Gesammelte Werke. Ernst Wichert. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ernst Wichert
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027237517
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mag. Wo die Menschen zusammenwohnen, muß im Gegenteil ein jeder sich beschränken zu des andern Gunsten, und nur wo

      diese Schranken geschützt werden, ist Ordnung.

      Antwortet besser!

      Die Wortführer der Bürgerschaft schienen wenig Neigung zu haben, noch weiter des Komturs Meinung erraten zu wollen. Es entstand ein peinliches Schweigen. Endlich sagte ein Mann mit weißem Barthaar, der älteste auf der Schöppenbank: Man hat uns gelehrt, gnädiger Herr, daß alle Ordnung in der Liebe sei.

      Der Komtur lachte auf. Im Reiche Gottes allerdings, und wir hoffen, daß es dereinst auch einkehre auf Erden. Bis dahin aber bedarf's eines anderen Zwanges. Auch die einander nicht lieben, müssen sich zueinander fügen.

      Gnädiger Herr, nahm Letzkau unwillig das Wort, wir glaubten, Ihr hättet uns zu anderen Dingen berufen. Sollten wir über so Allgemeines disputieren, so hätten wir leicht einen gelehrten Mann mitbringen können, der uns unterstützte und für uns spräche.

      Gemach, rief Plauen, wir werden schnell genug darauf kommen! Hört erst, wie ich selbst auf meine Frage antworte. Aller Ordnung Grund ist der Gehorsam ! Nicht alle können wir herrschen, stets muß einer sein über vielen. Wer aber eingesetzt ist zum Herrschen, der soll seines Amtes walten stark und vollmächtig, daß jeder sage: er ist ein Herr! Und wer ihm untergeben ist, soll ihm dienen ohne Arglist und böse Ränke, und soll nicht einen anderen Herrn suchen und seinem eingesetzten Herrn einen Feind erwecken, sondern alle Feindschaft von ihm abwenden und in Treue zu ihm stehen und tun, was sein Gebot ist, es erscheine ihm Recht oder Unrecht. Ihr habt aber dessen wenig geachtet und die Ordnung in Unordnung verkehrt. Und so sehr habt ihr während des Streites vergessen, was Untertanen ziemt, daß ihr nun auch im Frieden euch in die Ordnung nicht zurückgewöhnen könnt und Zuchtlosigkeit zu eurem Gesetz macht. Aber gebt acht, ich will euch den abgestreiften Zügel wieder anlegen!

      Dabei schüttelte er das Schwert in der Hand, daß die Kette über die Plate rasselte, und sah mit blitzenden Augen über die Reihe hin. Mancher erbleichte und fühlte sein Herz erzittern! Arnold Hecht trat unruhig von einem Fuß auf den andern und rückte den Hals aus der Krause, als ob ihm etwas die Kehle beschnüre; Barthel Groß murmelte unwillige Worte, und Konrad Letzkau krampfte die Hand zusammen, um seinen Ärger abzuleiten. Gnädiger Herr, sagte er, Ihr solltet uns billig mit solchen Vorwürfen verschonen, die schlecht geeignet sind, das Friedenswerk zu fördern, zu dem Ihr uns berufen habt. Wollt Ihr uns nicht gütigerer Worte für wert halten, so entlasset uns lieber und mögen dann beide Teile vor dem Herrn Hochmeister ihre Sache führen, wie es verglichen ist. Denn wahrlich, es ziemt uns nicht, so ungerecht gescholten zu werden!

      Ungerecht? fuhr der Komtur auf. Geht eure Frechheit so weit, daß ihr euer Siegel verleugnet? Er griff in den linken Ärmel seines Rockes und zog ein zusammengefaltetes Papier hervor. Kennt ihr diesen Brief? Wie solltet ihr nicht! Die Tinte ist noch blaß, mit der er gestern geschrieben worden. Nun antwortet ja, oder lügt in euren Hals hinein! Kennt ihr diesen Brief?

      Er hatte sich in Zorn geredet und lief nun die Reihe der Bürger entlang, jedem das Blatt nahe vor Augen haltend, ohne ihnen doch Zeit zu lassen, es zu lesen. Immer ergrimmter wiederholte er die Frage: Kennt ihr diesen Brief?

      Was ist sein Inhalt? fragte Letzkau.

      Wollt Ihr das wissen? höhnte der Komtur. Was ist sein Inhalt? Eine freche Absage an den Vogt zu Dirschau – die Drohung mit Gewalt –, ein Fehdebrief in aller Form, wie er im Reiche Sitte sein mag unter denen, die dem Kaiser den Gehorsam gekündigt haben und sich nun untereinander mit Raub und Plünderung bedrohen. Aber im deutschen Ordenslande gibt's noch einen Herrn, der sich dergleichen nicht bieten läßt von seinen Untertanen, so frei und ebenbürtig sie sich auch denken mögen. Euch das zu sagen, dazu berief ich euch!

      Gnädiger Herr, ich weiß von keinem solchen Briefe, versicherte der Alte, die Hand aufs Herz legend.

      Auch ich nicht – auch ich nicht – ich ebensowenig –, ließen sich Stimmen vernehmen. Der Gemeine Rat ist gestern nicht versammelt gewesen, außer in der Kirche.

