Gesammelte Werke. Ernst Wichert. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ernst Wichert
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027237517
Скачать книгу
wütend angefahren und meineidige Verräter genannt, denen von Rechts wegen der Kopf vor die Füße gelegt werden müsse. Letzkau stieß er mit dem Griffe des Schwertes gegen die Brust, daß er zurücktaumelte. Bei Gott, Herr Komtur, Ihr tut schweres Unrecht! stöhnte der unglückliche Mann.

      Führt sie ins Gefängnis! befahl der Komtur. Tief unten im Wasserturm! Da mögen sie über ihre Schandtaten nachdenken und mit ihren harten Schädeln gegen die Mauern stoßen. Sie werden's wohl aushalten. Wer sich widersetzt, wird in Ketten gelegt!

      So wissen wir, weshalb wir aufs Schloß gerufen sind, rief Hecht, als er hinausgeführt wurde. Vertrauen habt Ihr mit Hinterlist vergolten! Vor Gottes Altar habt Ihr –

      Die Tür wurde zugeschlagen. –

      Sogleich versammelte der Komtur die im Schlosse anwesenden Brüder im Kapitelsaal neben der Kapelle. Rasch war allen bekannt geworden, was sich ereignet hatte; und wie sich's von Mund zu Mund weitersprach, vergrößerte sich das Geschehene. Es hieß, einige von den Bürgern hätten mit versteckten Waffen den Komtur überfallen und töten wollen. Als er nun unter den Brüdern erschien, umringten sie ihn und wünschten ihm Glück zu seiner Lebensrettung. Da er nicht widersprach, erregte sich die Versammlung noch mehr und machte ihrem Unwillen in lauten Schmähreden und Drohungen Luft.

      Der Komtur bedeutete sie, Platz zu nehmen. Was wäre an diesem armen Leibe gelegen? rief er, sich auf die Brust schlagend. Wir alle haben Gott und der Jungfrau Maria unser Leben gelobt, und jeden Augenblick sind wir bereit, es hinzugeben im Kampfe. Nicht ich war in Gefahr, sondern der Orden. Er las ihnen den Brief an den Vogt vor und fuhr fort: Sollen wir abwarten, bis das Haus über uns brennt? Sehen wir, daß die Buben mit der Brandfackel kommen, was sollen wir tun? Sie ruhig gewähren lassen? Des Sinnes bin ich nicht. Es sind zur Zeit viel in unserer Brüderschaft, die da meinen, ein wildes Pferd bändigen zu können mit Streicheln und freundlichem Zureden. Aber es wird den Reiter in den Sand werfen, der nicht den Mut hat, die Zügel straff zu halten und die Sporen einzusetzen. So schlechte Reiter wollen wir nicht sein! Und darum frag' ich euch, was soll geschehen mit diesen, die ein gutes Geschick in unsere Macht gegeben hat, bevor sie noch mehr Böses anrichteten, dazu sie den Willen hatten? Sprecht!

      Darauf wußten die Ritter nicht sogleich zu antworten. Endlich meinte der älteste, man müsse die Sache streng untersuchen.

      Untersuchen! rief der Komtur. Was ist da noch zu untersuchen? Leugnen sie, diesen Brief geschrieben zu haben?

      Sind sie nicht mit Waffen ergriffen? Was wollt ihr untersuchen? Was fragt ihr noch nach ihrer Schuld? Ich sage: sie sind schuldig! Und wer an ihrer Schuld zweifelt, den nenne ich ihren Mitschuldigen.

      Sie sind schuldig – schuldig – schuldig –! bestätigten die Brüder ringsum. Keiner wollte im Eifer zurückbleiben.

      Wir wollen sie in sicherem Gewahrsam halten, fügte der älteste zu, bis der Herr Hochmeister ein Gericht über sie gesetzt hat.

      Der Komtur lachte hellauf. Welches Gericht soll der Herr Hochmeister über sie setzen? Ihr werdet altersschwach, Bruder Firmian, und bedenkt nicht, was Ihr redet. Wir sind das Gericht! Es ist kein Fall, der in den Rechtsbüchern steht. Alle Ordnung des Rechts ruht auf dem Landfrieden. Diese aber haben ihn gebrochen, indem sie mit frecher Hand gegen ihren Herrn schlugen. Sagt ihr, sie sind schuldig, so sind sie gerichtet. Und ich spreche als euer Obmann das Urteil: sie sind des Todes schuldig!

      Da verstummte jeder weitere Einspruch. Die Brüder saßen da mit finstern Gesichtern, und jeder fürchtete sich, in Verdacht zu kommen, daß er aus Bedenklichkeit des Ordens Sache schlecht diene. Aber sie bestätigten auch des Komturs Urteil nicht, sondern ließen ihm alle Verantwortlichkeit. Weil er des Hochmeisters Bruder war, meinten sie, daß er geheime Weisung habe, und daß sie ihn nicht hindern dürften. Als der Komtur nun eine Weile gehorcht hatte, ob jemand zu reden begehre, und alles still blieb, sagte er: Da ihr schweigt, nehme ich euch gesamt als zustimmend, und hob das Kapitel auf.

