Gesammelte Werke. Ernst Wichert. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ernst Wichert
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027237517
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aber eine Geldbuße, den eigentlich Schuldigen auferlegt, würde ausgereicht haben. Darum gab er auch auf dieses einseitige Vorstellen den Befehl, die gefangenen Bürger freizulassen. Er wollte, da die Danziger jetzt offenbar zur Nachgiebigkeit geneigt waren, die Angelegenheit nicht noch mehr verwickeln.

      Deshalb glaubte er seinen Augen nicht zu trauen, als er nun endlich den Brief erhielt, in dem ihm der Komtur anzeigte, daß er die Verräter gerichtet habe und daher nur ihre Leichen der Stadt herausgeben könne. Der Kopf schwindelte ihm, als hätte er hinterrücks einen Schlag erhalten, die Buchstaben wurden undeutlich, die Hand, die das Blatt hielt, sank wie gelähmt hinab. Die Bürgermeister gerichtet – ? Wie konnte das sein? Ohne Prozeß – ohne seine Vollmacht – nachdem man nur tags zuvor feierlich Frieden gelobt – seiner Entscheidung sich unterworfen hatte! Was konnte inzwischen geschehen sein? Was konnte einen solchen Schritt notwendig machen, der im ganzen Lande und weit darüber hinaus das peinlichste Aufsehen erregen, allen Feinden des Ordens die gewünschteste Gelegenheit zur Anklage geben mußte? Das ist eine unbedachte Tat – eine Gewalttat –, das ist Mord … murmelten die bleichen Lippen. Das Blut schoß ihm plötzlich in die Stirn. Zornig sprang er auf, ballte die Faust und drückte sie zitternd auf den Tisch. Was wagt der Vermessene? Wie darf er sich unterfangen, Bürgerblut – das Blut der edelsten Bürger … Heinrich – Heinrich –! Das hat dir mein böser Engel eingegeben, mich zu verderben. Ohne Recht und Gericht! Heimlich hinter den Mauern der Burg! Und wenn sie Verrat geübt hätten, nimmer durfte das geschehen – nimmer! Mein Bruder – mein eigener leiblicher Bruder tut mir das – mein Bruder!

      Er sank in den Sessel zurück, stützte den Kopf in beide Hände und starrte vor sich hin. Aber es schützt ihn nicht, daß er mein Bruder ist. Ich will nicht verantworten, was er verbrochen hat. So weit geht meine Pflicht gegen ihn nicht, daß ich das Unrecht schütze, weil es mein Bruder begangen hat. Ich will den Fluch dieser Schreckenstat nicht auf mich nehmen. Gott weiß, daß ich daran unschuldig bin, aber auch die Menschen sollen's wissen. Meine Hände sind rein. Aber an deinen Händen klebt Blut, Heinrich! Verantworte dich – du kannst es nicht! So schuldig sie waren, du bist schuldiger. Du hast dein Amt mißbraucht, Gewalt geübt, wo du das Recht hüten solltest. Du darfst ihr Herr nicht länger sein. Gerechtigkeit über alles! O Schande und Schmach! Diese Bluttat wird sich unserm Namen anhaften und uns verhaßt machen bei den künftigen Geschlechtern. Nein, ich kann – ich will sie nicht vertreten vor dem Lande.

      Er nahm das beigefügte Schreiben Letzkaus auf, das dessen Verräterei beweisen sollte, und schauerte zusammen, als er den Blutfleck und die Stiche durchs Papier sah. Was er las, ergriff ihn ganz eigen. Das ist das Testament dieses Mannes – sprach er vor sich hin –, und mich setzt er zum Erben seiner Gedanken ein … ich soll's vollführen, was dieser Kopf plante. Letzkau hatte geschrieben, als ahnte er, daß dieses sein letztes Wort sein würde. So hatte Letzkau schon zu ihm in der Marienburg gesprochen, und seine kluge Rede war unvergessen gewesen; nun mahnte der tote Mann noch dreister und eindringlicher zu dem kühnen Werke, das einen gewaltigen Schöpfer forderte. Niederreißen sollte er und aufbauen. Ja, Letzkau war ein gefährlicher Mann. Dieses Briefes wegen hätte jedes Ordenskapitel ihn böser Anschläge schuldig erachtet und verurteilt. Er aber konnte ihn nicht verdammen. Schon in der kurzen Zeit seiner Regierung hatte er erkannt, wie sehr er in Fesseln ging, wie seine Doppelstellung als Hochmeister und Landesfürst täglich zwiespältiger wurde und die traurige Lage der Dinge von ihm eine Entscheidung forderte, auf welche Waagschale er treten wolle. Nun machte diese Schreckenstat notwendig jedem Zögern ein Ende.

      Was war das nächste? Gab's da ein Bedenken? Der Komtur war seines Amtes zu entsetzen; diese Sühne forderte vor allem die ungerechte Tat. Dann mochte gegen die Stadt Danzig eingeschritten werden, wie sie es verdiente.

      Stundenlang hatte der Hochmeister so mit sich selbst verkehrt. Abends kam Georg von Wirsberg und wollte ihn in Geschäften sprechen. Er wies ihn ab. Noch aber hatte der meldende Diener nicht das Gemach verlassen, als er sich eines andern besann und ihn zu sich berief. Er fühlte, daß er diese Last nicht allein tragen könne, daß er einen Vertrauten brauche. Georg sollte seinen Entschluß bestärken.