      So ist diese Schandtat in der Kirche geplant! rief der Komtur.

      Nein – nein – nein! Wir wissen nichts davon. Der Brief ist untergeschoben.

      Ist dies des Rates Siegel?

      Es ist unser Siegel, sagte Letzkau, und die es beidrückten, haben es zu verantworten, was damit gesiegelt ist.

      Wollt Ihr's verantworten?

      Letzkau sah auf Hecht, der feuerrot geworden war und sich die Lippe biß, während Barthel Groß finster zur Erde blickte. Was ist da zu verantworten? brach endlich Hecht los. Ich habe den Brief schreiben lassen in Gegenwart und mit Wissen mehrerer vom sitzenden Rat, die in der Eile zusammengebracht werden konnten; die von der Gemeine sind daran so unschuldig wie die gestern geborenen Kinder. Wollt Ihr Euch beklagen, so beklagt Euch über Euren Vogt, der mitten im Frieden wie ein Räuber unser Gut vergewaltigt hat, nicht aber über uns, die wir notgedrungen zur Abwehr schritten. Was fordern wir anders als die Freigabe unseres Gutes? Nennt Ihr das einen Absagebrief, so galt er doch nicht Euch und Eurem Orden, sondern allein dem Vogt, der uns herausgefordert hat.

      Und ich sage Euch, schrie der Komtur, dicht vor ihn hintretend und mit der Faust vor seinem Gesicht drohend, daß der Geringste unserer Brüder ein Teil des Ordens ist, und daß Ihr den Orden selbst angreift in jedem seiner Glieder! Das soll Euch übel bekommen, Arnold Hecht, Euch und Euren frechen Genossen. Kündigt Ihr Fehde an, so schlagen wir Euch den Handschuh um die Ohren! Er faßte die Schulter des kleinen Mannes und schüttelte ihn derb hin und her.

      Letzkau suchte dazwischenzutreten. Mäßigt Euch, Herr Komtur, mahnte er. Ihr tut, was Euch gereuen wird.

      Mäßigt Euch, baten die Ratmannen, die durch diesen unvermuteten Angriff ganz bestürzt waren und mit bleichen Gesichtern dastanden.

      Das Gesicht des Komturs aber verzerrte sich noch mehr. Er ließ plötzlich die Schulter los, griff in den Halsausschnitt des Wamses und riß dasselbe vorn über der Brust bis zum Gürtel hinab auf. Kommst du in Waffen, Bube? schrie er zornig. Die Wachen herbei! Untersucht ihre Kleider! Sie kommen in Waffen!

      Arnold Hecht trug unter seinem Wams ein stählernes Panzerhemde, das nun sichtbar wurde. Auch fiel ein Dolch zur Erde. Man muß sich gegen Euch vorsehen, stammelte er. Laßt uns unserer Wege gehen.

      Vier von den Spießträgern traten ein, zwei andere besetzten den Ausgang. Auf des Komturs Geheiß wurden die Bürger untersucht. Die meisten lösten freiwillig ihre Gürtel und öffneten die Kleider über der Brust. Die Bestürzung war allgemein. Barthel Groß erinnerte sich des Dolchmessers, das er auf Frau Annas Rat mit sich genommen hatte, und erschrak. Er wartete nicht ab, bis man Hand an ihn legte, sondern zog es vor und reichte es dem Komtur hin. Ich hatte es vergessen, sagte er, bei Gott, ich hatte nichts Böses gegen Euch im Sinn.

      Bei den anderen wurden keine Waffen gefunden.

      Ihr scheint auch an dem Briefe nicht schuldig zu sein, sagte der Komtur. Er ist ohne euer Wissen geschrieben und abgesandt, und ich merke wohl, daß ihr selbst ihn verurteilt. Ich will euch entlassen. Geht nach Hause und meldet, daß ich Gewalt zu brauchen entschlossen bin, wenn der Geist der Widersetzlichkeit und des Ungehorsams sich noch ferner in der Stadt regt. Diese drei behalte ich noch bei mir. Wir haben noch miteinander zu verhandeln.

      Ihr wollt mich im Schlosse zurückhalten? fragte Letzkau. Mit welchem Recht? Auf welche Veranlassung? Wodurch hab' ich Euch verletzt?

      Du bist der gefährlichste von allen! rief der Komtur. Glaubst du, daß ich deine geheimen Anschläge nicht kenne? Verantworte dich nun, wenn du kannst. Fort mit den andern!

      Die Bürger wurden hinausgetrieben und mit Schmähworten durch das Tor nach der Burgfreiheit ausgelassen. Sie verbreiteten die Nachricht von dem Geschehenen rasch durch die ganze Stadt. So spät es am Tage war, versammelte sich doch der Rat auf dem Rathause. Nur wenige wußten etwas von dem Vorfall in Dirschau. Allen schien es sicher, daß der Komtur ihn nur zum Vorwand genommen habe, sich der Häupter zu versichern. Es wurde beschlossen, sofort beim Hochmeister Beschwerde zu führen. Die ganze Nacht durch schrieb der Stadtschreiber am Bericht.