Er steht vor der Tür, gnädigster Herr, wenn der Mann sich mit Fug und Recht diesen Namen beilegt.
Laßt ihn sofort ein. O allgütiger Gott! Wenn deine Gnadenhand …
Heinz trat ins Gemach. Er ist's, rief der Hochmeister, er ist's! Er schritt rasch auf ihn zu, ergriff ihn bei den Händen und zog ihn an sich. Du lebst, Heinrich! Gelobt sei Gott!
Eines so warmen Empfanges war der Junker kaum gewärtig gewesen. Er bückte sich und küßte ehrerbietig die Hand, wurde aber wieder und wieder an die Brust des wundersam bewegten Mannes gedrückt. Der Großschäffer, der Zeuge dieser zärtlichen Bewillkommnung gewesen war, entfernte sich still und gab draußen Befehl, daß man jeden abweise.
Heinz mußte seine Erlebnisse erzählen. Er kam arg ins Stocken, als er den Anlaß zur Flucht aus dem Polenschloß erklären wollte und auf des Meisters Frage zu antworten hatte, warum er sich nach Danzig wandte, statt ihn eiligst in der Marienburg aufzusuchen. Ihr wißt, gnädigster Herr, sagte er endlich, über und über rot, daß mir im vorigen Jahre viel Freundlichkeit in dieser Stadt geworden ist. Es verlangte mich, zu erfahren, ob man mir ein gutes Andenken bewahrt habe. Auch wußte ich nicht, wo ich Euch träfe und ob ich Ew. Gnaden genehm käme in dem polnischen Kleid, mit dem ich entflohen war. Hätte ich freilich geahnt, zu einem wie traurigen Begebnis …
Jetzt erst fiel es ihm wieder ein, zu welchem Zweck er gekommen war. Er bemerkte, wie des Hochmeisters Stirn sich verfinsterte.
Aber ihm war's, als zwänge ihn eine geheime Stimme, alle Zaghaftigkeit abzutun und diese Stunde nicht ungenutzt zu lassen für diejenigen, denen er seinen Beistand aus freien Stücken zugesagt hatte. So schöpfte er denn tief Atem, sah dem Oheim mit seinen offenen Augen frei ins Gesicht und begann: Zürnt nicht, gnädigster Herr, wenn ich bei Euch ein gutes Wort einlege für die armen Leute, die ich hierher begleitet habe. Sie kamen, um ihre gerechten Klagen vor Euer Ohr zu bringen. Mit Schrecken sah ich soeben, daß man sie in den Turm warf. Unmöglich kann das mit Ew. Gnaden Wissen und Befehl –
Es geschah mit meinem Wissen und auf meinen Befehl, antwortete der Meister in strengem Tone. Zugleich stand er auf und ging durch das Zimmer.
Der Junker erhob sich nun gleichfalls, blieb aber an seinem Platze stehen. So weiß ich nicht, wegen welchen Vergehens sie gestraft werden, sagte er mit zitternden Lippen und doch mannhaft entschlossen, sich nicht abschrecken zu lassen. Wahrlich! Schweres Unrecht ist ihnen geschehen, und ihre Klage darüber sollte nicht stumm gemacht werden.
Heinrich –! verwies der Meister. Du bist ihr Anwalt nicht.
Ich bin's, gnädigster Herr, rief der junge Mann in noch größerer Erregtheit, denn ich sehe wohl, daß man Euch die Wahrheit vorenthalten und Euch gegen sie erzürnt hat, da sie doch nur ihr Recht suchen, was freilich denen nicht gefallen mag, die sich zwischen Euch und sie stellen. Ich bezeug's bei Gott dem Allwissenden, daß der Komtur von Danzig den beschworenen Frieden gebrochen und die beiden Bürgermeister nebst Bartholomäus Groß, Letzkaus Schwiegersohn, aufs Schloß gelockt, sie heimlich in der Nacht ermordet und nach acht Tagen ihre verstümmelten Leichname vor die Brücke geworfen hat. Es war ein Anblick zum Erbarmen! Nicht gerichtet sind sie, sondern gemordet. Und nun droht der Komtur den Frauen und Kindern, daß er ihnen ihr Gut nehmen und sie als Bettler aus der Stadt treiben wolle, aller Gerechtigkeit und Menschlichkeit zum Hohn. Was haben diese Witwen und Waisen verbrochen, daß sie so gezüchtigt werden? Die ganze Stadt ist in Schrecken und Trauer, und niemand hält sich mehr seines Lebens sicher. Und da sie sich nun zu Euch wenden mit ihrer Klage, läßt man sie nicht vor Euren Stuhl, sondern wirft sie wie Missetäter ins Gefängnis. Das ist nicht gut, gnädigster Herr, das ist wahrlich nicht gut!