      So zeigte er also dem Großschäffer des Komturs Brief und auch Letzkaus letztes Schreiben. Mein Bruder hat Gewalt geübt, sagte er, ich kann seine Tat nicht vertreten. Bevor noch der Danziger Rat seine Klage einbringt, was gewißlich morgen schon geschieht, muß an den Komtur die Weisung ergangen sein, das Amt niederzulegen. So nur gewinnen wir freie Hand, die Sache selbst mit aller Strenge zu untersuchen. Ich muß vergessen, daß es mein Bruder ist, der sich so schwer vergangen hat.

      Georg von Wirsberg nahm sich lange Zeit, zu überlegen. Er schien mit dem Lesen der Briefe gar nicht fertig werden zu können. Mitunter aber sah er vom Blatte auf und in des Hochmeisters tiefbekümmertes Gesicht. So bestimmt Plauen sich auch ausgesprochen hatte, der weltkluge Mann ließ sich nicht täuschen. Er wußte, daß von ihm Rat gefordert werde. Sollte er also zustimmen oder widersprechen? Was kümmerte ihn in diesem Augenblick der Komtur oder die Stadt Danzig? Für ihn kam allein sein Verhältnis zum Hochmeister in Frage. Wie diente er sich selbst am besten? Wie bewies er sich als den treuesten und zugleich gefälligsten Ratgeber des Herrn, dessen ungemessenes Vertrauen er sich erhalten wollte? Sicher mit schwerem Herzen ließ der Hochmeister seinen Bruder fallen, den er von ganzem Herzen liebte. Heute war er in der Stimmung, strenge Gerechtigkeit walten zu lassen. Morgen aber … ? Es galt, nicht für die Stunde Stellung zu nehmen. Gnädigster Herr, sagte er endlich, die Sache ist sehr schwierig und läßt sich nicht gut gleichsam im voraus und nach allgemeinen Regeln entscheiden. Es ist da viel nach allen Seiten hin zu bedenken. Weiß man nicht genau, wie die Dinge stehen, so ist ein Fehlgriff fast unvermeidlich. Dieser Brief sagt uns, was geschehen ist, aber nicht ausreichend, warum es geschehen ist. Ich will die Gewalttat, die Ew. Gnaden schwer erzürnt, nicht verteidigen; aber zweifelhaft kann's nicht sein, daß der Komtur sie für notwendig gehalten hat. Nun stand er aber den Dingen näher, sah mit eigenen Augen, erwog nach den Umständen. Vielleicht ging er im Eifer zu weit – vielleicht auch nicht. Ist es uns doch bekannt, daß der Danziger Rat auf der Seite des Königs stand und sich ungern von ihm löste, daß er Ew. Gnaden die Mannschaft weigerte, daß er den Schoß versagte, den doch das ganze Land willig entrichtete, daß er die Stadt gegen den Orden verschanzte wie gegen den Feind und das Haustor vermauerte. Wo das geschieht, mag man sich auch des Schlimmern versehen. Der Komtur schreibt, daß die Bürgermeister und einige vom Rat wortbrüchig geworden sind, nachdem ein gütlicher Vergleich geschlossen. Soll man's ihm nicht glauben? Und wenn er nun zu seiner Sicherheit –

      Wie? rief Plauen hinein. War's zu seiner Sicherheit nötig, daß er die Männer tötete, wenn er sie schon gefangennahm? Mußte das so schnell geschehen – gerade über Nacht? Mit solcher Heimlichkeit – ohne mein Wissen, ohne meinen Befehl?

      Georg von Wirsberg zog den Kopf zwischen die Schultern. Wir sind darüber nicht unterrichtet, gnädigster Herr. Vielleicht in einigen Tagen werden wir's sein – heute sind wir's nicht. Aber es läßt sich doch nicht vermuten, daß der Herr Komtur ohne sehr zwingenden Grund gehandelt hat. Es kann sein … aber ich sage: es läßt sich nicht vermuten.

      Wir haben seinen Bericht. Mein Bruder war von jeher ein hitziger Mensch, zu Gewalttätigkeiten geneigt, stolz und hochfahrend. Die Tat ist gerade seinem Sinn gemäß.

      Es steht mir nicht zu, darüber zu urteilen, gnädigster Herr. Wär' die Tat aber auch übereilt, so sollte sie doch Euch und dem ganzen Orden zum Vorteil gereichen. Am wenigsten von Eurem Bruder werdet ihr glauben wollen, daß er die Absicht hatte, Euch Verlegenheiten zu bereiten.

      Der Hochmeister, der den Kopf in die Hand gestützt hatte, machte jetzt eine unwillig abwehrende Bewegung. Vergeßt, daß der Komtur mein Bruder ist. Dieser Zufall soll Eure Meinung nicht beeinflussen. Er ist mir – er soll mir sein wie irgendein anderer Gebietiger des Ordens. Das eben ist ernstlich zu vermeiden, daß man nicht mit Recht im Lande klagt, der Hochmeister versage Gerechtigkeit seiner Sippe zuliebe.

      Ew. Gnaden beweisen auch dann Ihres Geschlechtes edlen Sinn, antwortete Wirsberg im Tone der aufrichtigsten Überzeugung, und Ihren persönlichen Edelmut, daß Ew. Gnaden weit von sich weisen, nach Freundschaft oder Feindschaft zu entscheiden. Wer wollte das nicht loben? Aber Ew. Gnaden wollen zusehen, aus Gerechtigkeitsliebe nicht ungerecht zu werden. Es ist ein Unglück für den Komtur, daß er Ew. Gnaden Bruder ist. Nun hat