Gesammelte Werke. Ernst Wichert. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ernst Wichert
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027237517
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Wir haben nicht Zeit, dieses Gespräch fortzusetzen. Schafft sie nach Hause und vermeidet alle Ärgernis. Ich rate zum Guten.

      Damit ließ er sein Pferd vorführen und setzte sich auf. Seine ritterlichen Begleiter schwangen sich ebenfalls auf die Rosse, und der Zug der Reiter, Lanzenknechte und Schützen setzte sich in Bewegung nach der Stadt.

      Am Tore begehrte er Einlaß, und man öffnete ihm in der Bestürzung und Furcht sogleich. Er ritt durch die Straßen bis vor das Rathaus und entbot die Gemeine vor sich und erklärte den Rat für abgesetzt, der ohne seine Zustimmung zuletzt gewählt worden. Nur die älteren Ratmannen und Schöppen sollten im Amte bleiben, bis der Herr Hochmeister seinen Willen kundgetan habe. Die Güter der Gerichteten seien für deren Schuld verfallen, und niemand solle bei harter Buße wagen, etwas davon aus der Stadt zu entfernen. Endlich forderte er den Schlüssel vom Haustor und erhielt ihn unweigerlich.

      Als er dann zurückritt, wohl zufrieden mit dem Erfolge seiner Maßregeln, begegnete er dem Leichenzuge. Sein Pferd schäumte und bäumte sich auf. Er hatte Mühe, es mit Sporen und Zügel wieder in ruhigen Gang zu bringen. Der Zug, den singende Mönche führten, lenkte in eine Seitengasse nach der Marienkirche ein. Die Leichen waren in weiße Laken eingehüllt und wurden auf den Totenbahren getragen, die man vom Gerät der Artusbruderschaft herbeigeholt hatte.

      In der Kirche wurden sie neben dem Altar niedergesetzt. Bald versammelte sich die ganze Gemeinde. Letzkaus Töchter, Hechts Ehefrau, die ganze Verwandtschaft waren erschienen und wehklagten laut. Die Priester lasen die Totenmessen.

      Tidemann Huxer betete an einem Seitenaltar neben seiner Tochter und dankte Gott für die wunderbare Errettung seines Lebens. Denn er hatte keinen Zweifel, daß ihm das gleiche Schicksal zugedacht gewesen war. Maria ahnte wohl, weshalb er so eilig zurückgekommen, und freute sich dessen im stillen, daß ihr Geliebter die Ursache seiner Rettung war. Aber davon zu sprechen wagte sie nicht.

      Am nächsten Tage gingen sechzehn Männer vom Rat der Stadt, die vornehmsten aus allen Geschlechtern, an den Herrn Hochmeister ab, über die Gewalttat des Komturs zu klagen und die Stadt seiner Gnade zu empfehlen. Heinz von Waldstein erbot sich, sie zu begleiten. Er hoffte ihnen bei seinem Oheim von Nutzen sein zu können.

      Huxer befürchtete, daß der Komtur gegen ihn etwas im Schilde führte und ließ heimlich alle Wertsachen in seinem Hause auf ein Schiff bringen, Gold und Silber, gemünzt und ungemünzt, edle Steine, Tücher, Waffen und allerhand kostbares Hausgerät. Auch sich selbst und seine Tochter machte er zur Reise fertig, damit man sofort zu Wasser oder zu Lande aufbrechen könne, wenn sich etwas Bedrohliches zeige.

      Die beiden Bürgermeister Konrad Letzkau und Arnold Hecht wurden demnächst in der Marienkirche neben der Hedwigskapelle zur linken Seite des Hochaltars mit großer Feierlichkeit beigesetzt. Ein Stein deckt sie beide, geschmückt mit ihren Wappen und einer lateinischen Inschrift, die besagt, daß sie am Montag nach Palmsonntag des Jahres 1411 verschieden sind.

      »Betet für sie!«

      33. DER GROSSSCHÄFFER VON KÖNIGSBERG

       Inhaltsverzeichnis

      Heinrich von Plauen, der Hochmeister, hatte inzwischen seine Wohnung auf dem Königsberger Schlosse genommen. Es lag auf einer Anhöhe am Pregel, eine Meile von dessen Ausfluß ins Frische Haff, und war von alters her stark befestigt, da von hier die Eroberung des heidnischen Samlandes ausging, das vierzigtausend streitbare Männer zu stellen vermochte und blutig um seine Freiheit rang. Auch mußte man stets eines Einfalles der Litauer gewärtig sein, bis Heinrich Schindekopf sie auf dem Felde von Rudau schlug und die Burgen Memel, Tilsit und Ragnit die Abwehr übernehmen konnten. Im Schutze des festen Schlosses waren die drei Städte Königsberg gegründet und zu Wohlstand gelangt, die Altstadt zwischen Schloß und Fluß, der Löbenicht dicht daneben mit vier Toren und der Kneiphof auf einer Insel dicht davor, jede mit Mauern umgeben und mit Türmen befestigt.