Der Hochmeister ging an ihm vorüber, wieder und wieder. Er hatte die Augenbrauen fest zusammengezogen und hielt die finsteren Blicke auf den Steinboden gerichtet. Endlich blieb er vor seinem jungen Gast stehen, legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte: Ich will's nicht schelten, Heinrich, daß du mir diese erste Stunde verkümmerst. Dein Herz ist voll von dem Leid, das du miterleben mußtest, und dir zeigte sich nur das Leid und der Jammer der Schwerbetroffenen. Die blutige Tat, die du vor Augen hattest, erschreckte dich, und weil du sie nicht begreifst, verwirfst du sie. Aber du beachtest nicht, was jene verschuldeten und wofür sie büßen – du siehst nicht, daß ich als das Oberhaupt einer großen Körperschaft zu handeln habe, die um ihren Besitz kämpft. Willst du dein stürmisches Herz über meinen erfahrenen Verstand setzen? Ich dächte, du hättest Grund, mir zu vertrauen.
Diese Mahnung wirkte nur so viel, daß Heinz einen neuen leidenschaftlichen Ansturm vermied. Wie gern ich Euch in allem vertrauen möchte –! entgegnete er zögernd. Aber was hier geschehen ist und geschieht – Plötzlich blickte er wieder ganz offen zum Meister auf. Sagt mir's ehrlich, gnädigster Herr: an des Komturs Stelle – hättet Ihr gehandelt wie er?
Plauen stutzte. Die Frage berührte sein Gewissen. Sollte er sich mit dem Schilde decken, den Georg von Wirsberg ihm zugereicht? Und wenn ich nun antworte – nein … ?
Dann weiß ich, daß Eure Gerechtigkeit einen kurzen Arm hat, weil sie den Bruder nicht erreichen will.
Das traf genau wieder den Punkt, der schmerzte. Den Bruder, den Bruder! Hatte sich doch diese Rücksicht in seinen Weg gestellt und ihn zum Ausbiegen genötigt! Du weißt nicht, sagte er, wie wehe du mir tust. Gerade weil er mein Bruder ist – Aber ich kann dir meine Brust nicht öffnen, Heinrich, kann dich in mein Innerstes nicht schauen lassen. Du mußt mir glauben, daß ich tue, was das Amt mir auflegt. Mit den Danzigern will ich ins Gericht gehen, wie sie es verdient haben, aber der Unschuldige soll nicht büßen für den Schuldigen, soviel ich's hindern kann. Das Schicksal der Sendboten laß dich nicht kümmern – in einigen Tagen werden sie wieder frei sein. Es ist jedoch mein Wille, daß du nicht mit ihnen zurückgehst nach Danzig, sondern fortan dich zu mir hältst. Bist du mir wiederergeben durch Gottes wundersame Fügung, so will ich diesen Wink wohl beachten. Und nun geh! Wenn wir einander wieder begegnen, sehe ich hoffentlich das alte heitere Gesicht.
So entließ er ihn wenig befriedigt. Wie sollte er nun den Danziger Freunden sein Wort lösen? Es war ihm schon eine Beruhigung, als wirklich die Gefangenen nach einigen Tagen ihrer Haft entlassen und heimgeschickt wurden. Sie hatten um gnädige Verzeihung gebeten. Aber aller Trotz und Übermut war von ihnen gewichen, und sie gedachten zu Hause ernstlich zur vollen Unterwerfung zu raten, damit die Stadt ihre Freiheiten rette. Sie wurden am frühesten Morgen aus dem Schloß entlassen und von bewaffneten Dienstleuten des Ordens bis zur Brandenburg, etwa drei Meilen Weges, geleitet, damit sie mit den Bürgern der Städte Königsberg keinen Verkehr pflegen könnten. Heinz sah und sprach sie nicht mehr.
Der Großschäffer hatte den Auftrag erhalten, ihn völlig neu einzukleiden und mit guten Waffen, auch mit einem Roß zu versehen. Man behandelte ihn im Schloß, da man ihn vom Hochmeister geehrt und ausgezeichnet sah, mit großer Zuvorkommenheit, und besonders Georg von Wirsberg gab sich alle Mühe, sein Vertrauen zu gewinnen, indem er ihm die Mittel und Wege zu einem vergnüglichen Leben anzeigte, ihn auch in die Junkerhöfe der drei Städte begleitete, wo er unter den Kaufherren überall gute Bekannte hatte. Auch auf Buchwalde kamen sie zu sprechen und auf das junge Fräulein. Ein wahrer Kobold – besonders zu Pferde, sagte der Ritter.
Ihr habt eine Wette bei ihr verloren, bemerkte Heinz.
Wißt Ihr das? So hat das hübsche Kind sich doch meiner erinnert. Ich ließ sie gern in den Glauben, daß sie mich besiegt.
Aus Galanterie, spöttelte der Junker.
Ei freilich! Man muß in solchen kleinen Dingen den Damen gefällig sein, wenn man sie in größeren gefügig machen will.
Ich hoffe, Ihr wollet damit nicht andeuten, daß meines Freundes Schwester diese Erfahrung bestätigt hat.
Ach – ein Kind, ein Kind! lenkte der Großschäffer ein. Spielzeug für eine müßige Stunde.
Heinz fand wenig Gefallen an dem Manne, der mit Vorliebe so leichtfertig sprach.