      Als die Ritter den Saal verließen, war die Sonne eben im Untergehen: ihre letzten Strahlen, vorbrechend aus einem dunklen Gewölk, röteten die weißen Mäntel und Baretts der Männer. Keiner von ihnen warf aus dem Fenster hinaus einen Blick auf die Stadt, deren rotes Gemäuer zu flammen schien.

      In sein Gemach zurückgekehrt, überlegte der Komtur, was nun zu tun. Überlegen ließ sich eigentlich dieses finstere Brüten über einen Entschluß nicht nennen. Seine Gedanken flogen zu gleicher Zeit in die Stadt hinab, zu seinem Bruder, dem Hochmeister, in den Kerker im Wasserturm zu den Gefangenen, in die Zellen der Brüder. Er mühte sich nicht einmal, seiner Unruhe Meister zu werden; die leidenschaftliche Erregtheit, die ihm das Blut in die Stirn trieb, tat ihm wohl. Er wollte sich erzürnen, immer noch mehr erzürnen, um nicht lässig zu werden zur Tat. Kein Bedenken durfte aufkommen. Das muß geschehen – das soll geschehen. Nur das Wie ...

      Sie dürfen das Schloß nicht mehr verlassen – sie müssen sterben! Darüber kam ihm nicht der leiseste Zweifel. Und noch heute – diese Nacht – vor dem nächsten Tage. Was heute nicht geschah, geschah morgen nicht mehr – vielleicht nimmermehr. Der Hochmeister war fern. Tage vergingen, bis ein Brief ihn erreichte, und was ließ sich in einem Briefe sagen? Dann würden wieder Tage vergehen, bis er antwortete. Und was sollte er antworten? Es konnte ihm nicht lieb sein, gefragt zu werden. Inzwischen würden ihn auch die Boten der Stadt erreicht haben. Sie würden über Gewalt schreien, die Schuld in Abrede stellen oder verkleinern. Dann wurde vielleicht der Großkomtur geschickt, ein Verfahren einzuleiten; er selbst war nicht mehr der Richter, sondern der Kläger – er sollte beweisen, verantworten. Die Tat gewann ein ganz anderes Gesicht, je älter sie wurde.

      Schnell zu handeln, ohne langes Besinnen das Notwendige zu tun, war seine Pflicht. Dazu war er als Komtur beamtet, das erwartete man von ihm. Auch wenn er im Eifer zu rasch vorging, konnte niemand ihn schelten. Es war nicht ein Fall, für den es sichere Vorschrift gab, was zu tun, was zu unterlassen. Wie ein Anführer im Kriege mußte er nach Umständen seinen Entschluß fassen und die Zeit zum Handeln nicht nutzlos verstreichen lassen. Der Hochmeister, der ganze Orden würde es ihm danken, wenn er die günstige Gelegenheit benutzte, sie von ihren schlimmsten Feinden mit einem mutigen Schlage zu befreien.

      Und er war auch schon zu weit gegangen. Was er getan hatte, durfte er nur getan haben, wenn darauf sofort die Vollstreckung des Urteils folgte. Sie war seine beste Rechtfertigung. Die Toten konnten durch kein Geschrei auferweckt werden. Was nützten Klagen und Beschwerden, wenn die Entscheidung unwiderruflich war? Und wer konnte zu zweifeln wagen, daß man Verräter zum Tode brachte? Es mußte dem Lande ein Beispiel gegeben werden, das alle Abtrünnigen und Schwankenden zur Besinnung brächte. Floß das Blut dieser wenigen, so wurde ein Kampf verhütet, der leicht Tausenden das Leben kosten konnte.

      Das alles jagte dem Komtur durch den Kopf. Er sonderte es nicht; es bestürmte ihn von allen Seiten zugleich, und immer war der Schluß: sie müssen sterben – müssen – müssen! Er sprang auf, durchschritt ein paarmal das Gemach, öffnete die Tür nach der Galerie und horchte auf den Hof hinaus. Es war alles still. Das Urteil ist gesprochen, murmelte er, und ich weiß auch einen Nachrichter für euch, der nicht erst aus der Stadt bestellt werden darf. Er trat an einen Wandschrank, nahm ein kurzes Schwert und zwei Dolchmesser heraus und verbarg sie unter seinem Mantel. Dann stieg er die Treppe hinab, schritt über den Hof bis zum großen Eckturm und klopfte an. Der Wächter öffnete.

      Führt Marquard Stenebreeker in Euer Gemach, befahl der Komtur, ich habe mit ihm zu reden.

      Es geschah sogleich.

      Nun, Marquard, sprach der Komtur ihn an, behagt's dir jetzt besser in deinem Gefängnis bei Licht und Luft?

      Gnädiger Herr, antwortete der Rotbart, Gefangenschaft ist ein traurig Ding – so oder so. Es muß bald ein Jahr vergangen sein, seit man uns in Banden schlug.

      Ich denke, Ihr werdet Euch daran eine Lehre genommen haben und nicht wieder auf preußische Schiffe Jagd machen.

      Höhnt mich nicht, gnädiger Herr. Was hilft's, daß ich gewitzigt bin, da ich doch in diesem Turm festsitze. Oder seid Ihr's satt, uns zu füttern?

      Dann hätten wir schon längst ein Mittel gehabt, uns solcher Kostgänger zu entledigen. Er strich mit dem Zeigefinger über