiner Gesinnung darzutun. Es war das Schreiben, das Letzkau am Palmsonntag für den Hochmeister zu ganz anderem Zweck aufgesetzt hatte. An zwei Stellen war es von Dolchstichen durchlöchert, und neben der Unterschrift zeigte sich eine Blutspur.

      In der Nacht aber ließ er die Leichen aus der Vorburg fortschaffen und vor das Schloßtor hinaustragen. Dort wurden sie an der Brücke niedergelegt.

      Am Morgen kam wie gewöhnlich Frau Anna mit ihren Mägden, Speise und Trank zu bringen und zu erkunden, was auf des Herrn Hochmeisters Brief geschehen sei. Als sie sich der Brücke näherte, sah sie schon von fern die drei hingestreckten Körper und beschleunigte, von böser Ahnung geängstigt, ihren Schritt. Bald erkannte sie ihres Mannes Kleid, das man über den nackten Leib geworfen hatte, und kreischte auf, stürzte nach dem Schreckensort hin und warf sich laut jammernd über den Toten. Die Mägde aber ließen vor Entsetzen zur Erde fallen, was sie in den Händen trugen, schrien »Mord – Mord!« und eilten nach der Stadt zurück, auch dort die Straßen mit ihrem Geschrei erfüllend: Mord – Mord – Mord!

      Die Bürger kamen gerade aus der Kirche von der Frühmesse des Ostermontags. Die Nachricht schlug unter sie wie ein Blitz, im ersten Augenblick ihre Zunge lähmend. Sie blieben in Gruppen stehen und warteten auf Bestätigung. Indessen hatten einige vom Rat die Mägde ausgefragt, und nun lief von Mund zu Mund: Konrad Letzkau ist ermordet – Arnold Hecht ist ermordet – Barthel Groß ist ermordet – der Komtur hat sie im Schloß ermordet! Mit bleichen Gesichtern und zitternden Knien drängten sie nach dem Haustor und gegen die Schloßbrücke. Jeder wollte mit eigenen Augen sehen, was ihm nicht glaublich schien.

      Schon von weitem vernahmen sie das Jammergeschrei der unglücklichen Frau. Sie kniete am Boden zwischen den Leichen ihres Vaters und ihres Mannes, rang die Hände und ballte die Fäuste gegen das Schloß. Ihr langes Haar hatte sich aufgelöst und flatterte im Winde wild um ihre Schultern. Das Gewand war über der Brust aufgerissen, von ihrer Stirn tropfte Blut, da sie sich in ihrem grimmen Schmerz selbst mit den Nägeln verletzt hatte. Tot – tot! schrie sie. Seht her – seht! Sie sind ermordet. Vater – Vater! Geliebter Mann! Tot, tot – ermordet! Seht ihre Wunden – ihre zerstückelten Leiber. Fluch dir, Mörder! Fluch dem schwarzen Kreuz in Ewigkeit! Was steht ihr zitternd? So lange habt ihr gezögert – so lange! Greift zu den Waffen – sprengt das Tor – stürmt das Schloß – laßt keinen am Leben! Rache – blutige Rache für diese Schandtat!

      Aber die Masse stand um sie her wie gelähmt. So Furchtbares war geschehen, daß man's gar nicht fassen und begreifen konnte. Vieler bemächtigte sich die Angst, daß dies nur der Anfang des Blutbades sei, das vom Komtur über die Bürgerschaft verhängt worden. Es verbreitete sich das Gerücht, daß ein Ausfall der Besatzung vorbereitet werde, und daß der Komtur die wehrlosen Bürger, die er zu diesem Schauspiel hinausgelockt, überfallen und niedermetzeln wolle. Die meisten eilten deshalb zurück zur Stadt, ließen die Tore schließen und verrammeln, wehklagten in ihren Häusern oder auf dem Markt vor dem Rathause. Die Glocken wurden geläutet. Es war eine unbeschreibliche Verwirrung überall.

      Die Mutigeren aber, die bei Frau Anna zurückgeblieben waren, untersuchten die Leichen und zählten die Wunden. Da fanden sie, daß man Konrad Letzkau zehn Wunden in seinen Leib gestochen hatte, Arnold Hecht sechs, Barthel Groß aber gar sechzehn – er mußte am wütendsten um sein Leben gerungen haben; auf seiner Brust war keine unverwundete Stelle zu finden, auf die man die Hand hätte decken können. Allen dreien war die Kehle abgestochen, das war ihr Letztes gewesen.