      Es war hier ein reges Handelstreiben. In weitem Umkreise führte das fruchtbare Land seine Produkte zu, aus der großen litauischen »Wildnis« wurden Holz, Wachs und Honig den Pregelfluß hinaufgebracht: auf dem Memelstrome und über das Kurische Haff kamen in jedem Jahre lange Wittinnen mit Getreide, Flachs, Asche, Teer angeschwommen. Der Verkehr der Danziger mit dem Kontor zu Kauen mußte über Königsberg. Fremde Schiffe brachten von auswärts Salz und Heringe. Das Hauptgeschäft wurde freilich durch den Orden selbst betrieben, der dafür an diesem Orte seinen zweiten Großschäffer hatte. Rat und Bürgerschaft hingen dem Orden an, dessen starkes Regiment ihnen erwünscht sein mußte, um bei der Unsicherheit aller Zustände in diesem noch wenig kultivierten Lande gegen allerhand Zustände geschützt zu sein.

      Für den Hochmeister gab es hier viel zu ordnen. Der Konvent war durch Abzug nach dem Kriegsschauplatze hin geschwächt. Längere Zeit sich selbst überlassen, hatten die Ritter die Wirtschaft auf den Vorwerken vernachlässigt, Abgaben unregelmäßig eingezogen, den Pferdebestand in den Stutereien nicht gehörig ergänzt. Heinrich von Plauen machte sich mit gewohnter Energie sofort ans Werk. Das Beispiel eigener unermüdlicher Tätigkeit blieb nicht ohne Wirkung auf alle Untergebenen. Bald herrschte auf dem Schlosse, auf den Vorwerken, in den Städten das regste Leben.

      Die dankenswerteste Unterstützung leistete ihm sein Großschäffer Georg von Wirsberg. Er hatte ihn schätzen gelernt, als er ihm die erste Zufuhr nach der Marienburg brachte. Dieser Dienst machte ihn seinem Herzen so teuer, daß er nun ungemeines Vertrauen in ihn setzte, ihn überall zu Rate zog und mit den wichtigsten Geschäften beauftragte. Gleich nach des Hochmeisters Wahl zum Komtur von Rheden ernannt, ohne doch des wichtigen Großschäfferamtes enthoben zu sein, war er mit großer Rührigkeit bald auf seiner Burg, bald an des Hochmeisters Seite. Er begleitete ihn bei allen Reisen ins Land, besorgte die Briefschaften an fremde Fürsten und Herren, mit denen er früher in Verkehr gestanden hatte und die ihn mit ihrer Gunst beehrten. Sein geschmeidiges Wesen machte ihn geschickt zum Umgang mit einem Herrn, der seinen Willen überall als maßgebend betrachtete und nicht immer milde in der Form war. Der Hochmeister wollte die Dinge, auf die er von oben her sein Augenmerk gerichtet hatte, rasch vorwärts gehen sehen; Georg von Wirsberg wußte allemal Mittel und Wege, sie zu fördern, und war nicht bedenklich in der Wahl. Das gefiel dem Hochmeister, und er übersah deshalb gern manche Schwäche des eitlen und ehrgeizigen Mannes. So einfach Plauen auch als Hochmeister lebte, sich in allem der Regel des Ordens fügend, und so streng er auf Zucht im Konvent hielt, so nachsichtig zeigte er sich gegen den Großschäffer, der seine Kleidung, gute Tafel, köstliche Weine, schöne Pferde und zierliches Geschirr liebte. Das Amt gab ihm auch in seinen Augen größere Freiheiten. Da man ihn beim Fürsten in Gunst sah, wagte niemand, sich darüber zu beschweren, daß der Großschäffer oft willkürlich verfuhr, eigenen Vorteil wahrnahm, sich seine Fürsprache entgelten ließ und in dem Rufe stand, schon mancher Bürgerfrau gefährlich geworden zu sein.

      Diese friedlichen Bestrebungen des Hochmeisters wurden vielfach gestört durch die Geschäfte der Politik, die ihn auch hierher verfolgten. Der Friede mit Polen und Litauen war seit Monaten abgeschlossen, aber es fehlte viel, daß man sich im Ordenslande dessen hätte freuen können. König Sigismund hatte den Beitritt abgelehnt und seine Empfindlichkeit merken lassen, daß man über ihn hinweggegangen; das mit Mühe aufgebrachte Geld reichte nicht zur Befriedigung des Königs; die Untertanen, deren Güter durch den Krieg schwer gelitten hatten, begehrten Getreide zur Saat, Vieh, Holz zum Aufbau der niedergebrannten Höfe. Der Bischof von Kujawien zeigte ihm seine feindliche Gesinnung, wie er konnte. Der Bischof Heinrich Vogelsang strebte danach, sein Bistum Ermland zurückzuerhalten, ohne sich unterwerfen zu dürfen; Michael Küchmeister von Sternberg, der aus der Gefangenschaft gelöst war und sein Obermarschallsamt angetreten hatte, war nicht mehr der alte Freund als Untergebener. Plauen, der ihm mit ganzer Offenheit entgegengekommen war, empfand diese Zurückhaltung sehr schmerzlich.

      Dazu traten die Mißhelligkeiten in Danzig zwischen seinem Bruder und der widerspenstigen Gemeinde. Er atmete auf, als die Nachricht kam, daß ein Vergleich gelungen sei und am Palmsonntag in der Kirche bekräftigt werden solle. Um so empfindlicher traf ihn dann die böse Nachricht, daß der Komtur schon tags darauf Veranlassung genommen hatte, sich der Bürgermeister