      Als da noch viel Jammer um die Leichen der teuren Männer war und der Haufe der Leidtragenden wieder anwuchs und Frau Anna nicht aufhörte, sie zur Gewalt gegen das Schloß aufzustacheln und die Ritter gesamt meineidige Schurken nannte, wurde plötzlich die Brücke niedergelassen und das Tor geöffnet. Es erschien in demselben der Komtur von Kopf bis Fuß in eiserner Rüstung, und hinter ihm die Brüder vom Hause, gleichfalls völlig gerüstet, dazu ein Troß von Lanzenknechten und Bogenschützen, so viel deren das Schloß beherbergte. Hintennach wurden die Pferde der Ritter geführt, alle gepanzert, als ginge es zur Feldschlacht. Die Menge wich scheu zurück, und nur wenige blieben bei den Leichen, darunter Heinz von Waldstein, der auf die erste Kunde von der blutigen Tat hinausgeeilt war, Frau Anna Groß beizustehen. Vergebens hatte er versucht, sie zu bewegen, die Toten nach der Kirche zu schaffen.

      Der Komtur trat vor, überschaute die Menge mit einem feindlichen Blick und sagte: Was steht ihr hier müßig und gafft und erfüllt die Luft mit unnützen Klagen. Tragt lieber die Leichen der drei Verräter fort, daß sie uns nicht länger mit ihrem Stank das Schloß verpesten. Wisset, daß wir sie kraft unseres Amtes gerichtet haben, da sie als arge Verräter an ihrer Herrschaft befunden und mit heimlichen Waffen zu uns ins Schloß gekommen sind. Darum haben wir sie des Todes schuldig erkannt und abgetan, damit ihre Tücke und Falschheit uns nicht selbst verderbe. Ihre Güter werden eingezogen werden wegen des Schadens, den sie uns zugefügt haben. So aber soll es allen denen ergehen, die gottlos ihres Eides nicht gedenken und sich der Obrigkeit entgegenstellen, die über sie gesetzt ist. Achtet euch danach!

      Mit tiefem Schweigen wurde diese Rede angehört. Frau Anna rang mit einer Ohnmacht; Heinz von Waldstein stützte sie und lehnte ihr Haupt an seine Schulter. Als der Komtur aber geendet hatte, die Schar aus dem Tore sich in Bewegung setzte und die Harnische rasselten, schreckte sie auf, wand sich los und stürzte mit wütender Gebärde auf den Komtur zu. Du lügst, frecher Bube! schrie sie ihn an. Nie waren diese da Verräter. Nicht gerichtet habt ihr sie, sondern selbst verräterisch gehandelt gegen Gott und alles Recht, und sie heimtückisch ins Schloß gelockt und ermordet. Fluch dir und allen deinen Helfershelfern!

      Da sah der Komtur sie zornig an und fragte: Wer ist das Weib?

      Heinz von Waldstein war ihr nachgeeilt, stellte sich ihr zur Seite und antwortete schnell für sie: Konrad Letzkaus Tochter und jenes Barthel Groß' Eheweib. Schont ihren Schmerz.

      Sie aber fuhr fort, seine Schandtat vor Gott und den Menschen anzuklagen und ihm zu fluchen und Rache zu schreien.

      Der Komtur sprach unwillig: Schweige still, Besessene, und gehe nach Hause. Ihnen ist ihr Recht geschehen. Wärst du ein Mann, wie du ein Weib bist, wollte ich dir tun, wie deinem Vater und Mann ist geschehen. Jetzt bist du vor meinem Zorn sicher.

      Da richtete sie sich hoch auf, warf das lange Haar zurück, streckte drohend die Hand gegen ihn aus und entgegnete mit schriller Stimme: Herr Komtur, ich sage: wär' ich ein Mann, wie ich nur ein Weib bin, und wär' mit dir allein im Felde, ich wollte meinen Vater und meinen Mann an dir rächen mit meiner Hand!

      Schweig still, herrschte der Komtur sie an, der wohl merkte, was ihre Worte für Eindruck auf die Menge und selbst auf seine Genossen machten; schweig still, oder ich will dich säcken und ertränken lassen! Demütige dich lieber und bitte um Gnade, daß man dir nicht alles Erbe nehme.

      Er schreckte sie damit nicht. Tu mit mir, wie dir's gefällt! rief sie. Dies sei Gott geklagt in der Höhe des Himmels, die große Gewalt und Macht, die mir armem Weibe geschieht und meinen Kindern wider Gott und alles Recht. Ich bin geworden vaterlos eine Waise, ich bin geworden mannlos eine Witwe, meine Kinder sind verwaist, ich bin gutlos und rechtlos gemacht ohne alle Schuld und Urteil. Du allmächtiger Gott, laß dich dies erbarmen und richte das große Unrecht, das mir armem Weibe mit meinen armen Kindern geschieht wider alles Recht!

      Sie warf sich ihm in den Weg und erhob flehend die Hände zum Himmel, und ihre Lippen zitterten, da sie keiner Worte mehr mächtig war.

      Der Komtur rief: Schafft sie fort, sie ist unsinnig! Er wollte sie zur Seite stoßen, aber der Junker, der seinen Arm um sie gelegt hatte, wehrte ihm. Was wagt Ihr, schrie Plauen ihn an, und wer seid Ihr?

      Man nennt mich Heinrich von Waldstein, antwortete er. Hütet Euch, daß ich bei Eurem erlauchten Bruder, dem Herrn Hochmeister, gegen Euch zeuge.

      Der